Luftdruckbahnen

[246] Luftdruckbahnen. Atmosphärische und pneumatische Bahnen sind Bahnsysteme von vorwiegend historischem Interesse und unterscheiden sich von den gewöhnlichen Bahnen durch die Verschiedenheit der Motoren. Bei den genannten Systemen wird die atmosphärische Luft als Uebertragungsmittel der durch feststehende Betriebsmaschinen entwickelten Kraft auf den auf gewöhnlichen Schienengleisen laufenden Wagenzug benutzt. In einer zwischen den Fahrschienen liegenden gußeisernen Röhre (Treibröhre) von etwa 40–60 cm Durchmesser bewegt sich luftdicht schließend ein Kolben, welcher mit einem Wagen verbunden ist.

Bei der atmosphärischen Bahn wird die Luft im Rohre vor dem Kolben durch eine Luftpumpmaschine verdünnt; die Rückseite des Kolbens steht unter dem gewöhnlichen Luftdrucke. Die Verbindung zwischen Kolben und Wagen erfordert im Rohre einen Längsschlitz, welcher durch Klappen geschlossen ist, die sich nur bei den vorbeieilenden Wagen öffnen (vgl. die Figur). Die erste Idee einer atmosphärischen Eisenbahn scheint von dem dänischen Ingenieur Medhurst im Jahre 1818 ausgegangen zu sein. Verbesserungen des Längsschlitzverschlusses und des Kolbens hat dann 1836 der amerikanische Ingenieur Pinkus vorgeschlagen, und erst Clegg und Samiida ist es gelungen, dem System eine praktisch ausführbare Form zu geben, später dem englischen Ingenieur Vallance, so daß, abgesehen von einer kurzen Versuchsstrecke in der Nähe von London anschließend an die Great Western Railway im Jahre 1839, erst anfangs 1844 die 2,74 km lange Strecke von Kingstown nach Dalhey in Irland, dann 1846 die 8 km lange Strecke London-Croydon und Epsom und 1846–48 die Linie zwischen Exeter und Plymouth hergestellt wurde, und mit der 1847 eröffneten 8,5 km langen Bahnstrecke von Nanterre nach St. Germain war die Reihe der atmosphärischen Eisenbahnen geschlossen. Beim Betriebe kamen infolge der Undichtheiten der Verschlüsse häufig Störungen vor und durch starke Reibungswiderstände traten Arbeitsverluste ein, ferner waren die Betriebs- und Erhaltungskosten größer als bei den Lokomotivbahnen. Es zeigte sich daher sehr bald, daß dieses System für den gewöhnlichen Eisenbahnbetrieb nicht geeignet ist, so daß bereits im Jahre 1849 sämtliche atmosphärische Eisenbahnen außer Betrieb waren; überdies waren auch die Anlagekosten sehr hoch, daher waren diese Bahnen selbst für ganz kurze Strecken nicht rentabel; trotzdem beschäftigt sich in Deutschland Crelle mit der Frage der atmosphärischen Eisenbahnen [1].

Wird statt des Atmosphärendruckes komprimierte Luft verwendet, so heißt dieses Eisenbahnsystem, bei welchem die Wagen im Innern des Rohres laufen, pneumatische Bahn. Dasselbe besteht im wesentlichen aus einer dicht geschlossenen, unterirdisch liegenden Röhre (Tunnel), deren Durchmesser dem Querschnittsprofile der Betriebsmittel entspricht. In diesem Rohre werden Fahrzeuge, die als Kolben wirken, mittels einseitigen, auf die Rückwand des letzten Wagens einwirkenden Luftdruckes in ähnlicher Weise wie bei den Rohrpostanlagen (s.d.) in Bewegung gesetzt [2]. – Im Jahre 1863 gelang es dem Ingenieur Rammell, die dem atmosphärischen Systeme anhaftenden Nachteile durch die Benutzung einer weiten Röhre und Anwendung niedrigen Luftdruckes nebst Beförderung vermittelst Saugen und Komprimieren der Luft zu beseitigen [3]. – Der erste praktische Versuch mit einer pneumatischen Bahn zur Beförderung von Personen wurde 1864 von demselben Ingenieur im Parke des Kristallpalastes zu Sydenham bei London ausgeführt, wobei ein Tunnel in Mauerwerk von 3 m Höhe und 2,37 m Breite hergestellt wurde, in welchem der auf einem Gleise laufende Wagen an seiner rückwärtigen Seite einen Rahmen trug, wodurch der Tunnelquerschnitt mittels eines bürstenförmigen Ansatzes ausgefüllt war. Gegen diese so gebildete Kolbenfläche wirkte der durch ein Gebläse ausgeübte Luftdruck, nachdem der Wagen in den Tunnel eingefahren und dieser luftdicht abgeschlossen war; bei der Rückfahrt wurde die Luft hinter dem Wagen ausgesaugt [2]. – Die im Jahre 1866 von dem Ingenieur J.H. Ward nach dem Rammellschen Systeme projektierte Tunneleisenbahn durch den Hudsonfluß vom Depot der Erie-Eisenbahn in Hoboken nach dem gegenüberliegenden Depot in Douane Street in New York [4], ebenso die durch Seiler verbesserten Vorschläge für schweizerische Alpenbahnen, endlich auch das in letzterer Zeit aufgetauchte Projekt des Obersten Ed. Locher für die Herstellung einer pneumatischen Bahn von der Talsohle bis zum Gipfel der Jungfraubahn sind jedoch nicht zur Ausführung gelangt [5].


Literatur: [1] Sternberg, in Heusinger von Waldeggs Handbuch für spezielle Eisenbahntechnik, Leipzig 1870, welches auch einige Literaturangaben enthält; Bikl, Atmosphärische Eisenbahnen, 1862; Becker, Die atmosphärische Eisenbahn, 1844; Eisenbahnzeitung 1846; Försters[246] Bauzeitung 1847. – [2] Heusinger von Waldegg, Handbuch für spezielle Eisenbahntechnik, Bd. 1, 1870, und Roll, Encyklop., Bd. 6, Wien 1894; Bulletin de la Société vaudoise des ingenieurs et architects, 1879; Die Eisenbahn 1880. – [3] Practical Mechanic Journal 1863; Zeitung des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen 1865; Dingl. Polyt. Journ. 1865; Polyt. Zentralblatt 1865. – [4] Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens 1867. – [5] Die beabsichtigte Ausführungsweise ist in der Schweizerischen Bauzeitung, Deutschen Bauzeitung, im Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens und im Engineering 1890 eingehend beschrieben.

E.A. Ziffer.

Luftdruckbahnen
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 6 Stuttgart, Leipzig 1908., S. 246-247.
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