Schutzschienen [1]

[834] Schutzschienen (Streichschienen, Schutzbalken), besondere Schienen oder winkelförmige Walzeisen oder auch nur Holzbalken neben den Fahrschienen der Eisenbahngleise, meist nur innerhalb, manchmal auch außerhalb derselben und mit den Schwellen fest verbunden, sollen entweder die Räder entgleister Achsen auf dem Bahnkörper halten und so die Wirkung der Entgleisung schwächen oder aber Entgleisungen überhaupt verhindern. Im letzten Falle sind die Schutzschienen so nahe innen neben der Fahrschiene zu befestigen, daß sowohl das Ablaufen der Räder von der Fahrschiene als auch das Aufzeigen der Spurkränze auf der gegenüberliegenden Seite nicht möglich m. Sie werden dann oft auch noch mit den Fahrschienen verbunden und gehen in Leitschienen (s.d.) über.

Schutzschienen fanden zuerst in Nordamerika bei Stadtbahnen in New York und Chicago in einfachster Form als Holzbalken Anwendung. Es wurden dort vier Balken, je zwei innerhalb und zwei außerhalb der Fahrschienen, auf den Schwellen mit 57–108 mm bezw. 107–152 mm Spurrinnenweite befestigt und gegen die Fahrschienen teils mehr als 100 mm überhöht (Fig. 1). In Europa fanden sie erst später Eingang. Ihre Anwendung ist verschiedenartig, äußere Schutzschienen hält man aber nicht erforderlich. In scharfen Bogen (unter Umständen bis 400 m Halbmesser), die verhältnismäßig rasch befahren werden, ordnete man zuerst in England und später auch in Deutschland und Oesterreich vielfach an der Innenseite des niederen Stranges, in der Geraden beginnend, Schutzschienen an, um die Schienen des äußeren überhöhten Strangs zu entlasten und die seitliche Abnutzung derselben zu verringern. Um dies zu erreichen, darf: die Spurrinnenweite in der Geraden nur 45–50 mm betragen, in den Bogen ist sie aber um die Spurerweiterung zu vergrößern. Ebenso bringt man auf langen oder hohen gewölbten oder eisernen Brücken und Viadukten, wo Entgleisungen sehr folgenschwer sein können, gegenwärtig vielfach Schutzschienen neben den Fahrschienen an. Die Weite der Spurrinnen wird bei den verschiedenen Verwaltungen verschieden groß gemacht. Bei der österreichischen Staatsbahn beträgt sie in Geraden und Krümmungen 160 mm. Die Räder können somit von den Fahrschienen herunterfallen, werden aber zwischen Schutz- und Fahrschienen weitergeleitet. Die Schutzschienen werden hier aus Altschienen (Fig. 2) oder aber nur aus Holzbalken hergestellt, die an der Oberkante gegen die Fahrschienen mit Winkeleisen beschlagen werden. Bei andern Verwaltungen, z.B. in Sachsen, Württemberg u.a., sucht man das Entgleisen der Räder überhaupt zu vermeiden und macht die Spurrinnenweite nur 50 mm; außerdem wird meistens die Betriebssicherheit durch Ueberhöhung der Schutzschienen gegen die Fahrschiene zu erhöhen gesucht. Das Maß der Ueberhöhung darf in Deutschland und im Verein Deutscher Eisenbahnverwaltungen wegen der Umgrenzung des lichten Raumes (s. Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung vom 4. November 1904, 11) 50 mm nicht überschreiten, wird aber mit Rücksicht auf die stetige Abnutzung der Fahrschienen besser nicht über 35–40 mm angenommen. Bei der großen Spurrinnenweite der österreichischen Staatsbahn hat die Befestigung der Schutzschienen keine Schwierigkeit, um so mehr, als auf eine Ueberhöhung verzichtet ist; dagegen wird die Befestigung der Schutzschienen bei geringer Spurrinnenweite schwierig, besonders wenn, wie dies gegenwärtig meist geschieht, an der Fahrschiene der normale Oberbau durchgeführt und die Schutzschiene überhöht wird. Bei der sächsischen Staatsbahn (Fig. 3) und der Schnellbahnversuchsstrecke Marienfelde–Zossen (Fig. 4) sind zu Schutzschienen Altschienen verwendet, die mittels besonderer gußeiserner Stühle auf den Schwellen befestigt werden, während bei der württembergischen Staatsbahn (Fig. 5, Schnitt i-k), um eine bequeme Befestigung zu erhalten, zu den Schutzschienen Leitschieneneisen verwendet werden, die sowohl mit den Schwellen als den Fahrschienen verschraubt werden.[834]

