Stabilität [2]

[743] Stabilität im Luftfahrtwesen.

Ist bei einer ebenen, gleichförmig schwebenden bezw. gleitenden Platte die Last so verteilt, daß der Angriffspunkt des Auftriebs C und der [743] Schwerpunkt S zusammenfallen, so ziehen irgendwelche Störungen, die eine Aenderung der Stellung bedingen, stets Verschiebungen vom Druckmittelpunkt nach sich, so daß ein rückdrehendes Moment entsteht, welches die ursprüngliche Stellung wiederherzustellen sucht. Schwieriger gestalten sich diese Verhältnisse schon bei der gewölbten Platte, weil hier gegebenenfalls eine Verminderung des Gleitwinkels zur Folge haben kann, daß der Auftriebspunkt den Schwerpunkt überschreitet und so das auslenkende Moment unterstützend, ein völliges Kentern herbeiführt. Bei der Tragdecke ist es im allgemeinen nicht möglich, C mit S zusammenfallen zu lassen, man begnügt sich daher, S unter C anzuordnen, so daß im verstärkten Maße ein Rückdrehen stattfindet.

Aber auch hier ist vor einem Zuviel zu warnen, da ein zu groß gewählter Abstand leicht bei der Rückdrehung ein Ueberschreiten der vertikalen Lage und dadurch ein Pendeln hervorruft, das wieder das Auftreten von gefahrbringenden Resonanzerscheinungen begünstigt.

Unter natürlicher Längsstabilität wird die Eigenschaft verbanden, die nach einer zeitweiligen Störung das Flugzeug wieder in eine dem stabilen Flug entsprechende Bahn bringt, sei sie nun geradlinig oder wellenförmig mit abnehmenden Amplituden. Dies wird erreicht durch das System einer vorn liegenden Haupttragdecke und einer zur Dämpfung dienenden Schwanzfläche, wobei vorausgesetzt ist, daß der Systemschwerpunkt mit dem Druckmittelpunkt der Haupttragfläche zur Deckung kommt. Die Schwanzfläche soll nur als stellungsregelndes Organ wirken, nicht also als Tragdecke; in ihrer unmittelbaren Umgebung hat auch die durch die Tragflügel abgelenkte Luft eine andre Richtung, als sie sonst der Stromrichtung entspricht.

Die Dämpfung ist um so größer, je größer der Flächeninhalt der Schwanzfläche sowie die Eigengeschwindigkeit angenommen wird. – Bei jeder Querneigung tritt eine Gewichtskomponente auf, die eine Kursänderung anstrebt; ihr kann durch feste, in der senkrechten Längsebene liegende Stabilisierungsflächen entgegengewirkt werden, jedoch bringt dies die Gefahr mit sich, daß ein so ausgerüstetes Flugzeug den Einwirkungen unbeständigen Seitenwindes folgt. Besonders schnell wird eine Rückdrehung dann eintreten, wenn die Tragflächen selbst in schwacher V-Form angeordnet würden, die notwendige konstruktive Erschwerung wird gern in den Kauf genommen. Im allgemeinen gewährleisten die weit ausladenden Tragflügel bei geeigneter Lastverteilung schon eine genügend kräftige Dämpfung dieser Querschwingungen.

Sofern außer dieser »natürlichen Stabilität« der Flugzeuge noch selbsttätige Gleichgewichtsregler in Frage kommen, haben diese die drei Bedingungen zu erfüllen, daß das Flugzeug Mittel besitzt: 1. eine bestimmte, durch Konstruktion festgelegte Relativgeschwindigkeit zur umgebenden Luft nicht zu unterschreiten und ferner 2. einer ungewollten Drehung um die horizontale Längsachse, 3. einer ungewollten Drehung um die horizontale Querachse zu begegnen. Als Richtmittel für die Gleichgewichtslage, die natürlich für eine automatische Stabilität von den Sinnen des Menschen unabhängig sein müssen, da sie sie ersetzen sollen, stehen folgende drei Kräfte zur Verfügung:

