Paulische Träger

[54] Paulische Träger sind Balkenfachwerke (s.d.) mit einer Oeffnung, bei welchen alle Stäbe einer Gurtung oder beider Gurtungen gleiche Maximalbeanspruchungen erleiden. Man wollte hierdurch konstante Gurtungsquerschnitte und möglichst vorteilhafte Ausnutzung des Materials erreichen [6], S. 83. Die beiden Gurtungen solcher Träger treffen sich an den Auflagern, so daß besonders Segmentträger (eine Gurtung horizontal, Fig. 1, 2) und Linsenträger (Gurtungen symmetrisch zu einer Horizontalen, Fig. 3, 4) in Betracht kommen.

Auch Parabelträger (s.d.) von Segmentform können konstante Maximalbeanspruchungen des Horizontalgurts erlangen (bei gleichmäßig verteilten festen und bewegten Lasten). v. Pauli in München beabsichtigte jedoch, beiden Gurtungen konstante Maximalbeanspruchungen zu gebe H. Dies ist bei einteiligem Fachwerk (Fachwerk einfachen Systems, Fig. 1–3, s. Bd. 3, S. 534, 543) nicht genau, annähernd aber durch Linsenträger zu erreichen, wie schon vor Pauli nach dem Vorbild der Körper von gleichem Widerstande (s. Bd. 5, S. 540) erkannt worden war [1]–[3]. Die ersten Paulischen Träger waren Linsenträger mit nur auf Zug widerstandsfähig vorausgesetzten Diagonalen (erste Ausführung: Isarbrücke bei Großhesselohe [6], bedeutendstes Bauwerk: alte Mainzer Rheinbrücke), während später auch Segmentträger mit konstant beanspruchtem Polygonalgurt hinzukamen (Brücken bei Rechtenstein und Zeit in Württemberg, Warthebrücke bei Posen u.s.w.). Wird bei zweiteiligem Linsenträger mit gekreuzten Diagonalen (Fig. 4) die Berechnung für gleichmäßig verteilte Lasten auf Grund der Zerlegung in einfache Systeme durchgeführt (vgl. Bd. 3, S. 543), so ergeben sich für alle Stäbe beider Gurtungen numerisch gleiche Maximalbeanspruchungen.

Es handle sich um die Formberechnung eines Paulischen Trägers einfachen Systems von der Spannweite l, Felderzahl n, Feldlänge λ und in der Mitte gewünschten Trägerhöhe h. Werden hierbei das Eigengewicht und die Verkehrslast als gleichmäßig verteilt auf die ergriffenen Strecken angenommen, so setze man bei gerader Felderzahl n = 2 σ und ungerader Felderzahl n = 2 σ + 1:


Paulische Träger

sowie allgemein:


Paulische Träger

dann hat man für den Segmentträger Fig. 1, 2:


Paulische Träger

und für den Linsenträger Fig. 3:


Paulische Träger

Mittels dieser Gleichungen läßt sich zunächst h1 aus h0 = 0, sodann h2 aus dem nun bekannten h1 und überhaupt vom Auflager 0 nach der Mitte hin eine Vertikalenlänge aus der andern berechnen. Die Vertikalenlänge hσ, die sich für die Mitte ergibt, weicht nur wenig von dem angenommenen h ab (in den Beispielen [12], B. 62 und 65 hσ = 6,005 m und hσ = 6,002 m gegen h = 6 m). Wenn jedoch ohnehin zweimal gerechnet wird, so kann man unter Verwendung der erhaltenen Gurtungsstablänge xσ in der Mitte für die zweite Berechnung anstatt 1. setzen:


Paulische Träger

und damit noch genauere Resultate erhalten. Es ist selbstverständlich der stets gewünschten Symmetrie wegen nur die erste Trägerhälfte zu berechnen. Bei ungerader Felderzahl würden jedoch durch Umklappen dieser Hälfte im mittleren Felde gebrochene Stäbe entstehen können, welche dann ohne in Betracht kommende Folgen durch horizontale zu ersetzen sind. Ueber graphische Formbestimmung s. [9], [11], S. 148, 152. Die Form des Paulischen Trägers weicht nur wenig von derjenigen des Parabelträgers ab, derart, daß die Vertikalenlängen bei ersteren für gleiche h, n besonders gegen die Enden hin etwas größer sind. Für einen Segmentträger von h = 6 m, n = 10 ergaben sich ([12], S. 270):


