Beweis

[709] Beweis, 1) (Log.), die Darlegung der Gründe eines Urtheiles; die Ableitung des Urtheiles aus jenen Gründen (Beweisgründe, Argumenta) aber heißt Beweisführung. Es gibt gewisse Urtheile, die keines B-s fähig u. bedürftig sind; ohne sie würde gar keine B-führung möglich sein, indem man den B. in das Endlose führen müßte. Solche Urtheile sind entweder unmittelbare, für sich gewisse Sätze, od. Axiome des Bewußtseins od. der Anschauung (s. Grundsatz). Ein B. kann sein: a) in Ansehung der Quellen, aus welchen die Gründe geschöpft sind, ein rationaler (Vernunft-) B. (B. a priori), wo die Überzeugung in dem besonderen Falle sich auf den Zusammenhang desselben mit allgemeinen Begriffen u. Grundsätzen gründet; hierher gehören mathematische u. philosophische B-e; od. ein empirischer od. Erfahrungs-B. (B. a posteriori), der sich auf Erfahrungen stützt; hierher gehören alle historische B-e; b) in Ansehung der Form: ein analytischer, wo man von der zu beweisenden Sache zu den Gründen hinauf-, od. ein synthetischer, wo man von den Gründen zu der zu beweisenden Sache herabsteigt. Sind in einem B. mehrere Gründe, so muß man den Hauptgrund, in welchem die eigentliche Beweiskraft (die Seele, der Nerv des B-es, Nervus probandi) liegt, von den Nebengründen, welche allein keinen B. hinreichend führen, unterscheiden. Darnach unterscheidet man auch vollständige (zureichende) u. unvollständige (unzureichende) B-e, je nachdem die Gründe eben zur Darlegung der Wahrheit zureichen od. nicht. Auch versteht man unter unvollständigen B-en solche, die abgekürzt sind, weil man alle einzelne Sätze des B-es dem, den B. Wünschenden nicht für nöthig hält. Ist der B. aber in ganz gehöriger, ausführlicher Schlußform abgefaßt, so heißt er ein förmlicher od. schulgerechter; c) in Ansehung der Materie, die man zu den B-gründen wählt, ein ostensiver (direc er), wenn die Wahrheit einer Sache geradezu, od. ein apagogischer (indirecter), wenn die Falschheit des Gegentheiles dargethan wird; apodictischer (demonstrativer) B. (Demonstration), welcher volle Gewißheit gibt u. die Möglichkeit des Gegentheiles ausschließt; wahrscheinlicher B. (Probation), der keine volle Gewißheit gibt, sondern die Möglichkeit des Gegentheiles noch denkbar läßt; vgl. Analogie u. Induction; d) in Ansehung des Zweckes: ein B. ad veritatem, der für die Wahrheit der Sache, ad hominem, der nur für die Überzeugung gewisser Personen wirksam ist. Fehler des B-es sind: die Erschleichung des B-es (Petitio principii), wo man als B-grund annimmt, was erst bewiesen werden muß; der Kreis-B. (Diallelus), wenn man Eins aus dem Anderen gegenseitig beweist; der Sprung im B., wo man in der B-führung etwas Wesentliches od. Beweisendes wegläßt, u. wo somit dem B. der Zusammenhang fehlt; 2) (Math.), eine Verbindung von bekannten Sätzen, aus welchen die Richtigkeit einer aufgestellten Behauptung hervorgeht. Man unterscheidet auch hier: synthetische, bei denen man von der Annahme (Hypothesis) ausgeht, um zu der Thesis zu gelangen; analytische, bei denen man umgekehrt annimmt, das zu Erweisende sei wahr, u. durch richtige Folgerungen auf einen schon bekannten Satz kommt; directe, welche zeigen, wie eine Behauptung aus der Annahme folgt, u. indirecte od. apagogische B-e, welche zeigen, daß das Gegentheil unmöglich, der Satz also wahr ist, weil ein Drittes nicht Statt finden kann. Der letzteren bedient man sich bes., um Umkehrungen von Sätzen zu erweisen; 3) (Argumentum), in