[355] Straßenfuhrwerke, die Mittel zur Bewältigung des Fahrverkehrs auf Straßen; vgl. a. Motorwagen und Straßeneisenbahnen.
Der Straßenverkehr spielt bei städtischen Straßen, insbesondere bezüglich der Verkehrsordnung sowie bezüglich der Breitenabmessung, namentlich neu anzulegender Straßen, bei Landstraßen hauptsächlich bezüglich der Befestigungs- und Unterhaltungsweise derselben, eine große Rolle, was in Frankreich schon früh erkannt wurde und seit 1844 in regelmäßigen Zwischenräumen von fünf bis acht Jahren zu staatlich angeordneten Zählungen des Verkehrs führte. Dabei wurden an allen auf das ganze Straßennetz gleichmäßig verteilten Zählstellen gleichzeitig im Laufe des Jahres an jedem 13. Tage die Zugtiere gezählt. Jeder Wochentag kam also viermal im Jahre als Beobachtungstag zur Geltung, wobei man verschiedene Gattungen des Verkehrs unterschied und jeder derselben eine entsprechende Wertziffer beilegte [1][3]. Aehnliche Zählungen erfolgten in Baden (seit 1851) [4], in Bayern (1881) [5], und Württemberg (1884) [6]. Zur Veranschaulichung des Verkehrs wird in sogenannten »Verkehrskarten« jede Straße in einer ihrem Verkehr entsprechenden Breite eingetragen und mit Verkehrsziffern versehen [7] u. [8], die den mittleren täglichen Verkehr an Zugtieren angeben.
Straßenfuhrwerke. Als ältestes Mittel zur Fortbewegung schwerer Lasten sind die Schleifen anzusehen, aus denen sich die Schlitten entwickelt haben [10] und [11], welche für Schnee- und Eisbahnen deshalb besser als Räderfuhrwerke zu verwenden sind, weil die Räder auf den nachgiebigen bezw. glatten Schnee- und Eisflächen nicht den für ihre Drehung erforderlichen Widerstand finden. Bei Schleifen und Schlitten wirkt die gleitende Reibung als Bewegungswiderstand, während bei den später verwendeten Walzen nur der bedeutend geringere Widerstand der rollenden Reibung und endlich bei den Räderfuhrwerken zwar die gleitende Reibung in der Radnabe sowie die rollende Reibung am Radumfange, aber in noch viel geringerem Maße in Frage kam. Aus den lose unter der Last sich fortwälzenden Walzen entstanden die durch eine Achse verbundenen Scheibenräder, die das Untergestell zu den ursprünglichsten zweiräderigen Karren abgaben; aus den Scheibenrädern endlich bildeten sich die Räder der jetzt üblichen zwei- und vierräderigen Straßenfuhrwerke aus, deren allmähliche Vervollkommnung nicht allein auf die Verminderung der Zugwiderstände, sondern auch auf die Ausbildung und Dauer der Straßenfahrbahnen von größtem Einfluß geworden ist.
Neben den Rädern bilden den Hauptbestandteil des Wagenuntergestells: die Achsen mit den die Räder aufnehmenden Achsschenkeln, welche bei Lastfuhrwerken kegelförmig gebildet sind und. einen Unterlauf (Unterachsung s. Fig. 1 ∢ φ) sowie einen Vorlauf (s. Fig. 1 ∢ ε) besitzen. Bei den leichter dreh- und lenkbaren zweiräderigen Karren[355] bildet die Achse mit den zwei Rädern das Untergestell, das mit einer Gabeldeichsel zum Einspannen des Zugtieres versehen wird. Die Last des Wagenkastens nebst Ladung muß hier wesentlich auf der einen Achse aufruhen, befindet sich jedoch im labilen Gleichgewicht und wird daher namentlich auf unebenen Wegen zum Teil auch vom Zugtier übernommen. Beim vierräderigen Wagen, bei welchem die Lastverteilung auf die Achsen und Räder eine viel günstigere ist, wird das Vorder- und Hintergestell (s. Fig. 2) durch den an letzterem befestigten Langbaum L in der Weise verbunden, daß sich der Vorderwagen nebst der an ihm befestigten Deichsel D um den Spannagel S drehen kann. Ist die Deichsel keine Gabeldeichsel, so befindet