[552] Schiffsklassifikation. Die Klassenbezeichnungen der Schiffsklassifikationsgesellschaften haben durch die Einführung der gesetzlichen Freibordvorschriften (s. Freibord, Bd. 4, S. 189) eine Aenderung erfahren. Da die Reedereien ein Interesse daran haben, das Eigengewicht ihrer Schiffe zugunsten einer größeren Tragfähigkeit einzuschränken, so wurden die leichter gebauten Schiffe, weil sie bei gleich tiefer Beladung wie die Schiffe mit vollen Materialstärken für die Seeversicherungsgesellschaften ein größeres Risiko brachten, mit einer geringeren Klasse versehen, z.B. Englischer Lloyd und Germanischer Lloyd 100 A., 95 A., 90 A. u.s.w. bis 75 A. Infolgedessen erhoben die Versicherungsgesellschaften für Schiffe geringerer Klasse höhere Prämien, da sie schwer kontrollieren konnten, wie weit die Schiffe tatsächlich weggeladen waren. Als dann die Klassifikationsgesellschaften nach Einführung der Freibordvorschriften mit der Durchführung derselben betraut wurden, hatten sie es in der Hand, die geringere Widerstandsfähigkeit der leichter gebauten Schiffe durch einen größeren Freibord auszugleichen. Die Unterschiede zwischen 100 A., 90 A., 80 A. u.s.w. hörten auf, und der Englische Lloyd und der Germanische Lloyd haben nur noch zwei Klassen beibehalten, 100 A. und 90 A., und zwar wird die zweite Klasse solchen Schiffen erteilt, deren Bauausführung oder Ausrüstung nicht erstklassig ist. Ferner wird die Klasse 100 A. geteilt in 100 A. und 100 A. mit Freibord, d.h. mit größerem Freibord als dem[552] normalen, wie für Schiffe mit dauernd leichter Ladung Passagierdampfer, Viehdampfer u.s.w. schon früher gebräuchlich war. Bureau Veritas hat die Klassenzeichen I 3/3 1 1, II 3/3 1 1 und III 3/3 1 1 beibehalten, doch werden damit die Schiffe mit II und III nicht mehr wie früher als zweit- oder drittklassig bezeichnet, weil die geringere Baustärke durch einen höheren Freibord ausgeglichen ist.
Daneben haben die Bauvorschriften zur Feststellung der Verbandstärken des Schiffsrumpfes seit dem Jahre 1909 bei fast allen Klassifikationsgesellschaften insofern grundlegende Aenderungen erfahren, als nach dem Vorgang der technischwissenschaftlich ungemein hochstehenden British Corporation den Schiffswerften beim Entwurf der Handelsschiffe ein größerer Spielraum bezüglich der Konstruktion des Schiffsrumpfes gelassen wurde. Die jüngsten Fortschritte im Handelsschiffbau, die vornehmlich der Initiative der British Corporation zu verdanken sind, wie Anordnung der starken Gurtung im obersten Deck, auch bei schwächer gebauten Schiffen, Bestimmung der Materialstärken unter Berücksichtigung der Tiefladelinie, sachgemäße Schottenanordnung und Schottenversteifung, Einführung weitstehender Deckstützen mit Unterzügen unter den Decks, Einführung größerer Spantentfernungen und von Hochspanten, Fortfall der Raumstringer, leichtere Doppelbodenkonstruktion Open flore-System, d.h. Bodenstücke auf jedem zweiten bis vierten Spant u.s.w. haben nicht nur erhebliche Gewichtsersparnisse am toten Gewicht des Schiffskörpers, sondern auch günstigere Laderäume für die Stauung gebracht und damit die Baukosten verringert. Auch führten sie schließlich zu einer Aenderung der Leitzahlen, die für die Festsetzung der einzelnen Verbandstärken des Schiffsrumpfes als Grundlage dienen. Die Bauvorschriften der einzelnen Klassifikationsgesellschaften wurden hierdurch gleichmäßiger, was für die Lieferung neuer Schiffe und den Verkauf von alten Schiffen von großer Bedeutung ist. Während z.B. vor 1910 die sogenannte Quernummer Q für die Querverbände beim Englischen Lloyd gleich U : 2 + B : 2 + T in Fuß gesetzt wurde (s. die Figur), beim Germanischen Lloyd war Q = U : 2 + B : 2 in Meter, ist seit 1910 bei beiden Gesellschaften Q = B + H, wie dies von dem Bureau Veritas schon früher geregelt war. Für die Abmessungen der Längsverbände dient dann das Produkt aus Q und der Schiffslänge L. Ueberschreitet beim Bureau Veritas Q = B + H die Zahl 90 in Fuß, so ist Q = (B + H) : 2 + 45. Die Längsnummer wird berechnet nach L B H 0,85 und bei Schiffen über H = 40 Fuß aus L B H × (125 H) : 100, bei Segelschiffen ist sie = L B H. In den Materialvorschriften für den Schiffbaustahl bestehen noch immer größere Unterschiede. In England bevorzugt man den härteren Stahl, der meist nach dem sauren Verfahren hergestellt wird, in Deutschland und Frankreich den etwas weicheren basischen Siemens-Martin-Schiffbaustahl, der Gerrnanische Lloyd läßt auch Thomasstahl zu. Neben den Bauvorschriften für den Schiffsrumpf sind besondere Vorschriften für maschinelle Einrichtungen, Maschine, Kessel, Wellen, elektrische Anlagen, Dampfrohrleitungen, Pumpenanlagen und neuerdings auch für Dieselmaschinen vorgesehen. In diesen Vorschriften finden sich namentlich für die Kessel und Wellen erhebliche Unterschiede für die Bemessung der Materialstärken auch selbst in den einzelnen Ländern. In Deutschland bearbeitet der Germanische Lloyd ferner die Frage der wasserdichten Schottteilung für über 50 Passagiere führende Schiffe, die kurz vor dem Kriege in der Londoner »Titanic«-Konferenz eingehend beraten wurde und zu einer internationalen Geltung gelangen dürfte.
Literatur: [1] Kielhorn, Die neue Richtung im Handelsschiffbau, Schiffbau, 12. Jahrg., S. 611. [2] E. Foerster, Technik der Weltschiffahrt, Berlin 1909. [3] Pagel, Die Schottvorschriften des internationalen Vertrages zum Schütze des menschlichen Lebens auf See, Jahrb. d. Schiffsbautechn. Ges., ebend. 1918.
T. Schwarz.