der Rhetorik wird der B. entweder aus inneren Gründen der Wahrheit u. Wahrscheinlichkeit (Probatio, Enthymem), od. aus äußeren Umständen u. Thatsachen (Testimonium) abgeleitet; vgl. Topik; 4) (Rechtsw.), die Begründung der Wahrheit einer aufgestellten Behauptung, auch die Vornahme derjenigen Handlungen, welche nothwendig sind, um dem Richter gegenüber eine solche Begründung herzustellen. Im Allgemeinen herrscht der Grundsatz, daß jeder ungewisse Umstand, auf welchen der Richter bei seiner Entscheidung Werth zu legen hat, bewiesen werden muß, daher der Richter ohne genügenden B. keine Verfügung treffen darf, welche Jemand benachtheiligt. Nur bei provisorischen Verfügungen, vorläufiger Arrestanlegung, einstweiliger Captivirung zum Zwecke der Untersuchung etc. weist das Vorhandensein eines Verdachtes, die bloße Bescheinigung eines Anspruches aus. Im Übrigen aber gestaltet sich die Lehre vom B. ganz verschieden, je nachdem es sich um den B. im Civil- od. im Criminalprocesse handelt. A) In Betreff des B-s im Civilprocesse gilt die Regel, daß der Richter nicht sowohl materielle, sondern nur formelle od. juristische Wahrheit zu erstreben hat u. daher auch nur diese von den Parteien zu verlangen berechtigt ist, d.h. es existirt hier eine gesetzliche B-theorie, welche gewisse B-gründe aufstellt, an die der Richter gebunden ist u. bei deren Aufstellung im Processe er die Wahrheit als erbracht anzusehen hat, auch wenn seine sonstige Kenntniß von der Sachlage ihm ein Anderes lehren sollte. Die Pflicht, den B. zu führen (Beweislast) liegt hierbei demjenigen, welcher[709] sich auf die ungewisse Thatsache als Fundament eines Anspruches beruft, daher bezüglich der Klage dem Kläger, bezüglich der Einreden dem Beklagten etc. (ei incumbit probatio, qui agit od. qui dicit, non qui negat); den Inbegriff derjenigen Thatsachen aber, welche hiernach zu beweisen Jemandem obliegt, nennt man Beweisthema, Beweisatz. Derselbe wird im ordentlichen Civilprocesse in der Regel durch ein eigenes Beweisinterlocut festgestellt, ein Decret des Richters, welches nach Vorbringung der Thatsachen von beiden Seiten diejenigen zusammenstellt u. hervorhebt, welche von ihm noch als des B-es bedürftig angesehen werden. Mit demselben beginnt sodann ein eigener Abschnitt des Verfahrens, das Beweisverfahren od. die Beweisinstanz, bei welcher wiederum zwei Abtheilungen, namentlich a) die Beweisantretung, d.i. die Erklärung des beweispflichtigen Theiles, den B. übernehmen zu wollen, verbunden mit Angabe der B-mittel, welche der B-führer dabei zu gebrauchen gedenkt; b) das sogenannte Productionsverfahren, d.h. die Vorführung der B-mittel selbst, in den meisten Fällen aber auch noch als dritte Abtheilung c) ein Haupt- u. Schlußverfahren, das die Ausführungen der Parteien über die Resultate des geführten B-es zu unterscheiden sind. Der B. selbst ist ein Haupt-B., welchen eine Partei nach den Grundsätzen über B-last zuerst führen muß, wenn sie nicht sachfällig werden soll; Gegen-B. heißt dagegen derjenige, mit welchem der Gegentheil die B-gründe des Hauptbeweisführers durch Vorführung anderer B-gründe zu entkräften sucht. Wird geradezu dasjenige Factum selbst, worauf die Behauptung gerichtet ist, bewiesen, so ist der B. ein directer; wird dagegen ein anderes Factum bewiesen, von dem aber auch die Wahrheit des eigentlich zu beweisenden mit Nothwendigkeit zu schließen ist, so ist der B. ein künstlicher. Zusammengesetzt, im Gegensatz des