XXVIII. Orm, der Bauer auf Skáli.

[150] Ein Übelthäter wird auf den Færoyern erwähnt, Orm, der Bauer, »á ytra Skála« in Eysturoy. Er war gross und stark und besass viele Äcker. Er befasste sich nicht mit dem Ausrudern und dem Liegen auf dem Meere, sondern dachte umsomehr an seine Schafe, und da er nicht von den[150] seinigen [welche zum Speisen] zu nehmen sich entschliessen konnte, stahl er sie seinen Nachbarn von der Weide; denn das Leben dünkte ihm wenig wert zu sein, wenn kein Fleisch zum Essen da war.

Pætur, der Bauer in Funning, war einer seiner Nachbarn. Orm war oft im Hage des Funningsbauern, um ihm Schafe zu rauben. Einmal geht Pætur durch seine Flur, und sieht dort Orm gehen und seinen Hund nach den Schafen hetzen; aber er wusste, dass er das Leben verlöre, hielte er nicht heimlich, dass er Orm auf unerlaubten Wegen gesehen habe; er gedachte ihm deshalb aus den Augen zu kommen und ging weg; aber Orm lief ihm geradenwegs nach. Pætur ging ruhig weiter und that so, wie wenn er ihn nicht sähe. Orm kam nun zu Pætur und sagte guten Tag zu ihm, und er blickte sich da um und sagte, er sei erschrocken, als er hinter sich reden gehört habe, denn er habe nicht erwartet hier einem Menschen zu begegnen. Orm fragte ihn nun, ob er ihn nicht früher als jetzt gesehen habe. Pætur verneinte es und sagte, dass er darum so zusammengefahren sei, als ihn Orm anredete. Orm erwiderte, wie es auch sei, er solle ihm nun einen Treueid schwören, was er ihn auch von diesem Augenblicke an thun sehe, das sollte er nie einem Menschen kundthun; schwöre er das nicht hoch und teuer, so solle er nicht mit dem Leben davonkommen. Orm stand nun mit der Axt in der Hand und drohte ihn zu erschlagen; Pætur wusste daher keinen anderen Rat sein Leben zu bergen, als zu schwören, und so entkam er Orm diesmal. – Einige Zeit verging nach diesem Ereignis, da fuhr der Funningsbauer nach [Thors]havn; aber er hatte soviel dort im Süden zu thun und anderes zu besorgen, dass er nicht mit dem Funningsboote zurück nach Norden kommen konnte und sich von den Thorshavnern Überfahrt erbat, welche ihn einige Tage später nach Strendur überführten, und von hier ging er dann zu Fuss nordwärts über die Insel. Er ging nun geradenwegs nach Skáli, und weil der Weg am Hause Orms »á ytra Skála« vorbeiging, konnte er nicht anders als zu Orm hineinzugehen, um ihn zu besuchen. Orm war allein zu Hause und damit beschäftigt, Korn in der Rauchstube zu dörren; kein Dörrhaus war hier, und deshalb benutzten sie die Rauchstube und dörrten auf einem Gestell, so dass zwei Stützen unter die Enden desselben gesetzt waren, es zu stützen; dann wurde das Korn auf das Gestell gelegt und Feuer darunter angezündet. – Orm war freundlich und zuvorkommend gegen Pætur und bat ihn, in die Glasstube hinaus zu kommen; hier tischte er ihm auf und legte ihm Fleisch und den abgesengten Kopf eines Schafes vor; aber zum Unglück hatte Orm nicht daran gedacht, die Ohren abzuschneiden, und Pætur erblickt nun sein eigenes Funningszeichen an den Ohren; er hat darum wenig Lust zu essen und sagt schliesslich zu sich selbst: »so etwas ist schlimm«. Orm erwidert: »Iss du, es ist gut gekocht«. Pætur sagt nun, es sei nicht deshalb, dass es ihm widerstehe zu essen, als ob es nicht gut gekocht sei,[151] sondern es sei schwer, sein Eigentum und noch dazu das gestohlene zu essen. Als Orm hört, dass er ihm Diebereien vorwirft, ergreift er die Axt und setzt sich gerade in die Thüröffnung, um sie zu wetzen. Pætur weiss sich nun keinen Rat, Orm unbeschädigt zu entkommen. Da fällt ihm das ein, die Tischplatte von den Tischbeinen zu heben und auf Orm niederzuwerfen, so dass er über ihn hinaus entkommen könnte, ohne Schaden von ihm zu nehmen. Er thut so, bringt die Tischplatte in der Thür zwischen sich und Orm und schwingt sich so an ihm vorbei in die Rauchstube hinaus; dort packte er die Stützen, so dass alles Korn ins Feuer unter dem Gestell fiel; er sprang nun zur Thüre und begann so schnell wie möglich den Hügel hinauf zu rennen. Als Orm unter der Tischplatte sich emporgearbeitet hatte, war Pætur verschwunden; – er war so sinnlos vor Wut, dass er nicht beachtete, welchen Schaden Pætur in der Rauchstube angerichtet hatte, sondern sich so rasch als möglich ihm nach hinaus auf die Beine machte. Erst hetzte er den Hund nach ihm, aber Pætur hatte ein Stück Fleisch mit sich genommen und warf ihm dasselbe zu, und so legte sich der Hund nieder, um dieses fette Fleischstück zu verzehren. Pætur war rasch zu Fuss und soweit vorausgekommen vor ihm, dass es Orm nicht gut möglich war, ihn zu fangen. Doch näherte er sich Pætur mehr und mehr; Pætur wandte sich nun um und rief Orm zu: »Sieh dich um – Feuer im Hause!« Als Orm das sah, dass die Flamme aus dem Hause aufschlug, kehrte er schleunigst wieder um, und Pætur entging ihm diesmal ungeschädigt. Doch als Orm wieder hinab kam, lagen die Häuser alle in Kohle, und daher wird der Hof seither: »Zum verbrannten Haus« genannt.

