Flußeisen [2]

[290] Flußeisen. Das Siemens-Martin-Verfahren hat in den letzten Jahren eine rasche Entwicklung erfahren. Die Größe der Oefen wurde bis auf 100 t Fassungsvermögen gesteigert. Die gebräuchlichste Fassung beträgt in Deutschland 20–40 t bei einer Länge der Oefen von 12–18 m und einer Breite von 4–5 m. Eine Zusammenstellung der Abmessungen einer großen Anzahl Oefen enthält [1] und [2].

Zum Zwecke der Vermeidung langer Reparaturstillstände hat man die Oefen mit auswechselbaren Ofenköpfen a (Fig. 1 und 2, kippbarer 50-t-Martin-Ofen der Julienhütte, O.-S., mit auswechselbaren Köpfen, Bauart Friedrich [4], [5]) versehen. An die Stelle von Generatorgas tritt jetzt vielfach Koksofengas [4]; auch Teeröle werden zur Beheizung der Oefen verwendet. Die Abhitze der Oefen sucht man zur Gewinnung von Dampf zu verwerten [5]. Die Verarbeitung von flüssigem Roheisen gewinnt eine immer stärkere Bedeutung. Für die Roheisenerzverfahren kommen in Deutschland folgende Verfahren in Betracht:

1. Roheisenerzverfahren mit flüssigem Roheiseneinsatz von niedrigem und mittlerem Phosphorgehalt, und zwar: a) bei direktem Bezug vom Hochofen; b) bei Einschaltung eines[290] gewöhnlichen (heizbaren) Mischers; c) eines Vorfrischmischers, in dem ein Teil der Nebenbestandteile des Roheisens unter Zuschlag von Erz und Kalk entfernt wird.

2. Bertrand-Thiel-, bezw. Hoesch-Verfahren (D.R.P. Nr. 189871) mit flüssigem Roheiseneinsatz von hohem Phosphorgehalt (Thomasroheisen). Beim Hoesch-Verfahren wird der Ofen mit Alteisen und flüssigem Thomasroheisen (70–80% des Einsatzes) beschickt und 22–26% (vom Ausbringen) Erz oder Walzensinter und 10% Kalk als Zuschlag gegeben. Man entfernt den Kohlenstoff bis auf 1,5 bis 2% flicht dann in eine Gießpfanne ab und läßt die hochphosphorhaltige Schlacke durch Schrägstellen der Pfanne ab. Das Metall wird dann wieder unter Zugabe neuer Zuschläge in den Ofen zurückgegossen, worauf die völlige Entphosphorung und Entkohlung erfolgt. Da durch den hohen Phosphorgehalt des Einsatzes viel Eisen aus dem Erz reduziert wird, so ist das Ausbringen an Flußeisen ein höheres als bei andern Roheisenerzverfahren. Die tägliche Leistung eines 30-t-Ofens beträgt etwa 125 t. Die 13–15% (vom Ausbringen) betragende Schlackenmenge der ersten Periode enthält 20–25% Phosphorsäure und wird als Düngemittel verwendet.

Zur Beschickung der Oefen mit Alt- und Zuschlagmaterial werden jetzt auf modernen Werken allgemein zwecks Beschleunigung des Füllens und Erhöhung der Produktion Beschick- oder Chargiermaschinen verwendet. Sie besitzen (Fig. 3) einen Auslegerarm, der die mit dem Altmaterial gefüllten Mulden der Reihe nach aufnimmt, in den Ofen hineinschiebt und durch Drehen des Arms entleert. Die Chargiermaschinen werden als Krane wie in Fig. 3 oder als auf Schienen laufende Wagen gebaut; der Arm macht bis zu sechs verschiedene Bewegungen.

Bei den Birnen-(Konverter-)Prozessen ist die Größe der Konverter bis auf 30 t Fassung gestiegen.

Die Gießvorrichtungen der Stahlwerke sind auf einzelnen Werken nach amerikanischem Vorbild derart angeordnet, daß die Gußformen (Kokillen) auf kleinen Wagen aufgeteilt werden können, auf denen das Eingießen des flüssigen Metalls erfolgt. Nach dem Erstarren des Inhalts werden die Kokillen durch besonders gebaute Abstreif- oder Stripperkrane von den auf den Wagen stehenden Blöcken abgezogen.

Elektroflußeisen bezw. Stahl. Die Herstellung von Flußeisen bezw. Stahl im elektrischen Ofen gewinnt eine immer mehr steigende Bedeutung. Ueber die zur Durchführung der Verfahren angewandten Ofensysteme s. Bd. 6, Oefen für technische Zwecke.

Die elektrische Stahlerzeugung erfolgt entweder aus Roheisen (fest oder meist flüssig eingesetzt) durch Entfernung (Oxydation) seiner Nebenbestandteile mittels Eisenerz und Kalk, oder aus Altmaterial (Schrott) oder aus flüssigem Stahl, der einer Nachraffinierung unterzogen wird. Das Einschmelzen von festem Schrott ist nur bei billigen Stromkosten ökonomisch. Am häufigsten, weil in der Regel am billigsten, wird das Nachraffinieren von flüssigem Thomas-, Bessemer- oder Siemens-Martin-Flußeisen ausgeführt.[291]

Da schädliche Beeinflussungen des Metallbads durch Verbrennungsgase und Luft oder durch direkte Einwirkung des Brennstoffs, also insbesondere der Aufnahme von Schwefel und von Gasen ausgeschlossen ist, so erzielt man ein Produkt von erhöhter Qualität.

Ueber Betriebsresultate elektrischer Oefen s. [5], [6].


Literatur: [1] Dechmann, C., Der basische Herdofenprozeß, Berlin 1910. – [2] Pavloff, M.A., Die Abmessungen von Martinöfen, Berlin 1911. – [3] Mayer, A., Die Wärmetechnik des Siemens-Martinofens, Halle 1910. – [4] Berichte des Internationalen Kongresses für Bergbau, Hüttenwesen u.s.w. Düsseldorf 19.–23. Juli 1910. Berlin 1910. – [5] »Stahl und Eisen.« – [6] Rodenhäuser, H. und Schönawa, J., Elektrische Oefen in der Eisenindustrie, Leipzig 1911.

A. Widmaier.

Fig. 1 und 2.
Fig. 1 und 2.
Fig. 3.
Fig. 3.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 9 Stuttgart, Leipzig 1914., S. 290-292.
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