[561] Navigierung im Luftfahrwesen. Unter diesem Begriff faßt man die Ermittlung aller jener Manöver zusammen, welche dem Zwecke dienen, ein Luftfahrzeug auf dem praktisch günstigsten Wege von einem Ausgangspunkt nach einem Ziel zu bringen bezw. sich über den jeweiligen Ort jederzeit zu orientieren. Die Navigierung verfügt über folgende Hilfsmittel:
Karten, Kompaß mit Peilscheibe, Geschwindigkeitsmesser, Höhenmesser, astronomische Beobachtungsinstrumente, Tabellenmaterial zur Auswertung der astronomischen Beobachtungen.
Bei der Navigation von Luftschiffen sind im ganzen drei Fälle zu unterscheiden: Luftfahrten mit Anblick der festen Erdoberfläche, Fahrten bei unsichtiger Erdoberfläche oder über dem Meere, aber mit Sichtbarkeit der Gestirne, und endlich Fahrten in ganz undurchsichtiger Atmosphäre, wo weder nach unten noch nach oben Sicht ist. Im ersten Falle mit Anblick der festen Erdoberfläche gleicht die Luftfahrt der Schiffahrt in Sicht der Küste, wo einfache Orientierungen nach guten Karten mit Benutzung des Kompasses und mit Avisierung terrestrischer Objekte oder Landmarken ausreichen. Man bezeichnet diese Navigation als terrestrische; ein Luftfahrzeug ist viel schwerer zu navigieren als ein Seeschiff, wegen der in der Luft zumeist viel größeren und wirksameren Versetzung des Schiffs durch die Winde oder die Stromlinien der Luft. Durch seitlichen Wind, der an Stärke sogar die Eigengeschwindigkeit des Luftfahrzeugs übertreffen kann, wird das Schiff bedeutend vom gesteuerten Kurs abgetrieben. Man muß daher diese Versetzung durch die Stromlinien der Luft, in denen das Luftschiff im Gegensatz zum Seeschiff ganz und gar schwimmt, von Zeit zu Zeit durch Anpeilen der Erdoberfläche bestimmen und kann erst danach den richtigen Kurs im Luftschiff Heuern, um wirklich das gefleckte Ziel zu erreichen.
Ist für den Luftfahrer die Erdoberfläche verdeckt, aber der Himmel sichtbar, so kommt die astronomische Navigation in Frage, die gegenwärtig besonders in Deutschland, speziell bei der deutschen Militärluftschiffahrt, einen hohen Grad der Vervollkommnung nicht nur in bezug auf die Instrumente zum Anmessen der Gestirne, sondern auch mit Hinsicht auf die schnelle und einfache graphische Auswertung jener astronomischen Beobachtungen erreicht hat. Im Fall, daß das Luftfahrzeug in dichtem Nebel oder zwischen zwei Wolken fährt, tritt, wenn nicht etwa ein Ueberfliegen des Nebels oder der Wolken mit alsdann erreichter Durchsicht zum Himmel möglich sein sollte, die magnetische Aero-Navigation ein, die jedoch im Gegensatz zur terrestrischen und astronomischen noch nicht als vollkommen gelöst zu bezeichnen ist. Zunächst hat das Luftschiff einen Steuerkompaß, nach dem gefahren werden kann; nun kann (wenigstens in der Nord-Südrichtung) ein im Nebel fahrendes Luftschiff durch fortlaufende Messungen, z.B. die magnetische Inklination oder die Neigung einer vertikal schwingenden Magnetnadel an einem besonderen Instrument, dem Balloninklinatorium, bestimmen. Die durch, die vertikale Richtkraft des Erdmagnetismus gegebenen Linien gleicher magnetischer Inklination (Neigung einer vertikal schwingenden Magnetnadel unter dem Horizont) oder die sogenannten »Isoklinen« verlaufen z.B. in Deutschland fast genau parallel einer durch die Nord- und Ostseeküsten gelegten Küstenlinie.