einfachen, heißt der B., wenn er mittelst verschiedener B-mittel geführt wird; vollständig, wenn die benutzten B-mittel ausreichen, um die richterliche Überzeugung von der Wahrheit der zu beweisenden Thatsache zu begründen. Als Beweismittel dienen im Civilprocesse Geständniß, Augenschein, Zeugen, Urkunden, Urtheil von Sachverständigen, Eid, Vermuthungen u. Schlüsse. a) Dem B. durch Geständniß liegt das eigene Geständniß zu Grunde. Dasselbe gilt, wenn es nur nicht blos aus Scherz od. Simulation erfolgt ist, unbedingt als beweiskräftig, mag es im Übrigen gerichtlich od. außergerichtlich abgelegt sein. b) Der B. durch Augenschein ist das Resultat einer Besichtigung (s.d.). Der Richter hat sich seine Überzeugung durch eigene sinnliche Wahrnehmung zu verschaffen; stimmt dabei die Wahrnehmung mit dem B-thema überein, so ist der B. als gelungen anzusehen. c) Der B. durch Zeugen stützt sich auf die Wahrnehmung von dritten, weder unfähigen, noch verdächtigen Personen, welche über den zu beweisenden Umstand übereinstimmend in glaubwürdiger Weise aussagen. In der Regel wird mindestens die Übereinstimmung zweier Zeugenaussagen erfordert, um einen vollen B. herzustellen (s.u. Zeugen). d) Zum Urkunden-B. können im Allgemeinen alle leblosen Gegenstände dienen, welche zur Erhaltung des Andenkens an eine vorübergehende Begebenheit durch menschliche Thätigkeit entstanden sind, insbesondere daher schriftliche Aufzeichnungen etc. Hinsichtlich ihrer B-kraft besteht dabei ein wichtiger Unterschied zwischen Privat- u. öffentlichen Urkunden, unter welchen letzteren man alle von einer öffentlichen Behörde od. von einer mit Fides publica versehenen Person (z.B. einem Notar) über die zu ihrem Geschäftskreis gehörigen Verhältnisse in vorgeschriebener Form ausgestellten Urkunden zu versehen hat. Solche Urkunden liefern überall vollständigen B.; bei den Privaturkunden bedarf es hierzu erst noch des B-es der Echtheit, der durch Recognition von Seiten des Gegners zu führen ist. e) Der B. durch Sachverständige tritt bes. da ein, wo es technischer Kenntnisse u. Erfahrungen bedarf, um die Merkmale eines Gegenstandes u. die Bedeutung desselben für den Rechtsstreit richtig auffassen zu können. Die Benutzung der Sachverständigen ist dem B. durch Zeugen sehr ähnlich. f) Der Eid kommt als B-mittel im Civilprocesse in verschiedener Weise als freiwilliger Haupt- od. Schiedeseid, als nothwendiger Eid in der Form des Erfüllungs- u. des Reinigungseides u. als Schätzungs- od. Würdigungseid (s.u. Eid) vor. g) Schlüsse u. Vermuthungen kommen bei der directen B-führung (s. oben) in Betracht. Ihre Berücksichtigung richtet sich im Allgemeinen nach den Regeln der Logik u. setzt insbesondere voraus, daß nicht blos der Vordersatz des Schlusses vollkommen erwiesen werde, sondern daß auch das B-thema aus dem Vordersatz richtig hervorgehe. In letzterer Beziehung greifen die Rechtsvermuthungen ein, nach welchen unter bestimmten Voraussetzungen der Richter gesetzlich angewiesen ist, über eine Thatsache von der sie behauptenden Partei keinen Beweis mehr zu finden. Dieselben sind entweder Praesumtiones juris schlechtweg, welche noch einen Gegen-B. zulassen, od. Praesumtiones juris et de jure, welche sogar diesen ausschließen. Der Unterschied zwischen ordentlichem u. außerordentlichem B., welchen man oft noch macht, bezieht sich auf diejenigen Falle, in welchen der B. ausnahmsweise außerhalb der eigentlichen B-instanz geführt wird. Fälle eines solchen