58. Udisch

[210] Es war einmal ein Hirte, der hatte eine sehr schöne Frau und einen Sohn Namens Rustam. Als der Hirte nun starb, nahm der König die Frau zu sich, so daß der kleine Rustam bei Hofe aufwuchs. Von klein auf war er schon sehr stark. Wenn er mit seinen Kameraden Tschiling64 spielte und einer ihm nicht sofort den Stock brachte, riß er ihm gleich einen Arm aus und benützte ihn statt des Stockes; wenn man ihm beim Ballspiel den Ball zu spät gab, riß er einem Kameraden den Kopf ab und spielte damit. Darob mußte der König viele Klagen hören und wußte nicht, was er mit dem Jungen anfangen sollte. Eine alte Frau riet ihm, Rustam in einen gewissen Wald nach Holz zu schicken; dort seien drei Divs und die würden schon mit ihm fertig werden. Der König ließ also Rustam rufen und beauftragte ihn, in den und den Wald zu gehen und Holz zu hauen. »Gut,« sagte Rustam, »dazu brauch' ich aber sieben Maultiere und ein Beil und ein Haumesser, jedes fünf Zentner schwer.« Als alles bereit war, ging Rustam in den Wald. Kaum war er drin, als die Divs ihn angriffen. Er packte sein Beil und sein Haumesser, erschlug die Angreifer, tat ihre Körper auf drei seiner Maultiere und die übrigen vier belud er mit Holz. Dann ging er nach Hause und legte alles im Hofe des Königs nieder. Der wunderte sich nicht wenig, als er sah, was Rustam angerichtet hatte.

Wieder nach einiger Zeit kam eine alte Hexe zum König und berichtete ihm, an einem gewissen Orte wohne der Weiße Div, zu dem solle man Rustam schicken und ihm auftragen, mit jenem zu kämpfen. Das tat der König denn auch. Als Rustam zu dem Weißen Div kam, meinte dieser, sie müßten zuvor vierzig Tage fasten, ehe sie kämpfen würden. Rustam willigte ein. Während dieser Frist kam[210] er nun stark von Kräften und glaubte sich nicht imstande, den Strauß mit dem Div zu bestehen. Darum ging er zu seiner Mutter, um sich von ihr zu verabschieden. Als sie ihm einen gebratenen Hahn vorsetzte, wollte er zuerst nicht essen; als er es auf die Bitten seiner Mutter dennoch versuchte, brachte er keinen Bissen herunter, gleich mußte er sich erbrechen. Nachdem er sich von seiner Mutter verabschiedet hatte, ging er zum Div zurück, um sich zum Kampf zu stellen. So fest packten sich die beiden, daß sie bis zum Himmel emporflogen. Dann packte Rustam seinen Gegner und warf ihn mit solcher Wucht hinunter, daß er drei Fuß tief in der Erde stak. Aber der Div stand wieder auf und griff von neuem an. Wieder warf ihn Rustam, wie einen Mohnkopf schmetterte er ihn auf die Erde. Da ließ er den Toten und ging nach Hause.

Nach einiger Zeit aber merkte er es, daß ihn im Hause des Königs niemand liebte. Er verabschiedete sich also von allen und ging fort. Unterwegs traf er einen Mann, der hatte einen Nußbaum in der Hand und hielt ihn über die Schnitter, um ihnen Schatten zu spenden. »Was machst du denn da für ein Kunststück?« frug ihn Rustam. »Kunststück?« antwortete der Gefragte, »nein, Kunststücke kann bloß Rustam machen.« »Aber das ist doch keine Arbeit für dich, komm doch mit mir«, sagte Rustam wieder. »Gut, ich gehe mit.«

Zu zweit gingen sie weiter und trafen da einen, der hatte sich Mühlsteine an die Füße gebunden und mahlte Getreide damit. »Was machst du da für ein Kunststück?« frug Rustam. »Das ist noch lange keins, Kunststücke kann bloß Rustam machen«, antwortete der. »Geh', laß das, komm mit uns!« sagte Rustam. Dem mit den Mühlsteinen war's recht und er schloß sich den beiden an. Dann trafen die drei einen, der saß in einem Fluß und trank das ganze Wasser weg. »Das ist aber 'mal ein Kunststück«, lobte Rustam. Aber das wollte der Mann im Flusse nicht[211] gelten lassen. »Nein,« sagte er, »das ist gar nichts im Vergleich mit dem, was Rustam kann.« »Gib das Wassertrinken auf und komme mit«, sagte Rustam.

