[312] Gerüstluftschiffe (Starrluftschiffe), lenkbare Luftschiffe, welche die zur Ueberwindung des Luftwiderstandes und für die Steuerfähigkeit erforderliche Starrheit einem Gerüst oder Gerippe verdanken, im Gegensatz zu den Pralluftschiffen, welche infolge eines inneren Gasüberdrucks bis zu einem gewissen Grade Form und Eigenschaften eines festen Körpers annehmen.
Das Gerüst besteht aus zusammengebauten Trägern von Metall oder Holz. Es umschließt die inneren gasdichten Hüllen (Innenhüllen) und ist seinerseits von einer zweiten äußeren Hülle, die in der Regel nicht gasdicht ist, umgeben. Die Aufgaben, welche das Gerüst zu erfüllen hat, sind folgende: 1. Erhaltung der äußeren Form, die man dem Luftschiff zur Erzielung einer möglichst großen Geschwindigkeit auf Grund von Modellversuchen oder Berechnungen von vornherein gibt. 2. Ausreichende Längs- und Querfestigkeit des Luftschiffes bei der während des Betriebes unvermeidlich wechselnden Belastung. 3. Widerstandsfähigkeit gegen örtliche Begnadigungen und Schutz der gasdichten Innenhüllen. Da das Gerüst mehrere Gastragkörper oder Ballone birgt, so bleiben selbst bei größeren Beschädigungen die Gerüstluftschiffe in der Regel flug- und manövrierfähig, während die Pralluftschiffe durch Beschädigungen ihrer Hülle die Steifigkeit verlieren, was wiederholt zu schweren Katastrophen geführt hat. 4. Isolierung der Innenhülle gegen Erwärmung durch Sonnenbestrahlung und gegen plötzliche Abkühlung, und zwar durch den von dem Gerüst gebildeten Zwischenraum zwischen Innenhülle und Außenhülle. Dieser Zwischenraum vermindert ferner die Diffusion des Traggases, da sich in ihm ein Uebergangsgemisch aus Luft und Gas bildet. 5. Leichte und bequeme Anbringung aller festen Ausrüstungsteile, wie Seitensteuer, Höhensteuer, Steuerleitungen, Stabilisierungsflächen, Gondeln, Laufgang, Kabinen, Propellerböcke, Verankerungsvorrichtung, Armierung auf dem Rücken des Schiffes, Scheinwerfer, Telefunkeneinrichtung, Boote u.s.w. 6. Entlastung der Gashüllen beim Aufsuchen großer Höhen. 7. Längere Lebensdauer des Luftschiffes, da die Gashüllen seltener und weniger hoch beansprucht werden.
Bei den Gerüstluftschiffen erübrigt sich der Luftsack (Ballonet) und die Luftkompressionsanlage, welche die Pralluftschiffe zur Aufrechterhaltung ihrer Steifheit, Form und Fertigkeit benötigen, ein Umstand, der die Gerüstluftschiffe weniger kompliziert und bequemer in der Führung macht und damit wesentlich zu ihrer Sicherheit beiträgt. Die Gerüstluftschiffe können durch eine beliebig große Anzahl von Querschotten in einzelne Zellen geteilt werden, während die Unterteilung des Gasraumes bei Pralluftschiffen dadurch erschwert ist, daß jede einzelne Gaszelle einen besonderen Luftsack zum Prallhalten haben müßte. Je größer aber die Zahl der Zellen ist, desto sicherer ist ein Luftschiff bei Verletzungen; auch kann das Gas bei schräger Lage des Luftschiffes weniger hin und her schießen, also das Luftschiff leichter wieder in die Geradlage zurückkehren.
Während die Praxis gezeigt hat, daß die Steigerung der Abmessungen bei den Pralluftschiffen bald eine Grenze findet, ist die Größenentwicklung der Gerüstluftschiffe, soweit es sich heute übersehen läßt, unbeschränkt; ihre Leistungsfähigkeit und Rentabilität steigert sich wie bei den Seeschiffen mit wachsender Größe unverhältnismäßig schnell. Ein Nachteil der Gerüstluftschiffe ist es, daß sie nach stürmischen Landungen außerhalb des Hallenbereiches nicht wie die Pralluftschiffe durch Ablassen des Traggases zusammengelegt und transportiert werden[312] können. Indessen verringert sich dieser Vorzug der Pralluftschiffe mit zunehmender Größe immer mehr. Was die Konstruktion des Gerüstes betrifft, so gibt es bisher zwei verschiedene erprobte Systeme, Zeppelin und Schütte-Lanz. 1. Das Zeppelin-Luftschiff hat ein weitmaschiges Gerüst von Längs- und Querträgern aus Aluminium, welches longitudinal und radial mit Drähten verspannt und zum Schütze der Hüllen auf der Innenseite mit einem Netz von Ramieschnüren versehen ist. Die einzelnen Träger sind aus Aluminiumwinkeln unter grundsätzlicher Verwendung des Dreiecksverbandes zusammengenietet. Die Form des Gerüstes ist die eines an beiden Enden zugeschärften regelmäßigen vielseitigen Prismas. 2. Das Schütte-Lanz-Luftschiff hat ein nach dem Schiffslängsspantensystem gebautes Gerüst von elastischen Holzträgern System Schütte, welche an den am meisten beanspruchten Stellen besonders stark ausgeführt sind. Die einzelnen Träger sind aus hölzernen Platten und Winkeln wasser- und frostsicher zusammengebaut und mit einem dauerhaften Lacküberzug versehen. Die Platten und Winkel bestehen aus mehreren gut ausgetrockneten Holzfurnieren, die unter starkem Druck und Wärme kreuz und quer verleimt und vernietet sind, so daß sie sich weder werfen noch beim Bruch splittern. Die freien Knicklängen der Träger sind durch hochwertige Klaviersaitendrähte unterteilt. Die Kreisform der Querschnitte wird durch die Kombination von Dreiecks- und radialer Verspannung selbst bei starken Belastungen aufrechterhalten. Das Gerüst hat die Form eines Rotationskörpers aus Kegelschnitten, die sich, wie durch Modellversuche festgestellt worden ist, der Form kleinsten Widerstandes so weit nähert, wie es sich mit den praktischen Anforderungen vereinbaren läßt. Außer im Material und der äußeren Form unterscheiden sich beide Systeme durch ihre Steuerorgane, die Art der Gondelbefestigung und des Propellerantriebs. Weiteres s. unter Luftschiffe, Hallenbau.
Literatur: [1] Eberhardt, Theorie und Berechnung von Motorluftschiffen, Berlin 1912. [2] Rasch & Hormel, Taschenbuch der Luftflotten 1914, München. [3] Hoernes, Buch des Fluges, Wien 1911, Bd. 2, S. 260 ff. [4] Vorreiter und Boykow, Jahrbuch der Luftfahrt 1912, München, S. 172. [5] Wegner von Dallwitz, Hilfsbuch für Luftschiff- und Flugmaschinenbau, Rostock 1910, S. 4 ff. [6] Moedebeck, Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1908, S. 901 ff. [7] Zeppelin, Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1908, S. 1181 ff. [8] Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1910, S. 1739.
E. Waldmann.