[540] Fachwerk. (Graphische Berechnung.)
Hinsichtlich der Definition von Fachwerk wird auf die Art. Fachwerk, Fachwerkträger u.s.w. verwiesen. In nachfolgendem sind ausschließlich Balkenfachwerke mit einer Oeffnung in Betracht gezogen. Ueber Fachwerke, durchlaufende, Gelenkträger und Bogenfachwerke s.d.
a) Brückenfachwerke. Je nachdem der Drehpunkt (s.d.) der Momente eines Stabes außerhalb oder innerhalb der Spannweite liegt, erleidet der Fachwerksstab seine ungünstigste Beanspruchung bei einseitiger oder vollständiger Beladung, denn die Biegungsmomente, die von Lasten links und rechts vom Stabe in bezug auf den Drehpunkt erzeugt werden, sind im ersten Falle von ungleichem, im zweiten von gleichem Zeichen. Bei den Brückenfachwerken liegen (abgesehen von kontinuierlichen Fachwerken) die Momentendrehpunkte für die Gurtungsstäbe stets innerhalb, für die Streben außerhalb der Spannweite. Für die Gurtungen muß daher die zufällige Last über die ganze Spannweite ausgedehnt, für die Streben auf eine Seite des Stabes beschränkt werden. Besteht die zufällige Last aus Einzellasten verschiedener Größe, so sind die schwersten Lasten in der Nähe des zu berechnenden Stabes aufzuteilen. Aus dem Vorzeichen des Biegungsmomentes ergibt sich ferner, daß bei Fachwerken mit einer Oeffnung die untere Gurtung stets auf Zug, die obere stets auf Druck beansprucht wird, sowie daß Streben gezogen oder gedrückt werden, je nachdem sie gegen die Belastung fallen oder steigen. Um die Kräfte zu finden, die bei gegebener Belastung in den einzelnen Stäben auftreten, wendet man, je nachdem es sich um Gurtungen oder Streben, um das Eigengewicht oder um Verkehrslasten handelt, und je nach der Form des Fachwerks verschiedene Verfahren an.
Bei Fachwerken mit parallelen Gurtungen benutzt man, um die Gurtungskräfte zu finden, das Rittersche oder Momentenverfahren (s.d.). Da der Abstand der Gurtungsstäbe von ihren Drehpunkten durchgehends gleich der Fachwerkshöhe ist, so bekommt man die Gurtungskräfte, wenn man die Biegungsmomente hinsichtlich der Drehpunkte durch die Fachwerkshöhe dividiert. Trägt man die Kurven der größten und kleinsten Biegungsmomente graphisch auf, so gelangt man demnach leicht zu einer übersichtlichen Darstellung der Gurtungskräfte. Um die Strebenkräfte zu finden, wendet man im allgemeinen das Culmannsche (s.d.) oder Schnittverfahren an. Da die Drehpunkte der Streben im Unendlichen liegen, so erhält man die Strebenkräfte, wenn man die betreffenden Querkräfte parallel zu Strebe und Gurtung zerlegt. Ist die zufällige Last gleichförmig verteilt, so läßt sich auch das Herzogsche (s.d.) Verfahren mit Vorteil anwenden. (Näheres s. Parallelträger.)
Bei Fachwerken mit gekrümmten Gurtungen werden die Gurtungskräfte am schnellsten mittels eines Cremonaschen Kräfteplans (s.d.) bestimmt. Man zeichnet diesen Plan zunächst für die Eigengewichtsbelastung und erhält so die kleinsten Gurtungskräfte. Deren größte Werte (für Vollbelastung) ergeben sich durch Multiplikation der gefundenen Eigengewichtskräfte mit (g + p) : g. Dieses Verfahren ist selbst bei Eisenbahnbrücken zulässig, vorausgesetzt, daß man für p denjenigen Wert einsetzt, der dem größten Biegungsmomente der Radlasten entspricht (Lastäquivalent, Belastungsgleichwert). Will man genauer vorgehen, so bestimmt man für jeden Knotenpunkt das größte Biegungsmoment (s. Balken, einfache, Bd. 1, S. 525) infolge der konzentrierten Radlasten und dividiert es durch den Hebelarm des Stabes (Entfernung vom Drehpunkte). Bei der Bestimmung der Strebenkräfte werden Eigengewicht und zufällige Last getrennt behandelt. Der Einfluß des Eigengewichts ist in dem bereits gezeichneten Cremonaschen Kräfteplan enthalten. Bei der zufälligen Last wendet man, wenn sie aus Einzellasten besteht, das Culmannsche, wenn sie gleichmäßig verteilt ist, am besten das Herzogsche Verfahren an. (Näheres s. Parabelträger, Halbparabelträger, Schwedler-Träger, Paulische Träger.)
b) Dachstuhlfachwerke. Für die Fachwerksbinder der Satteldächer (Dreiecksträger) liegen die Drehpunkte sämtlicher Stäbe innerhalb der Spannweite oder im Auflager. Infolge dessen ist die vollständige Belastung für sämtliche Stäbe auch für die Streben die ungünstigste. Da die zufällige Belastung (Schnee und Wind) überdies als gleichförmig verteilt angesehen werden darf, so vereinfacht sich die Berechnung dieser Fachwerke außerordentlich. Es genügt, einen oder zwei Cremonasche Kräftepläne zu zeichnen, um die größten und kleinsten Kräfte für sämtliche Stäbe zu erhalten.
Für gewölbte Dächer verwendet man Fachwerke, bei denen die obere oder beide Gurtungen gekrümmt sind, z.B. Sichelträger (s. S. 537). Die Berechnung dieser Fachwerke wird ähnlich wie die der Brückenfachwerke mit gekrümmten Gurtungen durchgeführt (vgl. Parabelträger,[540] Halbparabelträger). Kuppeldächer sind im allgemeinen als räumliche Fachwerke anzusehen und zu berechnen. Der Einfluß von Beladungen, die sich über die ganze Dachfläche verteilen (Eigengewicht), kann meist auf einfache Weise bestimmt werden. Die Berechnung des Einflusses einseitiger Latten (Wind) dagegen führt zu ziemlich verwickelten Kräfteplänen.
Literatur: Culmann, Graphische Statik, Zürich 1866; Tetmajer, Aeußere und innere Kräfte, Zürich 1875; Winkler, Theorie der Brücken, Heft 2, Wien 1881; v. Ott, Das graphische Rechnen und die graphische Statik, Prag 188485; Müller-Breslau, Graphische Statik der Baukonstruktionen, Leipzig 188792; Schäffer u. Sonne, Handbuch des Brückenbaus, Leipzig 1904; Ritter, Anwendung der graphischen Statik, 2. Teil, Zürich 1890; Lauenstein, Graphische Statik, Stuttgart 1890; Keck, Graphische Statik, Hannover 1894; Zahlreiche Zeitschriftenartikel; Ueber räumliche Fachwerke s. Hacker, Einflußlinien für Stabwerke im Raum, Zeitschr. des Hann. Aren.- u. Ing.-Ver. 1891; Müller-Breslau, Beitrag zur Theorie der räumlichen Fachwerke, Zentralbl. der Bauverwaltung 1892; Foeppl, Das Fachwerk im Räume, Leipzig 1892; Förster, Die Eisenkonstruktionen der Ingenieurhochbauten, Leipzig 1900; Mehrtens, Vorlesungen über Statik der Baukonstruktionen u.s.w.; Leipzig 1903.
(W. Ritter) Mörsch.