Zu viert gingen sie so weiter, bis sie in einen Wald kamen, wo sie sich eine Hütte bauten. Da blieb nun immer einer der Reihe nach zu Hause und kochte, während die andern auf die Jagd gingen. Am ersten Tag traf es den Mann mit dem Nußbaum. Wie er daran war, Pilaw zu kochen, kam ein Adschdaha65 zu ihm und bat ihn um die Brühe von dem Pilaw. »Warte, bis meine Freunde kommen«, sagte ihm der Nußbaumhalter. Der Adschdaha aber wurde böse, riß sich ein Haar aus seinem Schnurrbart, band jenen, fraß den ganzen Pilaw auf und ging weg. Mit großer Mühe gelang es dem Gebundenen, sich frei zu machen; dann fing er wieder zu kochen an. Als die andern nach Hause kamen und nichts fertig fanden, frugen sie, warum das Essen noch nicht bereit sei. Der Gefragte entschuldigte sich damit, daß er nicht gewußt habe, wie spät es sei, aber Rustam begriff sogleich, daß da etwas anderes dahinter stecke. Am folgenden Tag blieb der mit den Mühlsteinen zu Hause, dem dasselbe passierte mit dem Adschdaha wie seinem Vorgänger. Am dritten Tag kam die Reihe an den Wasserschlucker, dem dasselbe Schicksal widerfuhr. Am vierten Tage aber blieb Rustam zu Hause. Als er mit dem Kochen fertig war, erschien der Adschdaha und bat wieder um die Brühe. Rustam befahl ihm, sich zu packen; der Adschdaha zog ein Haar aus seinem Schnurrbart und wollte Rustam binden, der aber riß ihm den Kopf ab und warf ihn weg. Der Kopf rollte fort bis zu einer Grube, in die er hineinfiel. Als die andern nach Hause gekommen waren und gegessen hatten, erzählte ihnen Rustam, was ihm mit dem Adschdaha passiert war und nun rückten auch sie mit der Sprache heraus. »Wir wollen nachsehen, was in der Grube ist«, sagte Rustam und als sie hinkamen, fanden sie bloß, daß die[212] Grube sehr tief war, aber sehen konnten sie nichts. Sie holten einen Strick und ließen den Nußbaumhalter hinunter, aber kaum war der in die Grube gekommen, da schrie er schon, er brenne und sie sollten ihn wieder hinaufziehen. Dem Mann mit den Mühlsteinen, den sie danach hinunterließen, ging es nicht besser, ebensowenig dem Wasserschlucker. Nun war die Reihe an Rustam. »Laßt mich nur schreien, so viel ich will,« sagte er, »zieht mich nicht herauf, laßt mich ganz hinunter.« So geschah es denn auch; Rustam schrie aus Leibeskräften, wurde aber nicht hinaufgezogen. Als er schließlich auf dem Grunde der Grube stand, sah er ein eisernes Tor. Er brach es auf und fand dahinter ein anderes, das er gleichfalls aufsprengte, dahinter wieder ein anderes und so weiter, bis er endlich das siebente aufgebrochen hatte. Da erblickte er eine Jungfrau, auf deren Knien ein Div schlief. »Ach, was willst du hier,« sagte das Mädchen zu Rustam, »wenn der Div aufwacht, frißt er dich.« In der Tat erklärte der Div gleich nach dem Aufwachen, er rieche Menschenfleisch und er habe schon seit langem keines gegessen. Rustam aber riß ihm den Kopf ab und befreite die Jungfrau. Diese sagte ihm, daß sie eine Schwester habe, die gleichfalls in der Gewalt eines Divs sei, er möge sie doch auch befreien. Das ließ sich Rustam nicht zweimal sagen; er erbrach die Türe, die ins nächste Gemach führte, schlug den Div tot und holte die Jungfrau heraus. Noch eine dritte befreite er auf diese Weise. Schließlich fand er hinter einem vierten sehr festen Tore eine wunderschöne Jungfrau, auf deren Knien ein schwarzer Div schlief. Da war aber auch der Kopf des Adschdaha, den er getötet hatte und der hierher gekommen war, um sich über Rustam zu beklagen. Den Kopf zertrat er, den Div erschlug er und das schöne Mädchen nahm er für sich, die anderen drei aber wollte er seinen Gefährten geben. Dann führte er die Mädchen zu dem Strick. Zuerst zog man die drei ersten hinauf; dann sagte er zu seiner Schönen, sie solle sich nun vor ihm selbst[213] hinaufziehen lassen, denn er fürchtete, sie würde vielleicht unten bleiben, wenn er zuerst hinaufkäme. Die Schöne aber wollte nicht, weil sie fürchtete, daß Rustams Freunde diesen im Stich lassen würden, wenn sie erst einmal gesehen hätten, wie schön sie sei. »Nein,« sagte Rustam, »ich lasse mich nicht hinaufziehen, bevor du nicht oben bist.« Dann zog das Mädchen zwei Federn aus der Tasche, gab sie Rustam und sprach dabei: »Ich gehe jetzt hinauf; vielleicht werden dich deine Gefährten nicht hinaufziehen, dann schlage die Federn aneinander und es kommen sofort ein weißer Hammel und ein schwarzer Bock; wenn du dich auf den Hammel setzest, führt er dich auf die Oberwelt, der Bock aber in die Unterwelt.« Als nun das Mädchen oben war und Rustams Gefährten sie gesehen hatten, ließen sie den Strick nicht mehr hinunter, damit die Schöne ihnen bleibe. Rustam begriff sogleich, was los war, wurde furchtbar zornig und fiel vor Wut und Ärger zu Boden. Drei Tage lag er so. Plötzlich aber erinnerte er sich an die Federn; er schlug sie aneinander und gleich standen Hammel und Bock vor ihm. Rustam wollte sich auf den Hammel setzen, aber der Bock drängte sich zwischen diesen und ihn und so sehr sich Rustam auch abmühte, es gelang ihm nicht, sich auf den Hammel zu setzen. So bestieg er denn den Bock, der ihn in die Unterwelt führte. Unterwegs begegnete ihm eine alte Frau, die er um Wasser bat; sie gab ihm aber trübes. Das goß er aus und bat um reines. »Wir haben keines,« sagte die Alte, »in unserm Brunnen sitzt eine Schlange und läßt niemand heran. Jeden Tag muß ihr jemand ein Geschenk bringen, um Wasser zu bekommen. Heut ist die Reihe an der Königstochter.