[502] Erosion, auch Abtragung, die Gesamtheit derjenigen mechanischen und auch chemischen Erscheinungen, die auf die Zerstörung, vornehmlich aber auf die mechanische Auflockerung der Gesteine und auf die Weiterbeförderung der Bruchstücke und kleinen Teilchen hinzielt.
Soweit letztere in Betracht kommt, ist die Erosion in nackten, vegetationslosen Gebieten stärker als in bewachsenen. Die einzelnen Vorgänge der Erosion bestehen in der Loslösung der Bruchstücke von anstehendem Gestein (Ablation), in der Reibung, welche die Bruchstücke bei der Fortbewegung (Korrosion) ausüben, in der Weiterbeförderung und Ablagerung der losgelösten Teilchen. Das Endergebnis der Erosion wird die Abtragung (Denudation) der Gebirge und die Ausfüllung der Niederungen, also auch die Ausfüllung der Meeresräume sein. Insofern bewirkt die Erosion vielleicht die wichtigsten Veränderungen, denen die Erdoberfläche ausgesetzt ist, und ihr verdankt man im großen ganzen das Relief der Erdoberfläche im kleinen. Rücksichtlich der wirksamen Kräfte, welche die Erscheinungen der Erosion hervorrufen, teilt man diese ein in Erosion durch Wind, Wasser, Eis und Schnee. Ihr vorausgehen muß die mechanische Lockerung des Zusammenhangs der Gesteine und deren Zerfall. Sie ist in erster Linie eine Folge von Wärmeschwankungen der Luft und der Sonnenstrahlen. Wirken letztere längere Zeit auf das Gestein, so erwärmen sie es und dehnen es aus. Starke nächtliche Abkühlung veranlaßt ein beträchtliches Zusammenziehen des Gesteins, und durch diese Wechselwirkung wird der Zusammenhang des Gesteins vielfach gelockert, die Steine zerspringen und zerfallen. Hierbei wirken die Ungleichheiten in der Farbe, Ausdehnung und Wärmeleitung der gemengten Gesteine mit. Das in den Haarspalten der Gesteine vorhandene Wasser dehnt sich beim Gefrieren aus und erzeugt somit hier Erweiterung der Spalten und Zerfall in kleine Teile. Ferner sind es Organismen (Flechten, Moose), die an der Oberfläche die Gesteine anfressen, ätzen, Vertiefungen erzeugen (vornehmlich an Kalken), und Pflanzenwurzeln, welche die Gesteine sprengen. Endlich geben molekulare Umwandlungen, Volumenvergrößerungen durch Wasseraufnahme u.s.w. Anlaß zu inneren Spannungen, deren Auslösung meist eine Zertrümmerung des Gesteins zur Folge hat.
Erosion durch Wind. Die kleinsten Teilchen der zertrümmerten Gesteine werden vom Wind als Staub und Sand aufgenommen, wenn sie trocken sind, und weitergetragen. Die Wirkung des Windes ist natürlich in trockenen, niederschlagsarmen und vegetationslosen Gegenden (Sandwüsten) erheblich stärker als in feuchten und bewachsenen. Hier werden die vom Wind weitergetragenen Teilchen nur selten zu selbständigen Ablagerungen angehäuft, weil der bald folgende Regen die Teilchen wieder abschwemmt. Dünen an flachen Küsten und steriler Flugsand sind die einzigen durch Wind erzeugten Ablagerungen in regenreichen Zonen. Die gröberen und härteren Teilchen schleifen andre größere Stücke ab und üben so selbst wieder Erosion. Bei den Aschenauswürfen der Vulkane wird die Tragkraft des Windes in Anspruch genommen.[502]
Erosion durch fließendes Wasser. Das auf die Erde niederfallende Wasser fließt, dem Gesetze der Schwere folgend, abwärts und reißt auf dem Weg eine Menge kleiner und kleinster Teilchen mit sich, indem es sie schwebend in sich aufnimmt. Wir sehen diese Teilchen als Trübung im Wasser. Die Größe der schwebenden Teilchen richtet sich nach der Wasserhöhe, dem Gefälle und nach dem Eigengewicht der Teilchen. Neben den schwebenden Teilchen werden am Boden des Fließwassers noch größere Bruchstücke fortgestoßen und weitergewälzt. Durch die so wirkende Erosion des Fließwassers wird wohl der bedeutendste Teil aller Erosion geleistet werden, denn die meisten unsrer Täler sind durch die sogenannte rückschreitende Erosion, das sich nach rückwärts immer