Einheitsschule

[454] Einheitsschule, Stichwort mehrerer unter sich verschiedener Strömungen der modernen deutschen Pädagogik. Ausgehend von des Comenius (s. d.) Idee einer allgemeinen, nationalen Schule, die dieser als Mutterschule, Muttersprachschule, Lateinschule, Akademie (zu je 6 Jahren) abstufte, wünscht man vielfach (namentlich in Volksschulkreisen) das gesamte Schulwesen nach einheitlichem Plan auf Grund einer allgemeinen, womöglich für alle Stände verbindlichen Volksschule aufzubauen. Aus der allgemeinen Volksschule (etwa 4 Jahre) als gemeinsamem Stamm sollen sich dann in mehrfacher Verzweigung Volks- und Bürgerschule einer-, Realschule, Realgymnasium, Humangymnasium anderseits entwickeln. Die Praxis des Lebens hat diesen Gedanken bisher nirgend begünstigt; nur die besondern Vorschulen für Gymnasien etc. (1.–3. Schuljahr) haben, besonders in Süddeutschland, Schweiz etc., zugunsten der Volksschule Boden verloren. Enger gefaßt war der Begriff der E. bei dem Realschuldirektor Ostendorf (s. d.), der 1872 mit dem Plane hervortrat, in allen höhern Lehranstalten den fremdsprachlichen Unterricht mit Französisch zu beginnen und aus dem gemeinsamen Stamme durch zweimalige Gabelung (Bifurkation) Realschule (Oberrealschule) und Gymnasium, Human- und Realgymnasium zu entwickeln. Endlich suchte der 1885 gegründete deutsche Einheitsschulverein (bis 1891) Gymnasium und Realgymnasium auf eine gemeinsame Formel zu bringen, indem er durch Beschränkung des Lehrstoffes in den einzelnen Fächern Verbesserung des Lehrverfahrens und der Lehrerbildung Zeit und Kraft zu gewinnen hoffte, um außer Lateinisch und Französisch auch Griechisch und Englisch im Gymnasium mit Erfolg zu betreiben. Der weitere Verlauf der Schulreformbewegung hat gegen diese Vorschläge entschieden; nur in dem gemeinsamen Unterbau der Reformschulen (s. d.) nach Altonaer und Frankfurter System klingen sie nach. Ähnliche Einrichtungen im Auslande, so namentlich in Frankreich, Schweden und Norwegen, meist mit Gabelung auf den höhern Stufen, unterliegen sehr verschiedener Beurteilung. Vgl. »Schriften des deutschen Einheitsschulvereins« (Hannov. 1887–90, 7 Hefte); »Verhandlungen der Konferenz zur Beratung von Fragen betr. das höhere Unterrichtswesen« (Berl. 1891) und die Literatur über Schulreform und Reformschulen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 454.
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