Artilleriezugmaschine

[44] Artilleriezugmaschine, Dampf- oder Kraftzugmaschine zum Fortbewegen schwerer Geschütze und ihrer Munition.

Schon vor dem Weltkrieg war man dazu übergegangen, Sondergeschütze schwersten Kalibers durch Zugmaschinen fortbewegen zu lassen. Man machte sie dadurch vom Eisenbahntransport unabhängig, konnte sie infolgedessen überraschender und in kürzerer Zeit einsetzen. In Österreich-Ungarn schuf man die 30,5-cm-Motorbatterien, in Frankreich erprobte man die Verwendung schwerer Marinegeschütze mit Kraftzug zum Zweck der Küstenverteidigung und des Angriffs auf Festungen; für die Kruppschen 42-cm-Mörser war ebenfalls der Kraftzugtransport vorgesehen. Der im Herbst 1914 beginnende Stellungskampf erforderte den Einsatz derartig zahlreicher und wirkungsvoller Artillerie (hohe ballistische Leistung und somit großes Gewicht), daß der Pferdezug zum Teil nicht ausreichte bezw. ein Mangel an geeignetem Pferdematerial eintrat. Auch der Wunsch, große Artilleriemassen überraschend zu vereinigen und wieder fortzuziehen und nicht zum wenigsten das knapp werdende Pferdefutter trugen dazu bei, zunächst die schwere und mittlere Artillerie, dann aber auch die leichte Artillerie auf den Kraftzug zu verweisen. Dies bot neben der größeren Leistungsfähigkeit auch den Vorteil der geringeren Belastung mit Betriebsstoffen (Hafer und Heu im Verhältnis zum Betriebsstoff wie etwa 15 : 2; die Maschine »frißt« nur, wenn sie arbeitet, das Pferd muß aber auch während der Arbeitspausen versorgt werden) und somit der geringeren Kolonnentiefe, gestattete jederzeitige Marschbereitschaft und sicherte schnellen sowie vollwertigen Ersatz von Ausfällen. Die Mittelmächte waren infolge der[44] Knappheit an Betriebsstoffen freilich in der Verwendung der Artilleriezugmaschine eingeschränkt. Deutschland verfügte Mitte 1917 im Felde über etwa 300 Artilleriezugmaschinen Anfang 1918 über etwa die achtfache Zahl. Frankreich soll bis zum Sommer 1918 auch die gesamte Feldartillerie zum Transport auf Kraftwagen eingerichtet haben. England ließ sämtliche Geschütze der mittleren und schweren Artillerie durch Kraftzug bewegen, Österreich-Ungarn hatte 1917 den Kraftzug für die schwere Feldhaubitze eingeführt und plante im Frühjahr 1918 den Ersatz des Pferdezugs durch mechanischen Zug auch für die Feldartillerie. Während man sich bei der schwersten Artillerie mit Geschwindigkeiten bis zu 10 km/Stde. begnügte, forderte man für die mittlere und leichte Artillerie Leitungen bis zu 25 km/Stde. und Tagesmärsche bis zu 100 km. Das schnelle Fahren machte für schwere Geschütze, welche den Artilleriezugmaschinen angehängt wurden, eine Federung der Achsen notwendig. Das erforderte wiederum besondere Vorrichtungen, mittels deren man die Sendern für den Schießgebrauch entlasten konnte. Um behelfsweise auch schwere Geschütze ohne gefederte Achsen durch Artilleriezugmaschinen fortschaffen zu können, wandte man das sogenannte »Lastenverteilergerät« an (s. unter Lastenverteiler).

Die wesentlichsten Grundsätze für den Bau von Artilleriezugmaschinen lind folgende: Zur Erzielung größter Zugkraft darf nur der Vierräderantrieb Anwendung finden, der die ganze durch das Schleppergewicht erzeugte Reibung am Boden als Zugkraft ausnutzt. Um das Einsinken der Räder zu verhindern und das Vorwärtskommen mit angehängter Last in schwierigem Boden zu ermöglichen, müssen möglichst große und breite Räder – 1200 bis 1400 mm – angestrebt und entsprechende künstliche Hilfsmittel vorgesehen werden, wie Radgürtel, die aber schwer sind und zur Mitführung besonderer Fahrzeuge bedürfen; Radverbreiterungen, die nur bei nicht zu hohem Geschützgewicht noch hinreichend Erfolg haben; Räder mit »Greifern« welche der Fahrzeugführer von seinem Sitz aus ohne anzuhalten betätigen kann (s. Fig. 1); Raupenfahrbahn, welche bei den sogenannten »Motormauleseln« oder Protzschleppern angewendet wird. Wenn die Zugwiderstände zu groß sind, muß die Zuglast abgehängt werden und der allein vorfahrende Schlepper sie vermittels der hierfür vorgesehenen kräftigen Seilwinde nachziehen, unter Umständen sprungweise in mehreren Zügen. Die Seillänge beträgt etwa 150 m. Die Achsen müssen bei den in Frage kommenden großen Geschwindigkeiten gefedert werden. Die Stärke des Motors ist keinesfalls zu knapp zu bemessen, um selbst bei mittleren Steigungen hohe mittlere Stundengeschwindigkeiten zu erreichen und für das Fahren außerhalb der Straße genügenden Kraftüberschuß zu haben. Meist gelangen Daimler-Vierzylindermotoren von 70 bis 100 PS., Bremsleistung bei 1200 Touren, 4–8 Geschwindigkeiten für Vorwärtsgang von 2 bis 30 km/Stde., 1–2 für Rückwärtsgang von 2 bis 8,5 km/Stde. zur Anwendung.

Als Beispiele für die Leistungsfähigkeit von Artilleriezugmaschinen seien verschiedene Typen der Fried. Krupp A.-G. angeführt: die Kraftprotze, für leichte und auch für mittelschwere Geschütze, vermag bei einem Gewicht von etwa 4,5 t, einem größten Achsdruck von etwa 2,7 t und einer größten Geschwindigkeit mit angehängter Last auf ebener Straße von etwa 25 km/Stde. eine Zuglast von etwa 5 t fortzubewegen.

Der Artillerieschlepper K.D.I. (s. Fig. 2) vermag bei einem Gewicht von etwa 8,5 t, einem größten Achsdruck von etwa 5,5 t und einer größten Geschwindigkeit mit angehängter Last auf ebener Straße von etwa 25 km/Stde. eine Zuglast von etwa 10 t fortzubewegen. Der Artillerieschlepper K.D. III. leistet sogar 23 t.

F. Wille.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1920., S. 44-45.
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