Paulische Träger

für einen Linsenträger von h = 6 m, n = 10 ([12], S. 281):[54]


Paulische Träger

Bezeichnen g das Eigengewicht, p die Verkehrslast und q = g + p die Gesamtlast pro Längeneinheit Träger, so hat man für die nach 3., 4. berechneten Träger (Fig. 1 und 3) die Maximalbeanspruchungen der Gurtungsstäbe im m ten Felde, deren Längen durch xm, zm bezeichnet sind:


Paulische Träger

Für. Fig. 2 sind nur die Vorzeichen zu vertauschen. Die Minimalbeanspruchungen sind g/q mal so groß als die Maximalbeanspruchungen 6. Für Segmentträger (Fig. 1, 2) ist konstant zm = λ, für Linsenträger weicht zm so wenig von xm – 1 ab, daß auch die Zm für die Dimensionierung als konstant gelten können. Eine Ausnahme von 6. bilden die Untergurtstäbe des ersten Feldes, für die man beim Segment- und Linsenträger für jede Belastung hat:

Z1 = Z2 bezw. Z1 = – X1.

7.


Für die Diagonalen und Vertikalen bestehen die unter Balkenfachwerke angeführten Formeln, bezüglich der Gegendiagonalen, die bei nur auf Zug widerstandsfähigen Diagonalen in allen Feldern nötig sind, s. Bd. 4, S. 341.

Ableitung obiger Formeln und entsprechender für andre Stellung der Hauptdiagonalen [11], § 46, Beispiele der Anwendung [12], B. 62, 65, 73, 74. Analoge Beziehungen für die Berechnung mit bewegten Radlastzügen [11], 47, Anwendung derselben [12], B. 63, 66, 73, 74, Berechnung mit Lastäquivalenten anstatt Radlastzügen [12], B. 64, 67, 73, 74. Formeln für Paulische Segment- und Linsenträger doppelten Systems mit gekreuzten Diagonalen (z.B. Fig. 4) [11], 99, 100, Beispiele hierzu für gleichmäßig verteilte bewegte Last, bewegte Radlastzüge und Lastäquivalente [12], B. 125–130. Da für die Maximalbeanspruchungen aller Gurtungsstäbe die Vollbelastung des ganzen Trägers maßgebend ist, so genügt es auch bei Eisenbahnbrücken, die Formberechnung auf Grund einer gleichmäßig verteilten Last durchzuführen, von deren Größe die Trägerform nach obigen Gleichungen unabhängig ist.

Für die erste Brücke mit Paulischen Trägern rechnete man eine Materialersparnis von 25–30% gegen die damals ausgeführten Fachwerkbrücken heraus [6], S. 91, doch waren späteren Konstruktionen von ähnlichen Formen gegenüber (Parabelträger, Schwedlerträger u.s.w.) keine erheblichen Differenzen vorhanden, nach Winkler z.B. gegen Parabelträger 2–3% Ersparnis (Gitterträger, Wien 1875, S. 16, vgl. [10], S. 159). Da aber Nachteile der Paulischen Träger gegenüber den Parabelträgern nicht bestehen und konstante Gurtungsquerschnitte sowie etwas größere mittlere Höhe erwünscht sind, so kann sich die Anwendung Paulischer Träger je nach Umständen auch heute noch empfehlen.