Kurz nachdem sich dieses begeben hatte, traf der Funningsbauer Orm wieder in seiner Mark, wo er einige Schafe gebunden hatte, von denen Pætur nicht zweifelte, dass es die seinen waren; aber er wagte nicht, sich mit ihm hier einzulassen und schlug daher den Weg nach Funning ein; beide waren zu Ross, und Orm ritt ihm nach bis er zur Funningskleiv kam, da wagte er sich nicht weiter, denn hier erblickt man das Dorf, und er befürchtete nun, die Funningsleute würden kommen, um Pætur zu helfen und den frechen Räuber Orm zu ergreifen.

Nun wird erzählt, dass Orm sich in die Mark des Oyrarbauers wagte, um Schafe zu stehlen und rauben, wie er gewohnt war. So trug es sich eines Tages zu, dass der Oyrarbauer mit seinem Sohne auf der Flur bei den Schafen war. Sie begegnen dort Orm, welcher ein grosses dunkelrotbraunes Mutterschaf genommen hatte. Jógvan, der Oyrarbauer, sprang im Zorn auf Orm los; sie kämpften lange; endlich gelang es ihm, Orm auf die Knie zu drücken; aber er brauchte beide Hände, um ihn festzuhalten, und befahl deshalb seinem Sohn, ihm das Messer aus der Scheide zu ziehen; doch der Junge fürchtete sich, Orm nahe zu kommen und lief fort, um sich in einer Schlucht in der Nähe zu verbergen. Während nun Orm[152] unter ihm lag und nicht wieder emporkommen konnte, da gelobte er dem Teufel das äusserste Glied vom kleinen Finger, wenn er ihm aus dieser Not helfen wolle. Als er das gelobt hatte, erstarkte er so sehr, dass er den Oyrarbauer von sich abwarf, und tötete ihn nun mit der Axt, nahm ihm die Kleider und warf die Leiche in einen Fluss unterhalb Typpafoss. Er begann nun den Knaben zu suchen, der sich an einer mit hohem Grase bewachsenen Stelle in der Schlucht versteckt hatte. Orm wagte nicht, ihm hinab nachzusteigen, denn hier war es steil und beschwerlich; er begann daher Steine auf ihn hinabzuwälzen, so dass ein grosser Block auf ihn kam und ihn aus dem Grasfleck mitnahm; er fiel da tot in den Fluss hinab. Orm klomm nun hinab und nahm seine Kleider, legte diese und das Lamm auf den Rücken des Pferdes, setzte sich auf dasselbe und ritt dann heim. Er war müde und legte sich zum Schlafe, aber rief laut im Traume: »Die Kleider liegen unter der Mühle und die Leichen unter dem Typpafoss«. Die Knechte hören das, suchen unter der Mühle nach und finden dort die Kleider, die sie als die des Oyrarbauern und seines Sohnes erkannten; sie waren mit Blut besudelt. Sie gehen nun zum Typpafoss, der eine Viertelmeile oberhalb Skálabotn ist (in nordwestlicher Richtung); dort finden sie den Bauer und seinen Sohn nackt und erschlagen. Diese