Berührung

[712] Berührung. Man sagt von zwei (ebenen oder räumlichen) Kurven oder einer Kurve und einer Fläche oder zwei Flächen, sie berühren einander in einem Punkt, in den ersten beiden Fällen, wenn in diesem Punkt eine gemeinschaftliche Tangente, im letzten Falle, wenn in demselben eine gemeinschaftliche Tangentialebene vorhanden ist.

Als Maß für die Innigkeit des Anschmiegens zweier sich berührenden Kurven oder Flächen (unter denen natürlich auch eine Gerade oder Ebene sein kann, so daß es sich um die Berührung zwischen einer Kurve oder Fläche und ihrer Tangente oder Tangentialebene in irgend einem Punkt handelt) ist die »Berührungsordnung« eingeführt worden. Nach der gewöhnlichen Erklärung haben die ebenen Kurven mit den Gleichungen

y = f (x), y = φ(x),

in einem gemeinsamen Punkt (x, y) eine Berührung nter Ordnung, wenn für diesen Punkt die Werte der η ersten Differentialquotienten


Berührung

bei beiden Kurven übereinstimmen; man spricht in diesem Fall auch von einer (n + 1) punktigen Berührung, weil von den Schnittpunkten beider Kurven deren (n + 1) in dem Berührungspunkt (x, y) liegend zu denken sind. Aus verschiedenen Gründen vorzuziehen ist folgende, auch auf räumliche Kurven anwendbare geometrische Erklärung von Möbius [1], mit der wir sogleich diejenige für den Fall der Berührung zwischen einer Kurve und einer Fläche verbinden wollen: bedeutet p und q je einen beliebigen Punkt der beiden sich berührenden Kurven (bezw. der Kurve und der sie berührenden Fläche) in unendlicher Nähe ihres Berührungspunktes o, sind ferner die Winkel opq und oqp von endlicher Größe und wird die Länge von op als unendlich kleine Größe erster Ordnung betrachtet, so ist die fragliche Berührungsordnung gleich der um eins verminderten Ordnung der unendlich kleinen Länge von pq (d.h. genauer: ist die Zahl ν so beschaffen, daß der Quotient pqν:op sich einem endlichen, von Null verschiedenen Grenzwert nähert, wenn die Punkte p und q immer näher an den Punkt o heranrücken, so ist die gesuchte Berührungsordnung gleich ν – 1). Im gewöhnlichen Fall ist die Berührungsordnung gleich eins; hat sie einen größeren Wert, so spricht man wohl von stationärer Berührung. Die Berührungsordnung kann auch ein echter Bruch sein. – Wenn eine gegebene Kurve in einem Punkt von unendlich vielen Kurven (oder Flächen) einer bestimmten Art berührt wird, so schreibt man derjenigen von ihnen Oskulation mit der gegebenen Kurve zu, die mit der letzteren an der betreffenden Stelle eine Berührung von der größtmöglichen Ordnung hat. So ist unter allen, eine (ebene oder räumliche) Kurve in einem Punkt berührenden Kreisen der Krümmungskreis derjenige, der die Kurve oskuliert, und ähnliches gilt für die Schmiegungskugel einer Raumkurve in einem Punkt. Zwei Flächen, die sich in einem Punkt berühren, haben im allgemeinen überdies eine durch den Berührungspunkt mehrfach hindurchgehende[712] Schnittkurve. Schneidet man zwei sich berührende Flächen mit einer durch ihre gemeinschaftliche Normale gehenden Ebene, so kann die Berührungsordnung der Schnittkurven beim Drehen der Schnittebene um jene Normale sich ändern. Der kleinste vorkommende Wert wird die Ordnung der Berührung der beiden Flächen genannt.


Literatur: [1] Möbius, Der barycentrische Calcul 1827 (oder auch gesammelte Werke, Bd. 1), § 75. – [2] Serret-Harnack, Lehrbuch der Differential- und Integralrechnung, Bd. 1, 2. Aufl., Leipzig 1897, Kap. 7 und 9.

Mehmke.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1904., S. 712-713.
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