[535] 1107. Zerstörung der Burg Heringen.

A. Vorzeiten stand im Müllerthal auf hohen Felsen eine stolze Burg, auf der ein wilder Ritter hauste, der Schrecken der ganzen Gegend. Mit allen seinen Nachbaren lag Veit in beständiger Fehde, und in Bekämpfung derselben schrak er vor keinem Mittel zurück. Seine Tochter Adelinde war ganz das Gegenteil ihres Vaters, und dessen rohe Sinnesart bereitete ihr manchen Kummer.

Als Veit einst von einem Streifzug zurückkehrte, traf er auf Ritter Klaus von Mersch, der eben dem Weidwerk oblag. Eine so günstige Gelegenheit konnte Veit nicht vorübergehen lassen. Er bemächtigte sich des Ritters und schleppte ihn gefangen nach Heringen. Monatelang schon hatte der junge Ritter in harter Gefangenschaft hingebracht, als seine Not der mitleidsvollen Adelinde zu Herzen ging. In einer dunkeln Nacht schlich sie beherzt zum Burgverlies hinunter und löste des Gefangenen Ketten. Mit dankerfülltem Herzen enteilte der Befreite auf geheimem Wege ins Tal hinab. Da plötzlich fühlt er sich von starker Hand erfaßt, und sieh, sein treuer Knappe steht vor ihm. Klaus erfährt, daß, um ihn aus der Gefangenschaft zu befreien und den frechen Räuber für seine Untaten zu strafen, die Herren von Ansemburg, Fels, Meisemburg und Folkendingen sich verbunden und Heringen so umlegt haben, daß keine Maus aus dem Räubernest entkommen könne; mit dem anbrechenden Morgen werde die Burg erstürmt und in Brand gesteckt werden. Die Kunde, daß Klaus seiner schmählichen Haft entkommen, verbreitete sich schnell, und hocherfreut rüstete sich die Ritterschaft zum blutigen Angriff, der bei dem ersten Morgenglühen auch erfolgte. Bald loderte die Flamme aus der eroberten Burg empor und griff rasch um sich. Umsonst kämpfte der Heringer wie ein Löwe, der Überzahl mußte er bald erliegen. Klaus rettete ihm das Leben und stürzte dann hinunter zum Burgverlies, um die edle Adelinde, die statt seiner dort in Ketten lag, dem Flammentode zu entreißen.

Seit der Zerstörung von Heringen sind drei Jahre verflossen. Klaus und Adelinde sind ein glückliches Ehepaar geworden. Da langte eines Abends ein Greis in fremder Tracht im Merscher Schlosse an: es war Veit, der zum hl. Grabe gepilgert war und als umgewandelter Mensch zurückkehrte, um seine letzten Lebenstage glücklich inmitten seiner Kinder zu verbringen.


J. Engling, Manuskript, 17


[535] B. Schloß Heringen, von dem nur mehr wenige Spuren auf einem der das Müllerthal umgürtenden Felsen vorhanden sind, soll im Besitze von Tempelherren gewesen sein, die weit umher die Gegend durch ihre Streifzüge unsicher machten, die Reisenden überfielen und ausplünderten und das arme Landvolk hart bedrückten. Darüber entrüstet, beschlossen die Herren der benachbarten Burgen, den Raubrittern aufzulauern und sie unschädlich zu machen; aber trotz aller Bemühungen gelang es ihnen nicht, ihrer habhaft zu werden. Diese waren sämtlich beritten und hatten, um allen Nachstellungen zu entgehen, ihren Pferden die Hufeisen verkehrt aufgeschlagen, so daß, wenn man meinte, die Raubritter seien ausgeritten, diese sich in Sicherheit hinter ihren festen Mauern befanden und aller Angriffe der Feinde spotteten.

Eines Tages nahm sich ein Mann aus dem benachbarten Befort, der aus der frischen Hufspur im Sande geschlossen, die Räuber hätten ihre feste Burg verlassen, ein Herz und ging auf Heringen zu. Doch wie er sich demselben näherte, kamen die Räuber plötzlich heraus und wollten ihn umbringen, damit er sie nicht verrate. Auf des Mannes flehentliches Bitten jedoch ließen sie ihn frei unter der Bedingung, daß er sich durch Eidschwur verpflichte, ihr Geheimnis, wodurch sie ihre Feinde über ihre Bewegungen täuschten, nie einem Menschen zu verraten. Kaum aber war der Mann in Freiheit gesetzt, als er nachsann, auf welche Weise er die Räuber verraten könnte, ohne seinen Schwur zu verletzen.

Am darauffolgenden Sonntage stellte er sich, als das Hochamt beendigt war und die Leute die Kirche verließen, vor einen Grabstein neben das Kirchtor und gebärdete sich derart, daß er die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich zog. Dann fing er, gegen den Stein gewendet, laut zu rufen an:


Dir, o Stein, sag ich's allein,

Die Heringer sind heim.

Wenn man meint sie seien ein,

So sind sie aus;

Meint man aber, sie seien aus,

So sind sie ein.

Sie haben ihre Pferde das Hintere vorn beschlagen.1


Sofort rotteten sich die Bauern mehrerer benachbarten Dörfer zusammen, bewaffneten sich mit Heugabeln, Sensen usw., erstürmten das Schloß in Abwesenheit der Tempelherren, plünderten es und nahmen die heimkehrenden Heringer Herren gefangen, die nun den Lohn für ihre langjährigen Räubereien erhielten.

1

Nach H.A. Reuland: Dir o Stein, sag ich's allein, /Umsonst sind alle Schlingen, / Glaubt man, die Herren von Heringen / Ritten aus, so reiten sie ein.

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 535-536.
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