Nachrichten bringen sie so rasch als möglich zum Lögmann; der Lögmann lädt Orm, die Lögrettsmänner und alle Zeugen nach Stevnuvál, welches der Thingplatz der Eystroyinger war; der Hügel ist zwischen den Fjorden (Skálafjord und Funningsfjord) eine Viertelmeile nördlich vom Dorfe zu Skálabotn. Hier kamen viele zusammen, um gegen Orm zu zeugen; der Funningsbauer war zugegen, aber so oft der Lögmann ihn fragte, hielt er die Hände hinter dem Rücken und wies mit dem Finger auf Orm, weil er nicht von etwas zu reden oder zu zeugen wagte, gebunden vom Eide, wie er war, den er Orm geschworen hatte, wie vorher erzählt worden ist.

Orm sass ruhig auf dem Thingplatz, bis der Lögmann das Urteil verkündigte; alle Lögrettsmänner hielten es für zweifellos, dass Orm der Mörder des Oyrarbauers war, und sie verurteilten ihn deshalb zum Tode. Aber als der Lögmann das Urteil aussprechen wollte und sagte: »Aus gerechten Gründen halten wir dich für den Mörder dieses Mannes .....« da sprang Orm auf, nahm sein Ross, und mit verhängten Zügeln jagte er gegen Skáli. Der Lögmann sandte nun drei der raschesten Lögrettsmänner ihm nach auf den besten Rossen, die hier waren; er gebot ihnen, Orm lebend oder tot zu ergreifen. Sie waren Orm so nahe, dass sie ihn immer im Auge behielten; als sie bis auf eine Viertelmeile vor Skáli waren, fiel eines der Pferde bei ihnen und der Mann musste da gehen. Etwas näher dem Dorfe Kumblabarm fiel das zweite Pferd, auf dem ein Lögrettsmann ritt und das dritte war auf der Hóraheide vollkommen erschöpft; nun gingen alle drei zu Fuss. Orm sieht dies und reitet geradenwegs ins Gebirge,[153] aber auf dem Válshügel stürzte das Pferd und konnte ihn nicht länger tragen. Orm musste nun seine Beine gebrauchen, aber einer der Lögrettemann er war rascher zu Fuss und ausdauernder, gegen den Hügel zu laufen, und rannte gewaltig auf ihn zu; bei der Selaträschlucht war er Orm so nahe, dass er sein Messer ergriff, sich auf den Ellbogen vorwärts warf und ihm die Sehne an dem einen Fusse durchschnitt; Orm fiel da zur Erde. Sie packten ihn, verschafften sich ein Ross, ihn zu tragen und gingen so mit ihm auf den Thingplatz; da war Orm beinahe tot vor Erschöpfung. Er wurde nun getötet und sie vergruben ihn bei Stevnuvál, wo er auf alle die Weiden schauen konnte, in denen er gestohlen hatte. Und nun ist von Orm, dem Bauer auf Skáli, erzählt worden.

Quelle:
Jiriczek, Otto L.: Færöerische Märchen und Sagen. In: Zeitschrift für Volkskunde 2 (1892) 1-24, 142-165, Berlin: A. Asher & Co, S. 150-154.
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