« »Zeige mir diesen Brunnen«, sagte Rustam. Die Alte führte ihn hin; Rustam setzte sich und wartete. Nach einiger Zeit kam die Königstochter und brachte eine Schüssel mit Pilaw. Rustam bat sie darum, sie verweigerte es ihm aber, denn sie müsse den Pilaw der Schlange geben, die gleich herauskommen, essen und dann Wasser geben[214] würde. »Wenn ich dir den Pilaw gebe, wo sollen wir dann Wasser hernehmen?« setzte sie hinzu. »Laß das meine Sorge sein, jetzt gib mir die Schüssel her!« versetzte Rustam, aß alles auf und lauerte auf die Schlange. Als diese herauskroch, erschlug er sie und hieb sie in Stücke; das Wasser wurde ganz rot von ihrem Blut. Die Königstochter tauchte ihre Hände hinein und legte sie dann auf den Rücken Rustams. Als der König erfuhr, daß die Schlange tot war, wollte er den Namen dessen wissen, der sie umgebracht hatte. Er rief alle Leute in seinem Lande zusammen, seine Tochter sah sie sich alle an, konnte Rustam aber nicht herausfinden. Endlich sagte sie ihrem Vater, er befinde sich im Hause einer gewissen alten Frau. Der König schickte hin und ließ ihn holen. Da erkannte ihn die Prinzessin. »Woher weißt du, daß dieser es ist?« frug sie ihr Vater. Dann zeigte sie ihm die beiden blutigen Handabdrücke auf Rustams Rücken. Der König aber sagte zu Rustam: »Recke, sag' deinen Wunsch, was du auch willst, ich erfülle es dir.« »Ich will von dir nichts,« antwortete dieser, »schicke mich nur wieder an die Oberwelt.« »Diesen Wunsch kann ich dir nicht erfüllen,« sagte der König, »aber ich weiß einen Ort, dort ist ein Vogel, dessen Junge immer eine Schlange frißt; wenn du diese Schlange töten kannst, trägt dich der Vogel vielleicht dahin, wohin du möchtest.« Rustam suchte den Vogel auf, erschlug die Schlange und schlief an diesem selben Orte ein. Als der Vogel zurückkam, dachte er, der Mensch, der da schläft, ist sicher derjenige, der deine Jungen immer umbringt, und schickte sich schon an, Rustam zu töten, aber die jungen Vögel im Neste sagten: »Nein, der war es nicht, sondern die Schlange, die er in Stücke gehauen hat.« Gleich flog der Vogel auf Rustam herab und beschattete ihn mit seinen Fügeln. Als dieser aufwachte und den Vogel über sich sah, bekam er Angst, aber der Vogel beruhigte ihn sogleich und sprach: »Fürchte dich nicht, ich bin ganz zu deinen Diensten; befiehl und ich gehorche!« »Gut,[215] dann bring' mich in die Oberwelt!« sagte Rustam. »Du verlangst da einen sehr großen Dienst von mir«, antwortete der Vogel. »Wenn ich jung wäre, so wäre es etwas andres; aber ich bin schon alt. Doch hast du mir einen so großen Dienst erwiesen, daß ich dir deine Bitte unbedingt erfüllen muß. Geh' aber zuerst zum König und bitte ihn um sieben Zentner Fleisch und sieben Zentner Wasser.« Als Rustam das herbeigeschafft hatte, nahm ihn der Vogel auf seinen Rücken und sagte zu ihm: »Jedesmal, wenn ich schreie, wirf mir einen Zentner Fleisch und einen Zentner Wasser in den Schnabel.« So flog dann der Vogel fort mit Rustam auf dem Rücken. Als sie schon fast am Ziele waren, verfehlte Rustam mit dem letzten Stücke Fleisch den Schnabel des Vogels, aber er schnitt sich sofort ein großes Stück aus dem eigenen Schenkel und gab es dem Vogel. Dieser merkte an dem süßen Geschmack, daß es Menschenfleisch war und schluckte es nicht hinunter, sondern behielt es unter seiner Zunge. Als sie auf der Oberwelt angekommen waren, stieg Rustam ab und setzte sich nieder. »Steh' auf und geh'! Warum sitzt du denn?« sagte der Vogel. »Weil ich müd' bin,« gab Rustam zur Antwort. »Ich habe fliegen müssen und du bist müde geworden,« sagte der Vogel; Rustam aber, der seinen Retter nicht beleidigen wollte, stand auf und ging weiter. Da bemerkte der Vogel, daß Rustam hinkte und frug ihn nach dem Grunde davon. »Es war kein Fleisch mehr da,« antwortete er, »und da hab' ich mir ein Stück aus dem Schenkel geschnitten.« Der Vogel ließ dieses aus seinem Schnabel fallen, legte es auf die Wunde, strich ein paarmal mit einer Feder darüber und Rustams Schenkel wurde heil. Dann sagte er: »Nimm diese zwei Federn und wenn du im Unglück bist, schlage sie aneinander, ich komme dann gleich zu dir.« Von da aus ging Rustam geradeswegs in jenen Wald, wo er mit seinen Gefährten eine Hütte hatte. Dort war großer Streit entstanden wegen der Schönen. Als sie aber Rustam erblickten, wunderten sie sich und schämten sich, fielen vor ihm auf[216] die Knie und baten um Verzeihung. Er gewährte ihnen ihre Bitte, nahm die Schöne für sich und verteilte die übrigen drei Mädchen unter seine Gefährten. Dann machten sie untereinander aus, daß jeder in ein anderes Land ziehen solle, um aber voneinander zu wissen, tauschten sie Ringe aus; wem etwas zustoße, dem würde der Stein an seinem Ringe schwarz und so könnte jeder erfahren, wie es um jeden der andern stünde. Dann verabschiedeten sie sich und gingen auseinander.

