Schienenherstellung

[629] Schienenherstellung und Schienenprofile bei Eisenbahnen. Nach vielen Bemühungen gelang es 1820 John Berkinshaw, gewalzte Schienen aus Schmiedeeisen von 15' engl. (4,57 m) Länge und 14 kg Gewicht auf 1 m statt der bis dahin üblichen gußeisernen, nur 3–4' langen, herzustellen.

Diese gewalzten Schienen wurden wie die gußeisernen mittels gußeiserner Stühle (daher Stuhlschienen), in denen sie mit Holz- oder Eisenkeilen feilgehalten wurden, meist auf Holzquerschwellen, aber auch auf Einzelstützen aus Stein oder Eisen befestigt. Ihr Querschnitt war pilzförmig, d.h. Kopf und rechteckiger Steg. Letzterer erhielt später unten auf einer oder beiden Seiten eine Leiste, um zu verhindern, daß die Schiene sich aus dem Stuhl hebt. Merkwürdigerweise suchte man bei den gewalzten Schienen zuerst die Fischbauchform der gußeisernen Schienen nachzuahmen und bearbeitete den Steg an den Auflagerstellen, und erst später verwendete man die Schiene in der Form, wie sie die Walze gibt, d.h. mit gleichem Querschnitt. Zur Erhöhung der Tragfähigkeit erhielten die Schienen auch unten einen Kopf, Doppelschienen, und 1838 machte R. Stephenson bei den Schienen für die London-Birminghambahn (32 kg/m) beide Köpfe gleich (symmetrische Stuhlschienen), von der Annahme ausgehend, die Schienen könnten nach Abnutzung des oberen Kopfes umgedreht werden. Dies erwies sich aber wegen der Abnutzung des Unterkopfs an den Lagerstellen in den Stühlen als undurchführbar. Man kehrte daher zur unsymmetrischen Form zurück, die heute noch unverändert, aber mit stärkeren Abmessungen (s. Oberbau, Fig. 9–12 und 22) in England so gut wie ausschließlich, in Frankreich vielfach, sonst aber wenig gebräuchlich ist. Im Jahr 1830 erfand in Nordamerika R.L. Stevens die Breitfußschienen, die von Vignoles in Europa eingeführt und daher früher Vignoles-Schienen genannt wurden. Sie sind mit Ausnahme der oben angeführten Länder, in welchen Stuhlschienen üblich sind, allgemein gebräuchlich. Die ersten Breitfußschienen wogen nur etwa 20 kg/m, während die heutigen Schienen für Hauptbahnen (s. Oberbau, Fig. 1–5) 40–50 kg/m (belgische Goliathschienen sogar 52 kg/m) wiegen. Auch bei ihnen ist die ursprüngliche Form des Profils im allgemeinen beibehalten; die Abmessungen, insbesondere die Höhe und Fußbreite, wurden aber vergrößert und die Laschenanschlußflächen an Kopf und Steg möglichst groß und eben gemacht. Die Breitfußschienen werden beinahe ausschließlich auf Querschwellen gelegt, doch fehlt es nicht an Versuchen, schwache Schienen auf Langschwellen zu legen, so daß die Tragfähigkeit von Schienen und Schwellen zusammenwirkt. Der Erfolg ist bis jetzt nicht befriedigend (s. Oberbau, Bd. 6, S. 716). Außer diesen heute gebräuchlichen zwei Hauptformen sind noch eine Reihe von andern Schienenformen aufgetaucht, aber stets mehr oder weniger rasch wieder verschwunden. In Amerika haben anfangs Flachschienen auf hölzernen Langschwellen wegen ihrer Billigkeit Anklang gefunden; sie wurden bei leichten Betrieben auch lange beibehalten. Im Jahr 1835 erfand Strickland die Brück- oder Brunel-Schiene (nach dem Ingenieur Brunel, der sie 1836 bei der Great-Westernbahn einführte). Diese hatte hutförmigen Querschnitt und wurde meist auf Langschwellen verlegt. Barlow erfand 1849 die Barlow-Schiene, eine Sattelschiene, die ohne Schwelle verlegt wurde, und 1856 Seaton eine Sattelschiene, die auf einer dreikantigen Holzlangschwelle ruhte. Auch zwei- und mehrteilige Schienenformen, bei denen der der raschen Abnutzung unterliegende Kopfteil sollte erneuert werden können, sind aufgetaucht, besonders in Nordamerika; sie hatten aber keinen Erfolg. Erst die zweiteilige Haarmannsche Schwellenschiene (s. Oberbau, Fig. 50) gewann einige Bedeutung. Die Zweiteilung geschah hier aber, damit die Schienenhälften am Stoß übereinander greifen.

Zur Herstellung der Schienen wurde bis in die siebziger Jahre beinahe ausschließlich Schweißeisen verwendet und nur vereinzelt Stahl. Die im Puddelprozeß gewonnenen Schweißeisenstücke reichten für eine Schiene nicht aus; sie wurden daher ausgewalzt und »paketiert«, d.h. die Stücke wurden (mit besonders großer Kopfplatte) zusammengelegt, mit Draht zusammengebunden, im Schweißofen zur Weißglut erwärmt und dann ausgewalzt. Hierbei entstehen oft undichte Schweißnähte, die dann bei Benutzung der Schienen Veranlassung zum Abblättern von Streifen im Schienenkopf geben. Die Länge der schweißeisernen Schienen betrug kaum über 6–6,5 m. Um ihre Oberfläche härter und damit widerstandsfähiger zu machen, suchte man sie auch zu verstählen, indem man sie in Kohlenpulver glühte (zementierte Schienen), aber ohne rechten Erfolg. Eine vollständige Umwälzung erfuhr die Schienenherstellung durch die Erfindung des Bessemerverfahrens und später des Thomasverfahrens. Durch diese wurde es möglich, ohne zu hohe Kosten die Schienen aus Stahl und aus einem Flußstahlblock ohne jede Schweißfuge in großen Längen zu walzen (bis 40 m und mehr), die dann in mehrere Stücke zerschnitten werden. Weiteres über die Herstellung s. Oberbau, Flußeisen und Walzen.


Literatur: Haarmann, Das Eisenbahngleis, Leipzig 1891; Ders., Das Eisenbahngleis, kritischer Teil, Leipzig 1902; Heusinger von Waldegg, Handb. der spez. Eisenbahntechnik, Leipzig 1877, Bd. 1, 3. Aufl.; Eisenbahntechnik der Gegenwart, Wiesbaden 1908, Bd. 2, 2. Abschn., 2. Aufl.; Handbuch der Ing.-Wiss., Leipzig 1908, 5. Teil, Bd. 2, 2. Aufl.

H. Kübler.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 629.
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