Sandstreuer, Sandstreuvorrichtungen

[572] Sandstreuer, Sandstreuvorrichtungen zum Bestreuen der Eisenbahnschienen, um die Reibung der Triebräder der Lokomotiven auf den Schienen zu vergrößern, z.B. beim Anfahren schwerer Züge, bei ungünstiger Witterung oder auf starken Steigungen sowie zur Vergrößerung der Bremswirkung, besonders wenn rasch Gegendampf gegeben werden will.

Die Fortbewegung der Lokomotiven beruht auf der Reibung der Triebräder auf den Schienen. Genügt diese nicht, um den Zugswiderstand zu überwinden, so drehen sich bei genügend großem Dampfdruck in den Zylindern zwar die Triebräder, sie gleiten aber auf den Schienen und der Zug bewegt sich nicht, die Lokomotive »schleudert«. Die Reibung ist gleich dem Produkt aus dem auf den Triebachsen ruhenden Gewicht Q der Lokomotive, dem Reibungsgewicht, und dem Koeffizienten f für die gleitende Reibung zwischen Rad und Schiene, also = Q f. Dabei ist Q unveränderlich; f hängt dagegen von der jeweiligen Oberflächenbeschaffenheit von Schiene und Rad ab und schwankt meist zwischen einem Viertel und einem Zehntel; bei ganz trockenen und reinen Schienen kann es aber bis zu einem Drittel steigen und bei Nebel, Glatteis u.s.w. bis zu einem Fünfzehntel oder gar einem Zwanzigstel linken, der Mittelwert ist f = 0,15. Bei ungünstiger Witterung werden, um f zu vergrößern, die Schienen mit Sand bestreut. Das Bestreuen kann von Hand geschehen, meistens sind aber an den Lokomotiven besondere Sandstreuvorrichtungen vorhanden. Bei diesen fällt der Sand entweder durch sein Gewicht unmittelbar vor den Triebrädern auf die Schienen oder es wird durch Dampf oder Preßluft ein andauernder Sandstrahl dicht vor die Berührungsstelle von Rad und Schiene geblasen. Die Zuführung des Sandes muß zu beiden Rädern einer Triebachse gleichzeitig geschehen, um eine einseitige Stoßwirkung zu vermeiden, durch welche die Achse oder der Kurbelzapfen verbogen werden könnte. Der Sand muß, damit er sich nicht festsetzt, vollständig trocken, lehmfrei und scharf sein. In Deutschland wird der Sandbehälter 5 meist auf den Kessel aufgesetzt, von ihm aus gehen nach beiden Seiten Röhren K, die etwas über den Schienen unmittelbar vor den Triebrädern endigen. In England werden Sandbehälter zu beiden Seiten der Lokomotive unter den Gehblechen angebracht. Fig. 13 zeigt einen Sandstreuapparat, wie er bei Lokomotiven der preußischen Staatsbahnen angewendet wird. Der Sand fällt durch die Ventile V, die vom Führerstand aus mittels der Welle W geöffnet werden können, durch die Röhren K auf die Schienen. Um den Sand, wenn er sich festgesetzt hat, lockern zu können, sind am Ventilhebel seitlich mehrere Zapfen angebracht. Die Dampf- und Preßluftsandstreuer sind wirksamer, da sie den Sand näher der Berührungsstelle von Rad und Schiene zuführen. Ganz besonders haben sich die Preßluftsandstreuer als zuverlässig und rasch wirkend bewährt. Fig. 4 zeigt im Prinzip den Preßluftstreuer von Brüggemann. Am Führerstand ist an der Preßluftleitung neben dem Bremshahn der Griff eines Lufthahns angebracht, durch den Preßluft in die Röhren l eingelassen wird. Diese tritt durch die Oeffnung a in den Sandkasten ein und reißt bei ihrem Austritt durch die Oeffnung b den dort befindlichen Sand mit und führt ihn durch die Röhren zwischen Rad und Schiene. Dieser Sandstreuer kann mit der Bremse in selbsttätige Verbindung gebracht werden. Bei den Dampfsandstreuern wird der Sand durch den Dampf etwas angefeuchtet, so daß er besser auf den Schienen liegen bleibt. Bei Frost kommt es aber vor, daß der feuchte Sand das Rohr verstopft.


Literatur: Roll, Encyklopädie des gesamten Eisenbahnwesens, Wien 1890, S. 471, 940 und 2853; Eisenbahntechnik der Gegenwart, 2. Aufl., 1. Abschn., 1. Teil, Die Lokomotiven, Wiesbaden 1903, S. 461; Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens 1875, S. 155; 1888, S. 250; 1893, S. 130; 1894, S. 21; 1895, S. 204; 1898, S. 215; 1906, S. 219; Ergänzungsbd. 6, S. 256, und 13, S. 187.

H. Kübler.

Fig. 1 und 2.
Fig. 1 und 2.
Fig. 3.
Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 4.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 572.
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