Rustam kam mit seiner Schönen in ein Reich. Als er da ein Königsschloß erblickte, frug er, wem es gehöre. Man sagte ihm, es gehöre einem Div. Den erschlug er und nahm dessen Frau zu sich, so daß er jetzt zwei Frauen hatte. Der König dieses Reiches hatte längst ein Auge auf die Frau des Divs geworfen, wagte aber nichts gegen diesen zu unternehmen. Als er nun erfuhr, daß sie im Besitze Rustams war, versuchte er sie ihm wegzunehmen. Eine alte Frau wollte ihm dabei helfen: »Ich bringe sie dir«, sagte sie zum König. »Laß du mir einen Koffer machen, den man zuschließen kann, wenn man daraufsitzt und der sofort in dein Schloß fliegt, wenn man es wünscht.« »Gut,« sagte der König, »ich lasse den Koffer machen und zahle dir dein Gewicht in Gold, wenn du mir die Frau herschaffst.« Die Alte ging und setzte sich vor Rustams Türe. Als dieser nachts von der Jagd zurückkam, sprach sie ihn an: »Ich sterbe vor Hunger! Miete mich als Dienerin!« »Ich will nichts von dir,« antwortete Rustam, »leb' in Frieden in meinem Hause.« Aber seiner zweiten Frau gefiel die Alte nicht; es wäre sicher nichts Gutes von ihr zu erwarten, behauptete sie immer. Doch blieb die Alte und es gelang ihr sogar, sich mit Rustams zweiter Frau anzufreunden. Eines Tages frug sie diese, ob sie wisse, worin Rustams Kraft beruhe. »Das weiß ich nicht,« antwortete die Gefragte. »Was bist du für eine Frau, wenn du nicht einmal weißt, worin deines Mannes Kraft ruht«, sagte die Alte. Das wirkte. Bald frug die Frau ihren Mann auch danach. Rustam antwortete erst ausweichend, aber nach langen[217] Bitten gestand er ihr, seine Kraft ruhe in dem Ring an seiner Hand, wenn man ihm den abnehme, sei er wie ein Lappen und nicht imstande, auf den Füßen zu stehen, wenn er aber in diesem Zustande vierzig Tage bleibe, so müsse er sterben. Alles das hatte die Alte gehört. Als sich nun Rustam einmal im Garten schlafen gelegt hatte, stahl sich die Alte heran, schmierte ihm den Ringfinger mit Öl ein, zog den Ring ab und warf ihn in den Brunnen. Dann ging sie zur Frau Rustam und lud sie ein, im Garten spazieren zu gehen, weil es so schön sei. Als Frau Rustam im Garten war, führte sie sie zu dem Koffer und bat sie, sich zu setzen und die Schönheit des Gartens sich anzusehen. Kaum saß Frau Rustam, als die Alte den Schlüssel umdrehte und Alte, Frau Rustam und Koffer waren im Nu im Königshof.