Man könnte daran denken, im Luftschiff außer einem magnetischen Kompaß, der bei richtiger Aufstellung und Kompensation genau die magnetische Nord-Südrichtung zeigt, noch einen Kreiselkompaß anzubringen, der durch die mechanische Richtkraft unserer Erde die astronomische Nord-Südrichtung anzugeben imstande ist. Leider scheitert aber gegenwärtig noch die Verwendung des äußerst sinnreichen Kreiselkompasses im Luftschiff an dem großen Gewicht (über 300 kg) und an dem bisher noch lange Zeit (mehrere Stunden) vor dem Gebrauch notwendigen Harken elektrischen Antrieb jenes Apparates.
Man hat weiter versucht, entsprechend den Unterseesignalen wellentelegraphische Signale von bestimmten, über das Land verteilten Stationen für Luftfahrzeuge mit funkentelegraphischen Einrichtungen zu geben, aus denen man z.B. die Annäherung an die Landesgrenze oder an die Küste schließen könnte, und es ist ein besonderer Telefunkenkompaß vorgeschlagen, der bei unsichtigem Wetter auf drahtlosem Wege durch funkentelegraphische Signale von bestimmten Stationen aus in Verbindung mit einem Kompaßzeiger im Luftschiff die jeweilige Richtung angibt.
Die Aufgabe der Seitennavigation besteht darin, das Ziel auf dem horizontal jeweils kürzesten Weg zu erreichen. Soweit dieses Ziel sich ebenso wie das Schiff in der Luft befindet (etwa ein andres Fahrzeug), kommt für diese Erreichung lediglich die Eigengeschwindigkeit in Betracht, sofern aber zwischen Ziel und der Erde irgendeine feste Verbindung besteht, müssen die jeweiligen Luftströmungen in Rechnung gezogen werden. Für die Erreichung des Zieles gibt es zwei Möglichkeiten; einmal wird die Spitze des Schiffes von Anfang an auf das Ziel gerichtet und dann während der ganzen Fahrt auf dasselbe gehalten; infolge der Luftdrift erhält das Schiff immer eine andre Richtung und erreicht das Ziel schließlich von einer ganz anderen Seite (Kurvenfahren); dann kann aber auch bei genauer Kenntnis der Eigengeschwindigkeit, des Kreuzungswinkels von Ziellinie und Wind[561] sowie der Windstärke die Längsachse des Schiffes gleich so gestellt werden, daß es das Ziel zwar mit schräg gestellter Achse, aber auf dem geraden und kürzesten Wege erreicht (Zielfahrt). Für die Höhensteuerung sind dieselben Instrumente gebräuchlich wie beim Freiballon, nämlich Barograph und Barometer; für die Seitensteuerung werden dagegen Navigationskompaß und Fahrtdreieck verwendet. Ersterer ist ein gewöhnlicher Schiffskompaß mit Peilvorrichtung; Steuerstrich und Mittelpunkt (Hütchen) der Nadel stehen genau auf Mittelachse Fahrzeug, so daß bei einem Zielfahren nur nötig ist, das Schiff in die gewünschte Schräglage zum Ziel zu bringen, das Ruder wieder mitschiffs zu legen und nun die Nadel im richtigen Abstand vom Steuerstrich zu halten. Das genügt aber nur bei einigermaßen konstantem Wind; ist derselbe dagegen Aenderungen unterworfen, so würde dies sich durch eine Abdrift des Fahrzeuges bemerkbar machen. Ein neuer durchsichtiger Kompaß von Dalocz vermeidet dies durch parallele Linien auf einer Glimmerscheibe, die beim Start einmal genau in die richtige Kurslinie eingestellt werden müssen, dann aber auch stets ein genaues Zielfahren ermöglichen.