I. Erdanziehung in Einwirkung auf Pendel oder pendelartige Einrichtungen.

II. Luftkräfte bei Fühlflächen.

III. Trägheitskräfte geradlinig beweglicher oder rotierender Massen (Kreisel).

Die Pendel haben wegen ihrer übersichtlichen und einfachen Arbeitsweise, die von der übrigen Technik bekannt ist, eine außerordentlich große Verbreitung zu Vorschlägen von Stabilisierungsvorrichtungen gefunden, es ist jedoch bei allen diesen Vorrichtungen der Grundfehler vorhanden, daß die Beschleunigungskräfte, die auf das Gewicht des Pendels und gleichzeitig auf seinen Aufhängepunkt wirken, in keiner Weise auszuschalten sind. Darum wirken Pendel eigentlich im Luftfahrzeug nicht viel anders als Windfahnen und stellen sich der Richtung der Beschleunigung entgegen. Die Versuche über Pendeleinrichtungen sind übrigens noch nicht zum Abschluß gekommen. Als zweckmäßigerhaben sich Fühlflächen herausgestellt. Die wichtigste Gleichgewichtsbedingung ist die Innehaltung der Relativgeschwindigkeit des Flugzeuges, da von ihr die Steuerwirkung aller übrigen Gleichgewichtsorgane abhängt. Ein Mittel zur Regelung dieser Relativgeschwindigkeit sind bereits die Dämpfungsflächen, nur ist ihre Wirkung infolge der Massenträgheit eine zu langsame. Man muß sich daher durch leicht bewegliche, von dem Beharrungsvermögen der Massen unabhängige FlächenFühlflächen – Organe schaffen, die durch eine Abweichung des Einfallwinkels möglichst schnell zum Ausschlag gebracht werden und durch ihren Ausschlag automatisch auf Höhensteuerflächen wirken. Derartige[744] Fühlflächen Und unter andern beim Wright – Stabilisator mit Erfolg angewendet. – Die Trägheit der Massen bei Beschleunigungen oder Verzögerungen zeigte sich bei der Pendelstabilisierung als äußerst Hörend; auf ihr beruht aber die Konstruktion eines Gleichgewichtsreglers, dem man wohl als einzigen bis heute eine gewisse Verwendungsmöglichkeit nicht absprechen kann, des französischen Doutre-Stabilisators (vgl. die Figur, S. 744). Er ist eine Kombination einer Stauscheibe mit zwei Bleigewichten, die mittels Preßluft die Bewegung eines Kolbens in einem Zylinder steuern und dadurch die Steuerorgane bewegen. Die französische Heeresverwaltung soll 100 solcher Stabilisatoren für Kriegsflugzeuge bestellt haben.

Endlich sind noch die Kreisel zu erwähnen: Es liegt in den Kreiselgesetzen begründet, daß es bei einer freien oder annähernd freien Aufhängung des Kreisels nicht möglich ist, durch ihn mechanische Kräfte auf Steuerflächen ausüben zu lassen. Mittels elektrischer Uebertragung läßt sich unter großen Schwierigkeiten dem entgegenarbeiten, wie die sehr diffizilen Modellversuche Regnards zeigen. Die großen Erfolge, die man mit Kreiseln bei halbfreier Aufhängung mit Präzessionsbeschleunigung oder Dämpfung bei Schiffen und Einschienenwagen erzielt hat, ermuntern jedoch zum ähnlichen Einbau in Flugzeuge.

Béjeuhr.

Doutre-Stabilisator in Verbindung mit dem Höhensteuer.
Doutre-Stabilisator in Verbindung mit dem Höhensteuer.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 9 Stuttgart, Leipzig 1914., S. 743-745.
Lizenz:
Faksimiles:
743 | 744 | 745
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