tiefere Eingraben der Fließwasserrinne, zustande gekommen. Die rückschreitende Erosion besteht aber hauptsächlich in dem Transport kleiner und kleinster Teilchen von der Höhe nach der Tiefe. Den Vorgang des Abwaschens der von Gesteinen losgelösten kleinen Teilchen nennt man auch Denudation oder Entblößung. Hierin sind auch diejenigen mechanischen Wirkungen des auffallenden Regens inbegriffen, die durch den Anprall der Tropfen Teilchen vom anstehenden Gestein loslösen. Das fließende Wasser löst besonders als Regen im kohlensäurehaltigen Zustande eine Menge Stoffe auf und verstärkt so den abtragenden Einfluß noch mehr. Es unterwühlt in mächtigen Rinnen die Ufer und läßt die überhängenden Teile desselben in das Bett abbrechen (Uferbrüche). Es zerreibt und zertrümmert durch Rollung die am Boden des Stromes bewegten Gesteinsbrocken und die in das Bett hineinragenden Felsen und vergrößert somit durch Substanzverminderung, -lösung und -zertrümmerung die Erosionsfähigkeit der Gesteine. Villot und Oppermann fanden in 1 l Wasser der Durance im Maximum 40,4 g schwebende Teile, im Jahresmittel etwa 3g. Der Mississippi führt in 10000 Vol. 14,68 Vol., der Ganges 19,43 Vol., die Donau 3,26 (zehnjähriges Mittel) schwebender Teile. A. de Lapparent veranschlagt die jährliche Menge der von den Flüssen ins Meer geführten schwebenden Teile zu 10,43 cbkm, die Menge der gelösten Teile zu 4,92 cbkm, also den Gesamtverlust des Festlandes auf über 15 cbkm, was einer mittleren Erniedrigung der Kontinente um 0,11 mm im Jahr gleichkäme. In ungestörter Fortwirkung der Erosion des fließenden Wassers würde demnach in 41/2 Millionen Jahren das Niveau des Meeres und des Landes gleich sein. Ohne dieser Berechnung eine allzu große Genauigkeit beimessen zu wollen, zeigt sie doch, daß das Fließwasser der bedeutendste Erosionsfaktor ist. Die von ihm erzeugten Ablagerungen auf dem Festland (Kies, Sand, Lehm, Löß) geben von der Größe desselben einen hinreichenden Begriff.
Erosion durch Schnee und Eis. Die erodierende Wirkung des Schnees erweist sich vor allem in der Lawinenbildung, dem Absturz großer Schneemassen, von denen große Felsblöcke und Material des Untergrundes mitgerissen werden. Die erosive Tätigkeit der Gletscher ist eine bedeutendere und äußert sich im Transport grober Gesteinsmassen auf weiten und wenig geneigten Strecken (vgl. Erraticum, Diluvium). Sie gibt sich aber auch kund durch das Abschleifen des Untergrundes und der Seitenwände des Gletschers und die mechanische Zertrümmerung des mitgeführten Schuttmaterials. Letztere bedingt zugleich eine feinere Zerteilung und eine Vermehrung der gelösten Bestandteile. Die von dem Gletscher abfließenden Schmelzwasser äußern die oben dem Fließwasser zugeschriebenen Eigenschaften.
Erosion durch das Meer. Die gegen die Küste anprallenden Meereswellen üben auf diese eine sehr große mechanische Kraft aus, die in der Ausnagung und Zerstörung der Ufergesteine besteht. Vornehmlich sind steile Küsten der Erosion durch Meereswellen ausgesetzt. Der Druck der Strandwellen beträgt nach Stevenson in Westschottland 2983 kg pro 1 qm im Sommer und 10185 kg pro 1 qm im Winter. Der größte Stoß durch die Welle wird nahe der Oberfläche geäußert. Nicht bloß wirkt die zerstörende Kraft der Welle durch den Anprall des Wassers auf die Felsen, sondern auch dadurch, daß Gerölle des Ufers gegen die Felsen geworfen und unter sich durch Reibung zermalmt werden. F. v. Richthofen hat die zerstörende und abtragende Wirkung der Meereswellen als Abrasion bezeichnet und dieser Erscheinung die Entstehung breiter, ziemlich ebener Küstenflächen (Abrasionsflächen) zugeschrieben.
Literatur: Fritsch, K. v., Allgem. Geologie, Stuttgart 1888, S. 300350; Roth, J., Allgem. und ehem. Geologie, Berlin 1893, Bd. 3, S. 330364; Walther, J., Lithogenesis der Gegenwart, Jena 1894.
Leppla.