außerordentlichen B-es sind a) der anticipirte B., wenn eine Partei gleich vom Vortrag der Klage od. Einrede ihre B-mittel dazu angibt u. mit der Antwort auf die Klage od. Einrede zugleich Antwort u. Einlassung auch auf die B-mittel fordert (s.u. Anticipation); b) der B. zum ewigen Gedächtniß (Probatio in perpetuam rei memoriam), welcher bei vorhandener Gefahr, ein B-mittel, z.B. einen Zeugen durch den Tod zu verlieren, zu jeder Zeit, selbst ehe ein Proceß entstanden ist, vorgenommen werden kann. B) Princip des B-es im Criminalprocesse ist die Ergründung der materiellen, objectiven Wahrheit. Der Richter hat daher hier Alles anzuwenden, um die thatsächlichen Verhältnisse so zu erkennen, wie sie wirklich gewesen sind, weshalb nicht allein die Anträge der Parteien auf Benutzung dieser od. jener B-mittel weniger Werth haben, sondern auch die Benutzung einzelner Arten von B-mitteln, die im Civilprocesse anwendbar erscheinen, wie z.B. der Haupteid, Rechtsvermuthungen etc. im Criminalprocesse ganz ausgeschlossen ist. Für das gemeine Recht ist zwar auch hierbei eine gesetzliche B-theorie aufgestellt; indessen unterscheidet sich dieselbe doch von der B-theorie des Civilprocesses wesentlich dadurch, daß sie nicht sowohl darauf gerichtet ist, den [710] Richter zu nöthigen, bei dem Vorhandensein gewisser Boraussetzungen die Thatsache ohne Weiteres für wahr ansehen zu müssen, als vielmehr darauf, daß der Richter keine Thatsache als erwiesen annehmen dürfe, welche nicht durch die gesetzlich anerkannten u. mit den gesetzlichen Erfordernissen versehenen B-mittel hergestellt worden sei. Die B-regeln haben daher hier mehr den Charakter von Instructionen, welche. den Richter bei Annahme des B-es mehr in gewissen Schranken zu halten, als auf seine Überzeugung positiv bestimmend einzuwirken bestimmt sind. Weil jedoch immerhin selbst bei dieser Natur die B-theorie, nachdem insbesondere durch die Aufhebung der Folter (s.d.), auf welcher dieselbe wesentlich mit basirt war, u. die Frage über die Bedeutung des Indicien-B-es in dieselbe eine gefährliche Ungewißheit gekommen war, bei der großen Verschiedenheit der Straffälle sich nicht als ausreichend erwiesen hat, so ist dieselbe in den neueren, auf den Anklageproceß gestützten Strafproceßordnungen fast allgemein verlassen u. die Annahme des B-es in völliger Freiheit lediglich der sogenannten moralischen Überzeugung der Richter überlassen worden. Dies gilt bes. da, wo das Institut der Jury eingeführt ist, obschon gerade in dem Heimathlande derselben, in England, für die Geschworenen ebenfalls, wie im gemeinen deutschen Processe, gewisse B-regeln (Law of evidence) gelten, welche sie bei ihren Wahrsprüchen einzuhalten verpflichtet sind. Für den neueren Criminalproceß ist dadurch die Lehre vom B., im Gegensatz der früheren Gebundenheit, eine sehr laxe geworden, was um so mehr nicht ohne Bedenken ist, als den meisten Strafproceßordnungen ein Rechtsmittel wider den Ausspruch des ersten Richters über den einmal von ihm angenommenen od. nicht angenommenen B. der Regel nach nicht weiter verstattet ist. Vgl. Weber, Über Beweisführung, Halle 1805; Klötzer, Über Beweislast, Jena 1813; Borst, Über Beweislast, Lpz. 1824; Bentham, Theorie des gerichtlichen Beweises, Berl. 1838; Mittermaier, Die Lehre vom Beweis im Strafprocesse, Darmst. 1834.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 2. Altenburg 1857, S. 709-711.
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