Kriegsbrücken [2]

[360] Kriegsbrücken, Brücken, die im Zuge militärischer Operationen für Zwecke der Armee im Felde zur Schaffung neuer Kommunikationen oder an Stelle zerstörter Objekte errichtet werden. Während es sich in der Gefechtszone zumeist nur um für mit Wagen passierbare Bauwerke handelt (Pontonbrücken, Holzprovisorien von ganz vorübergehendem Bestand), ergibt sich im Etappenraum häufig die Notwendigkeit, zerstörte Brücken durch Konstruktionen zu ersetzen, an die bezüglich Bestand und Verkehrssicherheit wesentlich höhere Anforderungen gestellt werden. In erster Linie gilt dies von Eisenbahnbrücken, bei welchen hölzerne Tragwerke und Walzträger nur bei kleineren Spannweiten oder dort, wo eine Unterteilung durch pilotierte Zwischenjoche oder eingeteilte Böcke möglich ist, in Betracht kommen, während für größere Spannweiten eiserne zerlegbare Fachwerksbrücken, von denen in den letzten Jahrzehnten mehrere Systeme entstanden sind, verwendet werden. An alle diese Konstruktionen werden als hauptsächlichste Anforderung möglichst weitgehende Anpassungsfähigkeit bezüglich Spannweite und Belastung, leicht transportable Einzelelemente und rasche Montierbarkeit gestellt.

Das älteste System einer zerlegbaren Fachwerksbrücke rührt von Eiffel her. Weitere Bauweisen sind Five-Lille, Herbert und Kohn, die etwa Stützweiten von 30 bis 40 m in einer Oeffnung zu überbrücken gestatten. Das letztgenannte System wurde bis vor Kriegsausbruch in Oesterreich nahezu ausschließlich verwendet. Die Hauptträger der Kohnschen Kriegsbrücke sind Parallelträger mit gekreuzten Diagonalen (Fig. 1 und 2); die Querträger werden an die Vertikal Habe angeschlossen. Ober- und Untergurt sind gleich ausgebildet und bestehen aus zwei U-Eisen von 6 bezw. 3 m Länge, deren gegeneinander versetzte Stöße durch Laschen gedeckt sind. Die Querträgerentfernung beträgt 3 m, ebenso die Höhe des eingeschossigen Tragwerkes. Für größere Stützweiten kann der Hauptträger zweigeschossig hergestellt werden (Fig. 2). Die Füllstäbe sind zu je einem auf der Spitze stehenden Quadrat a b c d vernietet, welches das Einzelelement vorstellt, für die Endfelder sind abnormale Gurtstäbe und dreieckige Füllstücke e f g vorgesehen.

Zur Ueberbrückung größerer Oeffnungen wurde knapp vor Kriegsausbruch von der Brückenbauanstalt R. Ph. Waagner, L. u. J. Birò und A. Kurz im Verein mit dem Baurat Ing. Friedrich Roth ein neues System einer zerlegbaren Fachwerksbrücke unter dem Namen Roth-Waagner-Bauweise[360] ausgebildet, welches während des Krieges von den Heeresverwaltungen der Mittelmächte in ganz außerordentlichem Umfange und bei Spannweiten, welche die von permanenten Brücken erreichen, ausschließlich verwendet wurde. Der Hauptträger der Roth-Waagner-Brücke ist ein Parallelträger von bei eingeschossiger Tragwand 4 m, bei zweigeschossiger 8 m Höhe und 3 m Feldweite. Die Gurte bestehen aus einem doppelten Siebblech mit angenieteten Winkeln. Die Trägernetze für verschiedene Formen, die durch Nebeneinanderstellen von zwei oder drei Tragwänden zwei- oder dreiwandig ausgeführt werden können, zeigen die Fig. 38.