sich an ihr das Wagscheit w w mit den beiden Zugscheiten z z. Der Drehwinkel ω, um den sich der Vorderwagen gegen den Langbaum drehen kann, bedingt das Maß des kleinsten Krümmungshalbmessers r1 und r2 der Straßenränder. Bei Langholzfuhrwerk wird auch das Hintergestell drehbar angeordnet (s. Fig. 3, wo r1 und r2 kleiner als r1' und r2'), um kleinere Krümmungen durchfahren zu können. Der auf dem Boden gemessene Abstand s der Innenkanten (s. Fig. 2) zweier auf einer Achse aufsitzenden Räder vermehrt um die Felgenbreite wird die Spurweite genannt. Je größer diese ist, um so standsicherer ist der Wagen; sie schwankt zwischen 1,1 und 1,9 m und steht in geradem Verhältnis zur Größe der Raddurchmesser. Der Durchmesser der Vorder- und Hinterräder wird meist verschieden groß angenommen, und zwar bei ersteren um etwa 20% kleiner als bei letzteren. Man bezweckt damit eine Vergrößerung des Drehwinkels ω und dadurch eine bessere Lenkbarkeit. Die Vorderräder haben in der Regel einen Durchmesser von 0,7 bis 0,9 m, die Hinterräder einen solchen von 0,8 bis 1,2 m [7], S. 12. An den Rädern selbst unterscheidet man drei Teile (s. Fig. 4): 1. die mit einem Metallfutter versehene und von mehreren Eisenbändern zusammengehaltene, lose auf dem Achsschenkel aufsitzende Nabe N, die etwas kürzer als der Abstand zwischen der Stoßscheibe n n und der mit einem Vorstecker oder Lünz versehenen Lünzscheibe o o hergestellt wird, so daß sie etwas Spielraum besitzt, um auf ausgefahrenen Straßen eine kleine Seitenbewegung zu ermöglichen. Um das Warmlaufen zu verhindern und die gleitende Reibung zu verringern, muß die Nabe eine Schmiervorrichtung für feste oder flüssige Schmiere enthalten. In letzterem Fall muß die Nabenbüchse geschlossen sein. Fig. 5 zeigt die Einzelheiten einer Achsbüchse, während Fig. 6 und 7 eine Patentachse im. Schnitt und mit abgezogener Büchse darstellen. 2. Die in die Nabe und den Felgen- oder Radkranz eingesetzten Speichen t t (Fig. 4). 3. Den Felgenkranz F (Fig. 4), der aus mehreren Teilen, den Felgen, zusammengesetzt und von einem rotwarm aufgezogenen, mit Nägeln oder versenkten Schrauben befestigten Eisenreif umgeben ist. Die Breite der Felgen muß zum Gesamtgewicht des Wagens in einem passenden Verhältnis stehen, da zu schmale Felgen eine größere Zugkraft erfordern und die Straßen mehr angreifen als breitere; daher sind vielfach Gesetze über die zulässige Felgenbreite der Räder im Zusammenhange mit den üblichen Ladegewichten erlassen worden; vgl. [7], S. 13, [8], S. 15; [9], S. 35. Als passende Felgenbreiten führt Laißle an ([7], S. 14): bei Postwagen 56 cm, bei gewöhnlichem Landfuhrwerk 56 cm, bei gewöhnlichem Lastfuhrwerk 67 cm, bei schwerem Lastfuhrwerk 810 cm, gewöhnlich 8 cm. Zur Verhinderung schädlicher Einwirkung der Fahrbahnunebenheiten sowie zur Erreichung größerer Steifigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen Stoßwirkungen sind die Speichen bei Lastfuhrwerken gestürzt, d.h. schief zur Nabe angeordnet, so daß sie einen Kegelmantel bilden. Dieser Speichensturz vergrößert auch den Raum für den Wagenkasten und bewirkt, daß der Straßenschmutz von den Rädern zur Seite und nicht nach oben geworfen wird. Bei Anwendung einer Unterachsung (s. oben) ist der Speichensturz jedenfalls erforderlich, und der Zusammenhang zwischen beiden ergibt[356] sich aus den aus Fig. 8 abzulesenden Beziehungen: β1 β2 = 2φ und β2 + φ = 90 α. Je vollkommener die Straßen sind, um so kleiner kann die Unterachsung sein, daher bei Personenfuhrwerken auch der Sturz entweder ganz fortfällt oder sehr gering gemacht wird.
