19.
Fann Mac Cuil und der schottische Riese.

[29] Da der große irländische Riese Fann Mac Cuil bereits vierzig Jahre alt geworden war, ohne Einen gefunden zu haben, der ihm an Stärke gleichkam, so war er so stolz wie ein Pfau und glaubte Jedem eine unaussprechliche Ehre zu erweisen, wenn er ein Wort mit ihm spreche. Er hatte eine große und starke Festung im Moore von Allen, wo er sich mit seinen Leuten mit allerlei Kriegsspielen die Zeit vertrieb. Von dort aus warfen sie zentnerschwere Steine in den Hafen von Dublin, so daß die Bewohner dieser Stadt sehr bequem einen Damm bauen konnten.

Nun waren eines Tages alle seine Leute ausgegangen und er befand sich allein zu Hause und wußte vor Langeweile nicht, was er anfangen sollte. Nachdenkend ging er herum und sann hin und her, doch es kam ihm kein besserer Gedanke, als sich ruhig in's Bett zu legen und so wenigstens bequem die Rückkehr seiner Gefährten abzuwarten. Kaum trat er jedoch in die Stube, da kam ein Bote athemlos hereingestürzt und der Schweiß floß stromweiß an ihm herab.[29]

»Was giebt's Neues?« fragte er ihn.

»Far Rua, der große schottische Riese ist auf dem Wege hieher! Er kommt mit langen Schritten über den Hochweg1, der von Schottland nach Irland führt, und wird im Augenblicke hier sein. Er hat von dir gehört und will sich mit dir messen!«

»Eine schöne Geschichte,« sprach Fann, »ich bin drei Fuß größer als der größte Mann in Irland und Far Rua ist noch drei Fuß größer als ich. Da muß ich denn doch einmal meine Mutter um Rath fragen.«

Kurz darnach stand der mächtige Schottländer mit einem Schwerte so breit wie ein Tisch und einem Spieße so lang wie Fannys Haus vor der Thüre und fragte: »Ist der große Riese von Irland zu Hause?«

»Nein,« erwiderte der Bote, »er ist auf der Hirschjagd; aber seine Mutter ist zu Hause; sie wird sich freuen, dich einmal zu sehen. Komm herein!«

In dem Hausgange lag ein großer Tannenbaum mit einer eisernen Spitze und ein Holzblock mit einen eisernen Reifen, der größer als vier Karrenräder war. »Dies ist der Spieß und Schild Fann's,« sprach Far Rua's Begleiter.

»Sei uns willkommen!« sprach die Hausfrau; »laß dich nieder und nimm mit dem Wenigen vorlieb, das ich zu bieten vermag!« Darauf stellte sie ihm einen großen Pfannkuchen, in den die Pfanne, aus der sie vorher aber ein Stück gebrochen hatte, mit hineingebacken war, und ein mit hartem Fleisch überzogenes Brett vor. Als nun der Riese in den Kuchen biß, brach er sich drei Zähne ab und als er das Fleisch versuchen wollte, blieben ihm die Zähne darin stecken. »Frau, das ist eine harte Speise,« sagte er.

»Gott sei mit euch,« erwiderte die Frau, »meine Kinder haben sich noch nie darüber beklagt. Laßt uns doch sehen, wie sie meinem Jüngsten in der Wiege schmeckt!«

Darauf reichte sie Fann, der im Bette lag, die Stelle des Kuchens hin, wo das Stück an der Pfanne fehlte und er biß so sanft hinein wie in eine reife Birne.

»Das ist ein merkwürdiges Volk!« sagte der Schottländer zu[30] sich und trank aus Aerger das ganze Faß voll Bier aus, das man ihm vorgestellt hatte. »Aber zeigt mir doch auch,« fuhr er dann fort, »mit welchen Spielen sich Fann und seine Leute gewöhnlich nach dem Mittagessen unterhalten.«

»Komm mit in die Scheune,« antwortete Fann's Diener und führte ihn an den bezeichneten Platz, wo eine Masse mannsgroßer Steine lag. »Die,« fuhr der Diener fort, »schnellen sie gewöhnlich mit dem Finger nach Dublin und wenn einer drüber hinauswirft, so ist er mit seinem Wurfe zufrieden. Versuche es auch einmal!«

Der Riese packte einen Stein und schleuderte ihn ein halbe Meile weit weg. »Nun,« sprach der Diener, »das wird schon besser gehen, wenn du ausgewachsen bist und dich ein Jahr lang mit Fann geübt hast.«

Hole diesen Fann der Teufel, dachte der Riese bei sich und fragte, ob sich die Leute hier noch mit anderen Spielen unterhielten. »O, ja,« erwiderte der Andere, »sie haben hier einen Ball – dabei deutete er auf einen ungeheuer schweren Stein – den werfen sie über das Haus und fangen ihn auf der andern Seite wieder; willst du es auch einmal versuchen?«

»Es wird wohl nicht gut auf's erste Mal gehen; der Stein könnte leicht auf's Dach fallen und die alte Frau erschrecken. Ich werde ihn also gerade in die Luft werfen und du kannst mir dann sagen, wie hoch er geflogen ist.« Darauf warf er den Stein dicht am Hause in die Höhe.

»Wie hoch ist er?«

»Am Fenster.«

»Jetzt?«

»Am Dache.«

»Wo ist er jetzt?«

»Auf deinem Kopfe.«

Und so war es auch, der Riese konnte von Glück sagen, daß er noch mit dem Leben davon kam. »Fann kommt wohl heute Abend nicht nach Hause?« fragte er.

»Wir erwarten ihn nicht vor einer Woche.«

»Grüße mir die alte Frau und sage ihr, ich müße nach Hause eilen, da mich sonst die Fluth auf dem Hochwege überrascht!« Darauf ging er fort und ließ sich nie mehr in Irland blicken.

1

Giant's Causeway.

Quelle:
Knortz, Karl: Irländische Märchen. Zürich: Verlagsmagazin J. Schabelitz, 1886, S. 29-32.
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