XXIX. Die Hausfrau in Húsavík.

[154] Ein armes Mädchen, namens Sissal (Cäcilia) lebte einmal in Skúvoy; sie hatte Unterkunft bei einem Bauer dort; als ein armes Geschöpf lag sie in der Nacht unter der Mühle mit Lumpen bedeckt; tagsüber sass sie draussen auf der Weide, um die Kühe zu hüten, dass sie nicht in Gefahr kommen oder von einer Wand abstürzen sollten. Eines Tages, als sie bei den Rindern sass, kam eine Schläfrigkeit über sie und sie schlief im Sitzen ein und kam auf das Gesicht zu liegen. Im Traume hörte sie jemanden zu ihr sagen: »Du schläfst über Gold! Grabe unter dem Rücken zwischen den beiden Seen, dort sollst du das finden, was dich reich macht!« Sie erwachte, erfreut über diesen guten Traum; aber hier war kein Rücken und kein See zu sehen und sie dachte deshalb, dass der Traum nichts zu bedeuten habe und dass sie sich nichts von dem erwarten dürfe, was er ihr versprach, sondern sie ging dann wieder nach Hause und legte sich auf ihr Lager unter der Mühle, wie sie gewohnt war zu thun. Am nächsten Tage geht sie wieder auf die Weide hinaus, auf denselben Platz wie am Tage vorher; Schläfrigkeit befällt sie, sie schläft, sich vorbeugend, im Sitzen ein und hört dieselbe Stimme zu ihr sagen: »Du schläfst über Gold« u.s.w. Am dritten Tage geht es ihr ebenso. Sie wunderte sich sehr darüber, tröstete sich, dass dieser Traum doch nichts werde zu bedeuten haben und ging, einer alten Frau im Dorfe von allem zu sagen, was sich zugetragen hatte. Die Alte grübelte lange darüber nach, die Worte zu deuten, welche das Mädchen gehört hatte; endlich sagte sie zum Mädchen, sie solle versuchen, dort zu graben, wo ihr Antlitz auf der Erde gelegen hätte: der Rücken, von dem zu ihr im Traume gesprochen war, werde ihr Nasenrücken sein und die Seeen die Augen; grübe sie dort, so würde sich das Gold finden. Das Mädchen that so, wie das Weib gesagt hatte und fand das grosse Goldhorn, welches Sigmund Brestisson gehabt hatte. Nun ging sie froh nach Hause, brachte es zum Bauer und zeigte ihm, was sie gefunden hatte und sagte ihm vom allem. Der Bauer sah, dass ihr das Glück folgen würde und sandte das Horn[154] zum Könige nebst der Erzählung, wer es gefunden hatte. So wird erzählt, dass das Gold so rein war, dass der König es nicht besser in allen Reichen besass; er gab ihr den Wert des Hornes in Geld und noch dazu ein Landgut in Húsavík. Für das Geld kaufte sie das ganze Land, das gegen Húsavík und Skarvanes liegt, und man glaubt, dass sie die reichste Frau gewesen ist, die auf den Færoyern gelebt hat.

Die Blockhäuser, die sie sich in Húsavík erbaute, kamen ganz aus Norwegen angetrieben, so zugeschnitten, dass sie gleich aufgestellt werden konnten; nichts fehlte daran ausser dem Ljóarabogi1; diese Stube wurde ›die grosse Stube‹ genannt und war ein Prachtwerk. Der Steinzaun, den sie um den Friedhof errichten liess, steht noch; die Wände der Heuscheune, der Grund des Boothauses, das Steinpflaster zwischen den Häusern im Dorfe, alles erinnert noch an die Hausfrau zu Húsavík. Alle diese grossen Steine, die man hier sieht, vom Gebirge zu ihrem Hause herabzuziehen, benutzte sie den Neck; aber schliesslich ging es ihm schlecht: als er über die Takkmoore mit einem grossen Steine kam, riss der Neckschwanz ab und man sieht ein Zeichen von ihm am Steine, der dort liegt; aber der Neck verschwand in den »kleinen Teich« und lebt seitdem dort.