Im selben Augenblick aber wurden die Ringe der Freunde Rustams schwarz und sie wußten, daß dieser im Unglück stak. Gleich machten sie sich auf den Weg und fanden Rustam bewußtlos im Garten liegend; an seinem Finger fehlte der Ring. Sie suchten und suchten, konnten diesen aber nicht finden. Der Wasserschlucker trank alles Wasser im Brunnen aus, fand den Ring und steckte ihn Rustam wieder an den Finger. Da erwachte Rustam, freute sich, seine Gefährten wiederzusehen und sagte: »Wie lange habe ich doch geschlafen!« »Nein,« antworteten die drei, »nicht geschlafen hast du, sondern bewußtlos warst du.« Und dann erzählten sie ihm alles. Ganz verwundert ging Rustam ins Haus, sah, daß seine zweite Frau verschwunden war und mit ihr die Alte. Er frug seine erste Frau, die Schöne, danach, aber auch die wußte nichts. Dann begriff er, was vorgefallen war. Mit seinen Gefährten machte er sich auf den Weg, vernichtete das Heer des Königs, diesen selbst erschlug er und holte sich seine Frau wieder. Dann veranstalteten sie eine große Schmauserei, und von da an blieben sie alle beisammen.

Von Gott fielen drei Äpfel herunter: einer mir, einer dem Erzähler und einer den Zuhörern.

64

Ein Stöckchenspiel.

65

Ein Fabelwesen.

Quelle:
Dirr, A.: Kaukasische Maerchen.Jena: Eugen Diederich, 1922, S. 210-218.
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