Fernrohr [3]

[260] Fernrohr. Nach Ernst Abbes Vorgang faßt man heutzutage das Fernrohr als teleskopisches System, d.h. als Kombination zweier Linsengruppen – des Objektivs und des Okulars – auf, die einen Brennpunkt, daher auch eine Brennebene gemeinsam haben.

Ein in das Objektiv unter einem gewissen Winkel φ gegen die Achse eintretendes Parallelstrahlenbündel verläßt das Okular als ein unter einem andern Winkel φ' gegen die Achse geneigtes Parallelstrahlenbündel. Das Verhältnis φ' : φ ist die Vergrößerung. Beim astronomischen Fernrohre fällt der hintere Brennpunkt des Objektivs mit dem vorderen Brennpunkte des Okulars zusammen, während er beim holländischen Fernrohre mit dem hinteren Brennpunkte des Okulars zusammenfällt. – Fig. 1 zeigt in schematischer Weise den Strahlengang im astronomischen Fernrohre; AB deute das verschwindend dünn gedachte Objektiv, CD das verschwindend dünn gedachte Okular an. F ist der gemeinsame Brennpunkt beider Linsengruppen; durch ihn geht senkrecht zur Achse die gemeinsame Brennebene, in der die Brennpunkte der schief einfallenden Parallelstrahlen liegen. Denken wir uns beispielsweise die Fernrohrachse auf den Mittelpunkt der Sonne gerichtet, so stellt das von links einfallende Parallelstrahlenbüschel die von einem Punkte des Sonnenrandes ausgehenden Strahlen dar, und der Winkel φ ist die scheinbare Größe des Sonnenhalbmessers. Die das Objektiv verlassenden [260] Strahlen gehen durch einen in der Brennebene liegenden Nebenbrennpunkt Φ, den man als Schnittpunkt dieser Ebene mit dem durch den Mittelpunkt des Objektivs gehenden Strahle findet. Die Strahlen fallen nun auf das Okular und verlassen es als Parallelstrahlenbündel, dessen Neigungswinkel φ' gegen die Achse man findet, indem man Φ mit dem Mittelpunkte des Okulars verbindet; φ' ist die scheinbare Größe des Halbmessers des unendlich fernen und unendlich großen Sonnenbildes, φ' : φ daher die Vergrößerung. Ist f1 die Brennweite des Objektivs, f2 die des Okulars, FΦ = h, so ist, da es sich um kleine Winkel handelt, φ = h : f1, φ' = h : f2, also φ' : φ = f1 : f2. Das Bild ist verkehrt, da die von links oben nach rechts unten gehend in das Objektiv eintretenden Strahlen das Okular von links unten nach rechts oben verlassen.

Im holländischen Fernrohre ist der Strahlengang analog; da aber der gemeinsame Brennpunkt F jetzt rechts von CD liegt, ist die zwischen AB und CD liegende Entfernung nicht f1 + f2, sondern f1f2. Die Bilder ergeben sich hier aufrecht. – Auch das Spiegelteleskop läßt sich in genau derselben Weise behandeln.

Von den Himmelskörpern ergeben nur die Sonne, der Mond, die großen Planeten und die Kometen eine eigentliche Vergrößerung; die Fixsterne erscheinen auch bei stärkster Vergrößerung nur als leuchtende Punkte ohne meßbare Durchmesser. Da aber das Fernrohr eine Zunahme der Lichtmenge annähernd im Verhältnisse f12 : f22 erzeugt, und dieser Zunahme der Lichtmenge keine Zunahme des scheinbaren Durchmessers gegenübersteht, bewirkt das Fernrohr bei punktförmigen Objekten eine sehr bedeutende Zunahme der Helligkeit, durch die schwächere Fixsterne, Planetoiden, Satelliten der Planeten, überhaupt erst sichtbar werden und die Zahl der Fixsterne mit zunehmender optischer Kraft der Instrumente ins Ungemessene wächst. – Mit zunehmender Vergrößerung wächst ferner die Genauigkeit, mit der sich die Fernrohrachse auf den eigentlichen Ort des Sterns einstellen läßt, wächst also die Genauigkeit der astronomischen Beobachtungen, die für ihren Wert maßgebend ist.