Die Hausfrau war böse im Herzen; so wird gesagt, dass sie zwei Mägde lebendig in die Erde vergraben liess: die eine in Teig [ein Acker], die andere, welche Brynhild hiess, im Brynhildarhügel. Wenn die Knechte vom Feld heimkamen und die Karste auf der Schulter trugen, wurden sie übel empfangen und bekamen wenig zu essen, denn da dachte sie, sie wären faul gewesen und hätten wenig gearbeitet. Kamen sie aber heim und schienen müde zu sein, zogen sie die Karste nach sich, oder waren sie nass, wenn sie von der Ausfahrt kamen, so war sie sanft und gut und empfing sie freundlich. In Skarvanes liess sie einen Acker herstellen und die Erde mit Spaten wenden; sie hatte Viehställe an mehreren Stellen oberhalb des Dorfes, in Kvíggjargil und »am Hügel«; einige Wiesen werden noch »Leinwiesen« [Línteigar] genannt, hier legte sie Leinwand auf die Bleiche. Sie band die Felder um den Hof mit Runen, so dass kein Stein auf sie herabfällt, obgleich kein Zaun um sie ist; wird Geröll von den Klippen hinabgeworfen, welche gerade über ihnen hängen, so bleibt es doch auf dem steilen Abhang liegen und kommt nicht herab.

Den Sohn der Hausfrau nennen einige Ólaf, den Schäfer; der Enkel war Einivald, die Tochter Einivalds war Herborg, die Reiche. Sie hatte ein Kind mit dem Sohne Róalds, welcher [letztere] damals Lögmann [Oberrichter][155] war und auf seinem Hofe, in Dal in Sandoy sass. Dieser Sohn Róalds ging mit dem Boote bei der Tangbank, in der Nähe von Skarvanes, unter. Als die Nachricht von diesem Unglück zu Róald gebracht wurde, war Herborg dabei zugegen. Sie fragte da den Lögmann, ob ein Kind, wenn es im Mutterleibe war, das Erbe bekommen solle, wenn auch der Vater tot wäre. »Das volle und ganze Erbe,« antwortete Róald. Sie sagt da: »Erinnert euch daran, die ihr es gehört habt!« und fiel in Ohnmacht, als sie dies gesagt hatte. Nun erst vermutete der Lögmann, dass sie mit einem Kinde von seinem Sohne gehen könnte, denn sie waren noch nicht verheiratet. Sie hatte einen Sohn, welcher Ásbjörn genannt wurde; er wuchs bei seinem Grossvater Einivald auf, aber sie vertrugen sich nicht gut, weil der Grossvater nicht vergessen konnte, dass er ein uneheliches Kind war. Ásbjörn liess sich in Skarvanes nieder und bekam die zwölf Äcker vom Gebirge bis zum Strande von Húsavík. Eines Tages trafen sich die beiden, Einivald und Ásbjörn, im Felde und begannen über die Grenze zwischen Húsavík und Skarvanes zu streiten; sie rauften sich lange, und noch mehr als ein Jahr später waren die Gruben dort am Fusse des Vestfjelds sichtbar, wo sie sich gerauft hatten; endlich neigte sich der Sieg auf die Seite des Alten und er setzte die Grenzzeichen, wie sie zwischen ihnen sein sollten. Ásbjörn erbaute einen Zaun auf der Grenzscheide, doch ist er heute nicht Grenzzeichen. Während er hin und herging und Steine zu dem Zaune zusammenschleppte, sah er einen Mann mit einem Schurz um die Lenden hin und her gehen und Steine schleppen, wie er selbst; – er glaubte zuerst, dass das ein Huldermann sei, da er ihn nicht kannte; aber dann entdeckte er, was das war – das war er selbst, der sich als Doppelgänger [í hamferđ] gesehen hatte; er starb, ehe das Jahr zu Ende ging.

1

Ljóarabogi wird vom Wörterbuch erklärt als: »abgerundetes oder ovales Stück Holz unter dem das Rauchloch (ljóari) umgebenden Rahmen, durch den die Stange, welche an dem Deckel des Rauchloches befestigt ist, gesteckt wird, um mit ihrem Ende an einen Querbalken gebunden zu werden.« Das Wort war unübersetzbar und wurde darum beibehalten.

Quelle:
Jiriczek, Otto L.: Færöerische Märchen und Sagen. In: Zeitschrift für Volkskunde 2 (1892) 1-24, 142-165, Berlin: A. Asher & Co, S. 154-156.
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