Jÿa Gozaÿemon.

[426] Ein Herr Jya Gozayemon, welcher in der Hauptstadt Japans wohnte, hatte auf einen ungerechten Verdacht hin einen seiner Untergebenen ums Leben gebracht und wurde von nun an von dem Geiste des Gemordeten unablässig gequält. Oft fuhr dieser Geist in ihn, und er redete dann im Wahnsinn die entsetzlichsten Dinge, so daß seine Umgebung in die größte Angst und Bestürzung gerieth.

Es ward deshalb eine Frau zu ihm gerufen, von der man wußte, daß sie im Bannen von Geistern und Gespenstern sehr erfahren sei. Sie kam auch alsobald mit ihren Apparaten an, zog rings um Gozayemon ein Strohseil, dem die Kraft innewohnt, selbst Geister zurückzuhalten, und begann allerhand Räucherungen und Gebete, während deren Gozayemon gesenkten Hauptes und stieren Blickes dasaß. Auf einmal aber ergriff die Beschwörerin ein Schwert, das in einem Winkel stand, und führte damit einen Schlag gegen Gozayemon, der ihn augenblicklich tödtete.

Man schleppte sie sofort vor Gericht, hier aber behauptete sie, von nichts zu wissen. Auch machte sie dem Richter bemerklich, daß sie nicht den mindesten Grund gehabt habe, Gozayemon zu tödten, daß vielmehr ihr Bestreben nur gewesen sein könne, ihn, wie verlangt, zu heilen, denn sie habe ihn an dem Tage zum ersten Male gesehen und sei auch mit seiner ganzen Familie und Umgebung gänzlich unbekannt. Der Richter, dem dies einleuchtete, ließ sorgfältig nachforschen, und da sich in der That alles so verhielt, wie die Frau angegeben, sah er sich genöthigt, anzunehmen, daß der Geist des unschuldig Getödteten in dem verhängnißvollen Augenblicke in die Frau gefahren sein müsse, und daß sie in unbewußtem Zustande die Rache für ihn vollführte. Sie ward daher freigesprochen.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 426-427.
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