Das Gesichtsfeld des astronomischen Fernrohrs wird durch den Durchmesser der in der Brennebene befindlichen Blende, die auch das Fadenkreuz trägt, bestimmt; es ist die vom Mittelpunkte des Okulars aus genommene scheinbare Größe dieses Durchmessers.

Das Objektiv des Fernrohrs ist stets ein achromatisches Linsensystem, das aus zwei, bei sehr großen Instrumenten zum Zwecke weitgehender Korrektion der sphärischen und chromatischen Aberration manchmal auch aus drei Teilen zusammengesetzt ist. Die Achromasie (s.d., S. 4) des Systems ist von der Art, daß die Brennpunkte für zwei, manchmal auch für drei Farben zusammenfallen.

Das Okular ist beim astronomischen Fernrohre ein Ramsdensches (s. Mikroskop). In der gemeinsamen Brennebene des Objektivs und des Okulars befindet sich das Fadenkreuz, das bei größeren Instrumenten aus einer größeren Anzahl vertikaler Fäden, die von einem durch den Mittelpunkt des Gesichtsfeldes gehenden wagerechten Faden durchschnitten werden, besteht.

Die Aufstellung oder Montierung des Fernrohrs muß dem Laufe des beobachteten Gestirns am Himmel zu folgen gestatten. Dazu sind zwei aufeinander senkrechte Achsen erforderlich. Bei kleineren Fernrohren ist gewöhnlich eine Achse lotrecht, die andre also wagerecht gerichtet. Größere Instrumente werden parallaktisch oder äquatorial montiert; eine Achse ist der Erdachse parallel, zeigt also nach dem Himmelspole, während die andre auf der ersten senkrecht ist, sich also in der Ebene des Aequators bewegt. Was die Anordnung der Achsen betrifft, so sind vor allen Dingen zwei Haupttypen wichtig – die Fraunhofersche oder deutsche und die englische Montierung, die sich vorwiegend für photographische Aufnahmen eignet, da sie nicht, wie die erstere, bei Beobachtungen in der Nähe des Zeniths das Umlegen des Fernrohrs auf die andre Seite der Achse erfordert. – Das Meridianinstrument besitzt nur eine, auf der Ebene des Meridians rechtwinklige Achse; das Fernrohr bewegt sich daher nur in der Ebene des Meridians und dient zur genauen Beobachtung des Meridiandurchgangs eines Gestirns.

Das alte terrestrische Linsenfernrohr ist als eine Kombination zweier astronomischer Fernrohre zu betrachten. Das Okular besteht wenigstens aus drei Sammellinsen; das Objektiv in Verbindung mit der ersten von ihnen bildet ein astronomisches Fernrohr, während das zweite durch die beiden letzten Okularlinsen gebildet wird. Durch die zweimalige Umkehrung entsteht eine Wiederaufrichtung des Bildes. Gewöhnlich aber ist das Okular vierteilig, da es[261] ja schon beim gewöhnlichen astronomischen Fernrohre zweiteilig ist. Heute sind die terrestrischen Linsenfernrohre durch die Prismenfernrohre vollständig verdrängt worden; in diesem wird die Wiederaufrichtung des Bildes durch viermalige Spiegelung an den Kathetenflächen zweier rechtwinklicher Prismen, deren Hypotenusenflächen in eine Ebene fallen, bewirkt. Fig. 2 zeigt die Anordnung der Prismen und den Strahlengang in ihnen. Die Prismenfernrohre sind bedeutend kürzer und geben viel schärfere und farbenfreiere Bilder als die terrestrischen Linsenfernrohre.

F. Meisel.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 9 Stuttgart, Leipzig 1914., S. 260-262.
Lizenz:
Faksimiles:
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