[116] Flußgebiet. Das Wort ist gleichbedeutend mit Flußsystem (franz. Bassin) und kennzeichnet denjenigen Teil der Landoberfläche, von dessen sämtlichen Punkten das abrinnende Wasser sei es direkt oder nach Zurücklegung verschiedener Zwischenwege einem bestimmten Wasserlaufe zugesandt wird. Dieser letztere bildet den Hauptfluß; die tributären Gewässer werden als Nebenflüsse, Zuflüsse, Beiflüsse bezeichnet.
In sehr vielen Fällen erkennt man sofort, welche Wasserader als Hauptfluß zu gelten habe, aber in andern ist die Unterscheidung schwieriger, und es ist oft, wie Wisotzki [1] zeigte, nicht ganz leicht, einwurfsfreie Kriterien für die Zuteilung des Namens Haupt- oder Nebenfluß aufzustellen. Nach neueren Untersuchungen kann man bei der Vereinigung zweier Wasserlaufe als Hauptfluß mit einigem Recht denjenigen ansprechen, der im wesentlichen seine Richtung beibehält (Mississippi-Missouri, Donau-Inn); alle Tributären haben den Hauptstrom zur gemeinsamen Asymptote [2], d.h. es läßt sich, worauf zuerst Peschel [3] aufmerksam gemacht hat, tatsächlich konstatieren, daß die Vereinigung des sekundären Flusses mit dem primären fast immer unter einem sehr spitzen Winkel stattfindet.
Verschiedene Flußsysteme sind durch Wasserscheiden voneinander getrennt. Sind diese nur ganz schwach markiert, so kann es zu vorübergehender Flußvermischung kommen, wie dies im zentralen Afrika während der Regenzeit keine Seltenheit ist. Auch kann die trennende Bodenschwelle durch Erosion dauernd zerstört werden, und dann entstehen Bifurkationen und natürliche Stromkanäle [4]; Belege dafür lassen sich anführen aus dem nordamerikanischen Staate Maine, aus der westfälischen Niederung nördlich vom Teutoburger Walde, aus dem Amselfelde auf der Balkanhalbinsel, und vor allem ist hier der Cassiquiare in Südamerika zu nennen, der die Stromgebiete des Amazonas und Orinoko miteinander verbindet. Endlich scheint auch ein unterirdischer Zusammenhang zwischen zwei Systemen häufiger vorzukommen, als man früher annahm. Die moderne geographische Technik hat den Nachweis solcher Verbindung dadurch[116] zu führen gelehrt, daß man in gewisse Quellen oder Wasserläufe geeignete Stoffe Kochsalz, Sägespäne, vor allem aber Färbemittel (Fluorescein) einschüttet [5], um bald nachher das Auftreten ebendieser Materialien an räumlich oft weit entfernten Wasseraustritten wahrzunehmen.
Jeder Stelle eines Flußgebietes entspricht ein Einzugsgebiet [6]. Es ist dies derjenige Flächenraum, dessen oberirdisch abfließende Gewässer die fragliche Stelle passieren.
Literatur: [1] Wisotzki, Hauptfluß und Nebenfluß, Stettin 1889. [2] Boussinesq, Essai sur la théorie des eaux courantes, Mémoires préséntes par divers savants à l'Académie des sciences, Bd. 23, S. 1 ff.; Günther, Ueber gewisse hydrologisch-topographische Grundbegriffe, Sitzungsber. d. Math.-phys. Kl. der Kgl. bayr. Akademie, Bd. 32, S. 17 ff. [3] Peschel, Neue Probleme der vergleichenden Erdkunde, Leipzig 1878, S. 141 ff. [4] Penck, Morphologie der Erdoberfläche, 1. Teil, Stuttgart 1894, S. 342 ff. [5] Knop, Ueber die hydrographischen Beziehungen zwischen der Donau- und der Aachquelle im badischen Oberlande, Neue Jahrb. für Mineralogie und Geologie 1878, S. 350 ff.; De Stefani, Studio idro-geologico sulla sorgente della Polaccia nelle Alpi Apuane, Memorie della Soc. Geogr. Ital., Rom 1896, S. 384 ff. [6] Penck, ebend., S. 261.
Günther.