Schatten [3]

[544] Schatten. Ein verschwommener Umriß des Schlagschattens tritt stets auf, wenn die Lichtquelle – wie z.B. die Sonne – eine meßbare scheinbare Größe hat. Bei den Schattenkonstruktionen der darstellenden Geometrie setzt man eine im mathematischen Sinne punktförmige, also völlig ausdehnungslose Lichtquelle voraus; ist diese punktförmige Lichtquelle unendlich fern, so gelangt man zu den bei jenen Konstruktionen gewöhnlich angenommenen parallelen Strahlen. Eine solche Parallelstrahlung läge beispielsweise vor, wenn ein Fixstern, etwa der Sirius, hell genug leuchtete, um auf der Erde sichtbare Schatten zu erzeugen. Bei der Sonne aber liegt die Sache anders – die Sonne erscheint uns nicht als leuchtender Punkt sondern als eine Scheibe von meßbarer Ausdehnung; ihre scheinbare Größe – der Winkel, den zwei von gegenüberliegenden Punkten ihres Randes nach dem Auge des Beobachters gehende Strahlen miteinander bilden – beträgt etwa 32'. – Die oft aufgestellte Behauptung,[544] daß die Sonnenstrahlen wegen der unermeßlichen Entfernung der Sonne parallel seien, ist daher auch nicht richtig. Wohl sind die von einem Sonnenpunkte – etwa dem Sonnenmittelpunkte – durch verschiedene Punkte eines irdischen Körpers gehenden Strahlen parallel, denn die Maße auch des größten irdischen Körpers sind, mit der Entfernung der Sonne verglichen, unendlich klein. Nicht parallel aber sind die Strahlen, die umgekehrt von verschiedenen Sonnenpunkten aus durch einen irdischen Punkt gehen; diese Strahlen bilden vielmehr ganz erhebliche Winkel miteinander. Der Winkel zweier solcher Strahlen kann bis zur Größe von 32' – eben der scheinbaren Größe der Sonne – wachsen, wenn ihre Ausgangspunkte gegenüberliegende Punkte des Sonnenrandes sind. Der Sonnenradius ist eben nicht unendlich klein im Vergleiche mit ihrer Entfernung von der Erde, während der Radius auch des größten und nächsten Fixsterns mit seiner Entfernung von der Erde verglichen gleich Null ist.

Diese scheinbare Größe der Sonne nun ist die Ursache der Verschwommenheit der Umrisse der bei Sonnenbeleuchtung auftretenden Schlagschatten. Wir wollen uns eine scharfe Kante eines von der Sonne beleuchteten Körpers denken, eine Kante, die Licht und Schatten trennt, die also einen Teil der Schattengrenze bildet. Legen wir von zwei gegenüberliegenden Punkten des Sonnenrandes Strahlen durch einen Punkt dieser Schattengrenze, so bilden diese Strahlen einen Winkel miteinander, der bis zur Größe von 32' wachsen kann. Lassen wir nun den Schlagschatten des Körpers auf einen Schirm fallen, so bemerken wir an diesem Schlagschatten einen verschwommenen Umriß, der eben durch die Divergenz der Strahlen bewirkt wird, die von den verschiedenen Punkten der Sonnenscheibe durch den einen Punkt der Schattengrenze gehen. Man erkennt ohne weiteres, daß die Breite des verschwommenen Randes dem Abstande des Schirmes vom schattenwerfenden Körper proportional ist, also mit zunehmendem Abstande wächst. – Innerhalb des verschwommenen Randes befindet sich der dunkle Kernschatten, der aber völlig verschwindet, wenn die Entfernung des Schirmes vom Körper ein gewisses Maß überschreitet. Dann verdeckt für keinen Punkt des Schirmes der Körper die Sonne vollständig; jeder Punkt des Schirmes erhält noch etwas Sonnenlicht. Bei weiter wachsender Entfernung verschwindet der Schlagschatten schließlich vollständig. Es sei A B die Projektion eines zur Zeichenfläche senkrechten Kreises (vgl. die Figur), der Kreis mit dem Mittelpunkte S die Sonne; dann Stellt das Dreieck P A B den Achsenschnitt des Kernschattenkegels dar. I und II seien zwei zur Kegelachse S M senkrechte Schnitte zu beiden Seiten der Kegelspitze P. Daneben sind die auf die Schnittebenen I und II fallenden Schlagschatten dargestellt; in I erhalten wir jetzt einen kreisförmigen Kernschatten, der von einem Halbschattenringe umgeben ist, während in II nur ein Halbschattenkreis auftritt. In der Ebene II gibt es keinen Punkt, für den die Sonnenscheibe vollständig verdeckt ist, jeder Punkt dieser Ebene erhält noch Sonnenlicht. – Von der Mitte aus nimmt die Helligkeit des Halbschattens nach außen zu und geht ohne scharfe Grenze in die volle Helligkeit der Ebene über.

Selbstverständlich ist die Zeichnung nur als eine schematische zu betrachten. Radius und Entfernung der Sonne sind im Vergleiche mit A B unendlich groß und der Winkel φ ist = 32' zu denken.

F. Meisel.

Schatten [3]
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1920., S. 544-545.
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