Durchkriechen

[299] Durchkriechen, eine Zeremonie, die nach weitverbreiteter Volksanschauung den Menschen bestimmter Eigenschaften oder Krankheiten entkleidet, wie z. B. das altsymbolische Hindurchführen unter dem Joch, dem Galgen etc. So schritten die altarischen Völker mit ihren Haustieren zwischen zwei Feuern hindurch, um sich zu reinigen; man kroch, besonders um den sogen. Herzgespann zu heilen, durch einen gespaltenen Baumstamm, namentlich durch sogen. zweibeinige Eichen, die in Bayern und Franken aus weiten Umkreisen aufgesucht und Deichbäume (eigentlich Deybäume, d.h. Gedeihbäume) genannt werden, oder kurch eine auf beiden Seiten festgewachsene Brombeerranke (die in England volkstümliche Brombeerkur, bramble cure) oder durch die Spalte eines Dolmens, Kirchenaltars, Felsens etc., um eine Krankheit etc. dabei abzustreifen oder dem Baum etc. aufzuladen (vgl. Transplantation). Eine Felsspalte in Palästina, die zu diesem Zweck aufgesucht und Nadelöhr genannt wurde, soll zu dem Spruche vom Kamel und Nadelöhr Anlaß gegeben haben. Diese Ansichten herrschen noch jetzt hier und da, und man sorgt z. B., daß ein Kind nicht zwischen den Beinen eines Erwachsenen durchkrieche, weil es sonst sein künftiges Wachstum abstreife.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 299.
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