[470] Kimm nennt man besonders in der Nautik die Trennungslinie zwischen der Erdoberfläche und dem scheinbaren Himmelsgewölbe. Diese Linie stellt also die Abgrenzung des von einem Beobachtungsorte aus sichtbaren Teiles der Erdoberfläche dar, wenn der Horizont überall frei sein würde. Danach ist die Kimmlinie auch zugleich die Schnittlinie des scheinbaren (natürlichen) Horizonts mit der Sphäre.
Die Kimm hat eine besondere Bedeutung bei den nautischen Messungen, speziell den astronomischen Höhenbestimmungen, wie sie der Seemann zur Bestimmung der geographischen Lage des Schiffsortes ausführen muß. Bei diesen Messungen werden die Elevationen der Gestirne über der Kimm gemessen, also deren Höhen über den scheinbaren Horizont des Beobachtungsortes. Da nun die Höhe des Beobachtungsortes über der Meeresoberfläche die Lage der Kimm, die sogenannte Kimmtiefe (»dip of the horizon« oder kurz »dip« vgl. Depression des Horizontes) beeinflußt, so muß diese Kimmtiefe, d.h. der anguläre Betrag der Depression immer als Korrektion an die Höhenmessungen angebracht werden, denn in die astronomisch-sphärischen Formeln geht nicht die Höhe über den scheinbaren, sondern über den wahren Horizont ein (vgl. a. Horizont). Die Kimmtiefe wird im allgemeinen immer ein kleiner Winkel[470] sein, da die Höhe des Beobachtungsortes im Vergleich zum Erdradius immer nur sehr gering sein kann, weshalb auch auf die Verschiedenheit des letzteren in verschiedenen Breiten oder gar Azimuten keine Rücksicht genommen zu werden braucht. Man kann deshalb leicht eine Tabelle rechnen, die mit der Höhe (h) des Beobachtungspunktes über der Meeresoberfläche die Korrektion wegen Kimmtiefe angibt; der Tafelwerk ist dann immer von der über der Kimm gemessenen Höhe abzuziehen. Ist h die Höhe des Beobachtungsortes und R der Wert des Erdradius in Metern, so lehrt eine einfache geometrische Betrachtung, zu der die obenstehende Skizze dienen mag, daß die Kimmtiefe (d) sein würde:
Nun aber ist der Weg des Lichtes durch die Atmosphäre kein geradliniger, sondern wegen der Brechung des Lichtes in der Luft (der sogenannten Refraktion, s.d.) ein gekrümmter; der Betrag dieser Krümmung wird durch den Refraktionskoeffizienten k (hier den der terrestrischen Refraktion) angegeben. Berücksichtigt man dieses, so erhält obige Formel eine verbesserte Form, die lautet:
Mit dieser Formel unter der Annahme, daß k = 0,13 ist, ist die nebenstehende Tafel I berechnet. (Sie findet sich in größerer oder geringerer Ausdehnung in allen nautischen Tafeln und Jahrbüchern; die Tafel ist mit 1,779 √h in Bogenminuten gerechnet.) Die Konstante der terrestrischen Refraktion k ist aber sehr erheblichen Schwankungen unterworfen, die, wie neuere Untersuchungen, besonders die der österreichischen Seeoffiziere Koß und Thun-Hohenstein (s. Literatur) gezeigt haben, zumeist von dem Unterschied der Temperatur der Wasseroberfläche und derjenigen der zunächst darüberliegenden Luft herrühren. Dadurch kommt es, daß der Betrag der Kimmtiefe starke Verschiedenheiten erleidet. Wie groß dieselben werden können, geht aus der hier beigefügten Tafel II hervor, welche die Korrektion der Kimmtiefe mit der obigen Temperaturdifferenz als Argument angibt.
Es ist aus diesem Grunde leicht ersichtlich, daß alle nautischen Höhenmessungen, die auf der Kimm beruhen, eine gewisse Unsicherheit haben, die unter Umständen bemerkbare Beträge erlangen kann. Deshalb ist man schon seit langem bestrebt, die Kimmtiefenkorrektion dadurch auszuscheiden, daß man wie am Land auch die Möglichkeit der Beobachtung über künstlichen Horizont herbeiführt oder die Kimmtiefe durch die Methode der Beobachtung eliminiert, oder daß man endlich dieselbe bei den Beobachtungen selbst mitbestimmt. Eine Reihe von dahingehörigen Vorschlägen sind in letzter Zeit gemacht worden; doch muß dieserhalb hier auf den Artikel Spiegel- und Prismeninstrumente und auf die einschlägige Fachliteratur verwiesen werden.
Literatur: [1] Handbuch der Navigation, herausgegeben vom Reichsmarineamt, Berlin 1901, 4. Aufl. [2] Bolte, Neues Handbuch der Schiffahrtskunde (mit Tafelsammlung), Hamburg 1899. [3] Breusings Nautische Tafeln, herausgegeben von E. Schilling, Leipzig 1902. [4] Die Hand- und Lehrbücher der sphärischen Astronomie, die schon an andern Orten speziell aufgeführt sind. [5] Koß und Graf Thun-Hohenstein, Kimmtiefenbeobachtungen zu Verudella, Denkschrift der Wiener Akademie der Wissenschaften, Mathem.-naturw. Klasse, Bd. 70. Eine sehr ausführliche Besprechung dieser Arbeit, die vielerlei wichtige Fragen der Kimmtiefenkorrektion behandelt, findet sich in den Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie 1903, S. 533 ff., von Kohlschütter.
Ambronn.
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