[724] Selenzellen. Das Selen zeigt in seiner graukristallinischen Modifikation die Eigenschaft der Lichtempfindlichkeit, indem es bei Belichtung seinen elektrischen Leitwiderstand vermindert. Diese Eigenschaft wurde von Willoughby Smith 1873 entdeckt. Da der spezifische Widerstand des Selens sehr hoch ist, anderseits die Wirkung des Lichtes mit der Größe der bestrahlten Selenoberfläche steigt, so muß man das Selen für technische Zwecke in eine Form bringen, bei der es möglichst große Oberfläche und Querschnitt bei kleiner Leiterlänge besitzt. Es sind dies die Selenzellen. Die ersten Zellen waren die von Werner Siemens, Fig. 1, der ein Glimmer- oder Schieferblättchen mit dünnen Platin-, Stahl- oder Kupferdrähten bifilar in Schraubenwindungen bewickelte. Zwei Enden wurden isoliert, zwei bildeten die Stromzu- und -ableitung. Zwischen die Drähte wurde auf einer Seite eine dünne Selenschichte eingebracht, welche dann die leitende Verbindung zwischen den Drähten bildete.
Bei den Zellen Clausen- v. Bronks, Fig. 22, wurde statt des Blättchens ein Zylinder benützt und dieser in eine luftleere Glasbirne eingeschlossen. Mercadier wickelte zwei Messingbänder von 0,1 m Dicke und 5 m Länge, welche durch dünnes Pergamentpapier isoliert waren, spiralig zusammen, die gebildete Fläche wurde mit Selen bestrichen. Bei den Zellen Pressers wird eine kreisrunde Isolierplatte mit Platin überzogen. Auf diesem Ueberzuge sind konzentrische Halbkreise durchgeritzt, deren Anfang und Ende abwechselnd mit dem inneren bezw. äußeren benachbarten Halbkreis verbunden ist. Nach ähnlichem Prinzipe ist die [724] Zelle von Grippenberg gebaut, doch ist die Lichtausnützung eine noch größere. Man unterscheidet je nach Behandlung des Selen zwei Modifikationen, Modifikation A (harte, nicht metallische Modifikation) und Modifikation B (weiche, metallische Modifikation).
Die Selenzellen weisen immer Gemische beider Modifikationen auf, wodurch sich das verschiedene Verhalten der Selenzellen erklären läßt. Die Lichtempfindlichkeit des Selens variiert für Licht verschiedener Farbe, und hängt die Farbenempfindlichkeit von der Art der Herstellung ab. Es lassen sich dieselben direkt für bestimmte Farben sensibilisieren. Sehr störend ist für technische Zwecke die Trägheit der Selenzellen, d.h. die Eigenschaft, bei Belichtung nicht sofort auf das Minimum des Widerstandes zu sinken, sondern erst nach längerer Zeit, und bei Verdunkelung den Dunkelwiderstand erst nach längerer Zeit zu erreichen. Diese Eigenschaft, die in der Phototelegraphie besonders störend ist, konnte Korn durch seine Kompensationsschaltung (s. Phototelegraphie, S. 608) beheben.
Die Hauptverwendung haben die Selenzellen in der Phototelegraphie (s.d.) gefunden. Andre Verwendungen waren in der optischen Photometrie (s.d., S. 606). Ferner die Telephonie ohne Draht, indem die Lichtschwankungen einer sprechenden Bogenlampe durch einen Scheinwerfer auf eine entfernte Selenzelle geworfen werden (s. Photophon, Bd. 7, S. 129). Die phonographische Wiedergabe von Tönen geschieht in der Weise, daß die Schallwellen einer sprechenden Bogenlampe überlagert werden, die Lichtschwankungen auf einen Film photographiert und durch eine Selenzelle in telephonische Töne übersetzt werden.
Viele andre Verwendungen der Selenzellen wurden vorgeschlagen, so die Auslösung photographischer Verschlüsse. Das Anzünden von Beleuchtungskörpern, speziell von Seeleuchten u.s.w., bei Anbruch der Dunkelheit und andres mehr.
Literatur: [1] Marc, Die physikalisch-chemischen Eigenschaften des metallischen Selens, Hamburg 1907 (L. Voß). [2] Ries, Physik. Ztg. 1908, S. 569. [3] Schrott, Ber. d. Wiener akad. Wissensch., 115, II. Bd., S. 1031. [4] Sperling, Beiträge zur Kenntnis der Selenzellen (Dissertation), Göttingen 1908. [5] Eders Jahrbuch für Photographie und Reproduktionstechnik, Halle a. S. Weitere Literatur s. unter Phototelegraphie.
v. Schrott.