An den Enden sind die Schutzschienen wie die Leitschienen zur stoßfreien Einleitung der Räder gegen die Gleismitte sanft abzubiegen. Bisweilen werden sie bis zur Gleismitte oder bis nahe derselben weitergeführt, um entgleiste Räder, die sich von den Fahrschienen entfernt haben, zu fangen, an diese heranzubringen und an ihnen weiterzuführen. Bei großer Spurrinnenweite, wie bei der österreichischen Staatsbahn, ist letzteres ohne Zerstörung der Schutzschienen möglich, bei geringer Spurrinnenweite nicht; hier muß die Schutzschienenanlage in eine Eingleisungsvorrichtung (Fig. 5) übergehen. In dieser werden die Räder auf festem, mittels Holz und Eisenblech hergestelltem Boden aufgefangen und allmählich gehoben, so daß sie, von einer Schutzschiene seitlich geleitet, wieder auf die Fahrschienen übergeführt (eingegleist) werden Zum Auffangen der außenlaufenden Räder wurden früher außerhalb der Fahrschienen trichterartig zusammenlaufende Schienen (Trichter- oder Fangschienen) eingebaut. In neuerer Zeit läßt man sie weg, ebenso wie man die inneren Fangschienen nicht mehr bis zur Gleismitte fortführt, da Fahrzeuge, deren Räder auf einer Seite schon die Schwellen verlassen haben und in der Bettung laufen, nicht mehr eingleisen. Eingleisungsvorrichtungen sind in Sachsen schon seit einigen Jahren mit Erfolg angewendet und bei andern Verwaltungen werden sie eingeführt. Nach den in Württemberg aufgestellten Grundsätzen sollen Eingleisungsvorrichtungen ohne Schutzschienenanlage (wie in Fig. 5 dargestellt) vor kleinen Brücken ins Gleis eingebaut werden, und zwar etwa 50 m vor denselben im Sinne der Fahrrichtung. Bei einspuriger Bahn ist also auf jeder Seite der Brücke eine solche einzubauen, bei zweispurigen Bahnen in jedem Gleis nur eine. Liegt die Brücke im Bogen, so sind am inneren Schienenstrang im Anschluß an die Eingleisungsvorrichtung, über die Brücke sich erstreckend, Schutzschienen anzubringen. Bei langen und hohen Brücken geschieht dies an beiden Schienensträngen, auch in der Geraden. Bei zweispurigen Bahnen endigen die Schutzschienen kurz hinter der Brücke mit einfacher seitlicher Abbiegung, bei einspurigen werden sie bis zur Eingleisungsvorrichtung auf der andern Seite der Brücke weitergeführt.


Literatur: Eisenbahntechnik der Gegenwart, 2. Aufl., Bd. 2, 2. Abschn., Oberbau, S. 306; Handbuch der Ing.-Wiss., 2. Aufl., V, Bd. 2, S. 272; Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens 1891, S. 25, 30 und 79.

H. Kübler.

Fig. 1., Fig. 2., Fig. 3.
Fig. 1., Fig. 2., Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 4.
Fig. 5.
Fig. 5.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 834-835.
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