Entsprechend der schwereren Ausbildung der Stäbe ist als Einzelelement der Stab gewählt. Die Gurte bestehen aus zwei Hälften, die miteinander verschraubt und in den Knoten abwechselnd mit Laschen gestoßen sind. Die Gurtendstäbe sind in zwei Formen vorhanden, wodurch ganze und halbe Endfelder möglich sind und womit man sonach für Spannweiten, die ein Vielfaches von 1,5 m sind, das Auslangen findet. Durch den Einbau von verstärkten Endfeldern können die Lager gegen Brückenmitte verschoben werden, sodaß die Benutzung bestehender Widerlager bei jeder Spannweite möglich wird. Sind Mittelpfeiler vorhanden, die die Aufstellung zweier getrennter Tragwerke nicht zulassen, so können die Hauptträger auch kontinuierlich über mehrere Felder geführt werden, wobei über der Stütze normale Endfelder zur Ausführung gelangen. – Die Fahrbahn kann unter Benutzung zweier Typen von Querträgern »unten« oder »oben« eingebaut werden. Die 1,6 m entfernten Schwellenträger liegen entweder auf oder zwischen den Querträgern; letztere bestehen aus zwei Hälften, die miteinander verschraubt werden, und sind durch Ecksteifen mit den Tragwerkswänden verbunden (Fig. 9). Bei zweigeschossigen Brücken werden die Obergurte durch Querriegel in jedem Knoten abgesteift. Die nutzbare Brückenbreite beträgt entsprechend dem Lichtraumprofil normalspuriger Bahnen 4,32 m; ohne daß hierbei Unzukömmlichkeiten beim Verkehre eintreten, sind Gleisführungen im Bogen bei einem maximalen Pfeil von 0,26 m noch möglich. Die Anordnung des Windverbandes ist aus Fig. 7 ersichtlich; dabei sind auch schiefe Endabschlüsse möglich (Fig. 8); bei Verwendung verstärkter Endfelder kann mittels der erwähnten Verrückung der Lager jeder Kreuzungswinkel erhalten werden.

Für Eisenbahnbrücken, für welche diese Tragwerke in erster Linie bestimmt sind, ergeben sich je nach dem Gewicht der Fahrzeuge nachstehende größten Stützweiten:


Kriegsbrücken [2]

Dabei entspricht Norm I der Belastung durch eine Hauptbahn (Lokomotivgewicht samt Tender 129 t), Norm II durch eine vollspurige Nebenbahn (Lokomotivgewicht samt Tender 72 t). Für Straßenbrücken und Schmalspurbahnen kommen auch einwandige Systeme zur Verwendung.

Von den bemerkenswerteren Ausführungen von Kriegsbrücken nach der Bauweise Roth-Waagner mögen nur folgende erwähnt werden: Die Savebrücke bei Belgrad, deren 96 m weite Mittelöffnung in 7 Tagen montiert wurde; die Weichselbrücke bei Iwangorod (durchlaufender Träger über vier Felder von rund 90 m Spannweite, die in 23 Tagen in freiem Vorbau errichtet wurde, wobei ein maximaler Tagesfortschritt von 27 m erzielt werden konnte, Fig. 10); die Karakotalbrücke, deren 102 m weites Mittelfeld durch einen 60 m hohen Pfeiler aus Roth-Waagner-Material in zwei Oeffnungen unterteilt ist, die in freier Montage überbrückt wurden; die Oltetalbrücke in Rumänien, die bei 51 m Spannweite in 24 Stunden fertig montiert war; die große Isonzobrücke bei Salcano, deren 93 m weite Hauptöffnung ohne Hilfsgerüst überspannt wurde (Fig. 11); eine Reihe großer Brücken über den Pruth; die Drinabrücke bei Medjedja im Zuge der bosnischen Ostbahn; die Tagliamentobrücke bei Latisana u.s.w. Die Mehrzahl dieser Bauwerke ist bis heute noch nicht gegen genietete Brücken ausgewechselt; der Ersatz derselben dürfte auch infolge finanzieller[361] Gründe nicht so bald erfolgen. Die einwandfreie konstruktive Durchbildung der Bauweise Roth-Waagner schaltet im Verein mit den günstigen Erfahrungen, die an den längere Zeit in Benutzung stehenden Tragwerken gemacht wurden, etwaige Bedenken gegen die Belassung der Konstruktion aus, um so mehr, wenn die lösbaren Verbindungen beseitigt und an Stelle der Schrauben bei den wichtigeren Verbindungsstellen Nieten eingezogen werden.

Ernst Melan.

Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 3.
Fig. 4.
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Fig. 5., Fig. 6.
Fig. 5., Fig. 6.
Fig. 7.
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Fig. 8.
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Fig. 9.
Fig. 9.
Fig. 10.
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Fig. 11.
Fig. 11.
Fig. 12.
Fig. 12.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1920., S. 360-362.
Lizenz:
Faksimiles:
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