Literatur: [1] Navier, Résumé des leçons sur l'application de la mécanique etc., Paris 1826, S. 280. – [2] Débia, Bemerkungen über das System der unterspannten Brücken, Dinglers Polyt. Journ. 1829, XXXIV, S. 23. – [3] Laves, Mémoire explicatif d'un nouveau système en construction, Havre 1839; s.a. Rombergs Zeitschr. für praktische Baukunst 1841, S. 297. – [4] Köpcke, Ueber Träger von gleichem Widerstande, insbesondere die Anwendung derselben zu Brücken durch Laves und Pauli, Zeitschr. des Arch.- u. Ing.-Ver. zu Hannover 1858, S. 292. – [5] Gerber, Das Paulische Trägersystem und seine Anwendung auf Brückenbauten, Nürnberg 1859 (als Manuskript gedruckt bei Campe). – [6] Ders., Die Isarbrücke bei Großhesselohe, Allg. Bauztg. 1859, S. 82. – [7] Ders., Ueber die Berechnung der Brückenträger nach dem System Pauli, Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1865, S. 463 (Berechnung der Mainzer Brücke, S. 474). – [8] Ritter, Elementare Theorie und Berechnung eiserner Dach- und Brückenkonstruktionen, Hannover 1873, S. 257. – [9] Melan, Fachwerke mit konstanter Gurtungsspannung, Wochenschr. des Oesterr. Ing.- u. Arch.-Ver. 1878, S. 197 (Segmentträger nach Haberkalt, s. indessen Schäffer, Zeitschr. f. Bauwesen 1865, S. 150). – [10] Winkler, Theorie der Brücken, II, Theorie der gegliederten Balkenträger, Wien 1881, S. 155–159, 214–216. – [11] Weyrauch, Theorie der statisch bestimmten Träger für Brücken und Dächer, Leipzig 1887, S. 146, 151, 153, 338, 341, 344. – [12] Ders., Beispiele und Aufgaben zur Berechnung der statisch bestimmten Träger für Brücken und Dächer, Leipzig 1888, S. 269–289, 310–320, 511–531.

Weyrauch.

Konstruktive Durchbildung der Paulischen Träger. Die von dem bayrischen Baudirektor Pauli [2] zuerst 1857 bei der Isarbrücke bei Großhesselohe [1] zur Ausführung gebrachte und nach ihm benannte Trägerform ist auf Grund der Bedingung abgeleitet, daß die Spannung beider Gurte bei Vollbelastung durchaus konstant wird. Der Träger unterscheidet sich nur wenig von einem linsenförmigen Parabelträger, dem gegenüber die Trägerhöhen gegen die Auflager hin etwas vergrößert sind. In den von Pauli erbauten Brücken (größte derselben die 1862 vollendete Mainzer Rheinbrücke, altes Gleis [1]) besteht der Untergurt aus wagerecht übereinander liegenden Blechen (Bandgurt), an welchen die Knotenbleche für die aus Flachstäben gebildeten, gekreuzten Ausfachungsstäbe unter Vermittlung von Winkeleisen mittels Schraubenbolzen angeschlossen sind. Diese Verbindung kann nur mit Rücksicht auf die schwachen Kräfte in der Ausfachung als ausreichend angesehen werden. Bei den älteren Paulischen Trägern ist auch die Konstruktion der Druckgurte eine mangelhafte. Die Fahrbahn ist entweder an die verlängerten Vertikalpfosten angehängt (Mainzer Brücke) oder oben auf die Träger gestützt (Isarbrücke).


Literatur: [1] Klein, L. v., Sammlung eiserner Brückenkonstruktionen, Stuttgart 1864. – [2] Zeitschr. f. Baukunde 1884, S. 379.

Melan.

Graphische Berechnung. Die Form des Paulischen Trägers fußt auf der Bedingung, daß die Kraft in den Gurtstäben bei voller Belastung konstant sei. Um dieser Forderung zu genügen,[55] zeichnet man von jedem Pfostenmittelpunkt aus einen Kreis, dessen Halbmesser dem größten Biegungsmomente am betreffenden Pfosten proportional ist, und zieht, am Auflager beginnend, fortlaufend Tangenten an diese Kreise (s. die Figur). Bezeichnet l die Spannweite, h die Höhe des Trägers in der Mitte und q die volle Belastung pro Längeneinheit, so ist jetzt die Gurtungskraft durchgehends gleich 1/8 q l2 : h.


Paulische Träger

Zur Berechnung der Strebenkräfte ist das für den Halbparabelträger angegebene allgemeine Verfahren einzuschlagen. Angenähert wird die Forderung einer konstanten Gurtungskraft auch dann erfüllt, wenn man die Gurtungen einfach nach einer Parabel krümmt.


Literatur: Culmann, Graph. Statik, Zürich 1866; Ritter, W., Anwendungen der graph. Statik, 2. Teil, Zürich 1890.

Mörsch.

Fig. 1., Fig. 2., Fig. 3.
Fig. 1., Fig. 2., Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 4.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 54-56.
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Faksimiles:
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