Bei genauen Instrumenten besteht die Pinnenspitze aus Iridium, das Hütchen aus Rubin oder Saphir. Der Kompaß wird durch die an Bord befindlichen Stahl- und Eisenteile abgelenkt, so daß es notwendig ist, den Winkel dieser Ablenkung, die »Deviation,« nach dem Einbau des Kompasses an Bord festzustellen und eine Korrekturtabelle unter Berücksichtigung dieser Deviation für die Aufstellung des »wahren Steuerkurses« herzustellen. Die Deviation wird in der Regel so festgestellt, daß man das Luftfahrzeug genau in die Fluglage (zur Horizontalen) einstellt, und zwar am besten genau in die Nord-Südrichtung, was mittels genauer Kontrollkompasse ohne weiteres möglich ist. Jetzt werden die Motoren wegen der Wirkung der magnetischen Zündapparate in Betrieb gesetzt und nun der Ausschlag des fest eingebauten Peilkompasses gegen die bisherige Nord-Südrichtung als Deviationswinkel des Kompasses beim betriebsfertigen Luftfahrzeug festgestellt.
Weiter kommen für die Navigierung noch besonders der Ballon-Sextant nach Schwarzschild in Frage, der wie ein gewöhnlicher Sextant eingerichtet ist, nur daß der Horizont künstlich aus einer Libelle gebildet wird, welche durch ein umgekehrtes Fernrohr derart verkleinert abgebildet wird, daß bei der Drehung des Instrumentes die Blase sich nicht nur im selben Sinne, sondern auch um denselben Betrag verschiebt, um den sich die Objekte im Gesichtsfeld bewegen; weitere Sextantkonstruktion von Butenschön.
Das Fahrtdreieck soll Navigationsaufgaben schnell mit hinreichender Genauigkeit lösen, indem es von den beiden Winkeln der Luftdrift und der notwendigen Eigenrichtung des Schiffes, sowie von der Windstärke, der Eigengeschwindigkeit und der Fahrgeschwindigkeit über der Erde aus einigen bekannten die übrigen ermittelt; hierdurch wird es dem Führer möglich, durch Beobachtungen seine Steuerrichtung zu kontrollieren und zu berichtigen. Dann dienen die Stabilisierungsflächen dazu, die einmal eingeschlagene Richtung des Schiffes zu halten. Um das Steuern nun nicht unnötig zu erschweren, dürfen sie nicht zu groß bemessen werden, da sonst der Fall eintreten kann, daß das Schiff überhaupt nicht zu steuern ist.
Endlich ist noch der Kartenhalter zu erwähnen, der bei großen Ueberlandflügen unerläßlich ist. Es ist ein kleiner Tisch, auf welchem die Karten in irgendeiner zweckmäßigen Weise (manchmal sogar zum Abrollen als endloses Band) befestigt sind, und auf welchen der Beobachter oder Flugzeugführer genau den Kurs festsetzt.
Bei festgesetztem Steuer beginnt das Schiff nach kurzer Fahrt (etwa nach einer Wendung von 90°) einen vollständigen Kreis zu fahren, was praktisch dazu benutzt wird, die Windstärke und Richtung zu bemessen. Bestimmt man nämlich den Ort, bei welchem der Kreis mit Sicherheit begonnen ist, so ergibt sich aus der Zeit, bis das Schiff wieder in derselben Lage angekommen ist, und dem zurückgelegten Weg die Luftdrift, die ja zum richtigen Kursfetzen bekannt sein muß. Im allgemeinen müssen wegen des geringen Seitenwiderstandes des Schiffes in der Luft die Steuerbewegungen als kurze Ruderschläge ausgeführt werden, da sonst eine kontinuierliche Bewegung nach der dem Ausschlag gegenüberliegenden Seite eingeleitet wird.
Literatur: [1] Marcuse, Ortsbestimmung für die Luftschiffahrt, Berlin 1907. [2] Moedebeck, Taschenbuch für Flugtechniker, Berlin 1911. [3] Biedlingmaier, Magnetische Ortsbestimmung im Ballon, Berlin 1909. [4] Lux, Wellentelegraphische Ortsbestimmung für Luftschiffe, Berlin 1909. [5] Deutsche Luftfahrer-Zeitschrift 19011913.
Béjeuhr.
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