Für die Gewichte unbeladener und beladener Straßenfuhrwerke sowie für ihre Abmessungen können die nachstehenden als Mittelwerte angesehen werden [7], S. 16; [9], S. 46:
Bezüglich der Widerstände der Straßenfuhrwerke ist bei der Bewegung gewöhnlicher Straßenfuhrwerke hauptsächlich die Zapfenreibung in der Radnabe und die rollende Reibung am Umfange der Räder zu unterscheiden. Bezeichnet μ den diese Widerstände berücksichtigenden Koeffizienten, P das gleichmäßig auf die vier Räder verteilte Gewicht des Wagens nebst Ladung, so ist auf ebener Bahn der durch das Fuhrwerk erzeugte Widerstand:
W = μ P.
1.
Bei unter dem Winkel α gegen die Wagerechte geneigter Bahn ist bei der Bergfahrt: W = P(μ cos α + sin α), d.h. W : cos α = P (μ + tg α) oder, wenn cos α = 1 gesetzt wird, da α sehr klein:
W = P(μ + tg α).
2.
Bei der Talfahrt ist
W = P (μ tg α).
2a.
Wird dieser Ausdruck für die Talfahrt negativ, so muß statt einer Zugkraft die Bremse in Tätigkeit treten. Zur Bestimmung des Widerstandskoeffizienten μ sind von Gerstner, Brix, Dupuit, Emmery, Morin u.a. Versuche angestellt worden, die sich auf die Berücksichtigung des Raddurchmessers, des Achsschenkeldurchmessers, der Radfelgenbreite, der Bauart der Wagen, der Geschwindigkeit der Fahrt und des Luftwiderstandes beziehen und in ihren Ergebnissen darin übereinstimmen, daß bei zunehmendem Raddurchmesser der Widerstand abnimmt ([7], S. 18, [8], S. 99) und daß die Vergrößerung der Radfelgenbreite auf zusammendrückbarem Boden den Widerstand vermindert. Für die Praxis genügt die durch die Formeln 1. und 2. ausgedrückte Annahme, daß der Widerstand dem Gesamtgewicht des Wagens proportional und von der Art der Beschaffenheit der Straßenoberfläche abhängig ist. Die nachstehende Tabelle gibt Mittelzahlen für μ für verschiedene Arten der Straßenoberflächenbefestigung [7], [8]:
Literatur: [1] Willmann, L. v., Straßenbau, Fortschr. d. Ing.-Wiss., 2. Gruppe, 4. Heft, Leipzig 1895, S. 26 ff. [2] Dietrich, Die Baumaterialien der Straßen, Berlin 1885, S. 23. [3] Ann. des ponts et chaussées, Lois, Decrets etc., 1877, S. 700; 1878, S. 1222; 1879, S. 132; 1881, S. 1323 u. 1470; 1883, S. 529 u. 646; 1885, S. 557; 1886, S. 89; 1887, S. 377, 666, 667, 861; 1888, S. 465 u. 740; 1889, S. 233; 1893, S. 520. [4] Beiträge zur Statistik der inneren Verwaltung im Großherzogtum Baden, 1863. [5] Zeitschr. f. Baukunde, 1882, S. 3. [6] Verwaltungsbericht der Königl. Ministerialabteilung für den Straßenbau u.s.w. für 1891/92 und 1892/93, Stuttgart 1894, S. 33 ff. [7] Laißle, Der Straßenbau, Handb. d. Ing.-Wiss., Bd. 1, Abt; 4, 3. Aufl., Leipzig 1903, Kap. VIII, S. 38 u. 125; 4. Aufl., 1907. [8] Nessenius, Der Straßenbau, Handb. d. Baukunde, Abt. 3, Heft 4, Berlin 1892, S. 90. [9] Loewe, F., Straßenbaukunde, 2. Aufl., Wiesbaden 1906, S. 547. [10] Rühlmann, Allgem. Maschinenlehre, Bd. 3, Straßen- und Eisenbahnfuhrwerke u.s.w., 2. Aufl., 1877. [11] Rausch, Theoretischpraktisches Handbuch für Stellmacher u.s.w., Weimar 1892.
L. v. Willmann.
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