Evolutionstheorie

[201] Evolutionstheorie (Entwickelungstheorie), ehemals soviel wie Einschachtelungstheorie (s. Präformation), jetzt diejenige monistische Weltanschauung, die annimmt, daß in dem gesamten Weltall ein großer einheitlicher, durch mechanische Ursachen bedingter, unaufhaltsam fortschreitender Entwickelungsvorgang stattfinde, dem sich sämtliche Zustände und Erscheinungsformen der anorganischen und organischen Natur, also auch der Himmelskörper, einordnen. Dieser Name bezeichnet also eine ganz allgemeine Anschauungsform, von der die Abstammungslehre (Deszendenztheorie, s.d.) nur die Entwickelung der lebenden Wesen behandelt. – In der Philosophie nennt man evolutionistisch im allgemeinen jedes System, das Dinge und Verhältnisse oder die Welt im ganzen nicht als etwas fertig Gegebenes, sondern als in beständiger Bewegung und Umbildung begriffen betrachtet. Je nachdem dabei die Umbildung als aus innern oder aus äußern Ursachen hervorgehend gedacht wird, bekommt die evolutionistische Betrachtungsweise einen teleologischen oder mechanischen Charakter. Der Begriff der von innen heraus (nach Zwecken) erfolgenden Entwickelung wurde zuerst durch Aristoteles aufgestellt. In der Neuzeit machte denselben Leibniz zur Grundlage seiner Monadenlehre, indem er annahm, daß in dem Wesen jeder Monade die ganze Zukunft derselben potenziell enthalten ist. Auf das Weltganze wandten denselben in umfassender Weise nächst Herder die nachkantischen deutschen Idealisten, insbes. Hegel und im Anschluß an diesen E. v. Hartmann, an. Bei aller (in der Unterschätzung der äußern Bedingungen jeder Entwickelung begründeten) Einseitigkeit haben die Genannten doch das Verdienst, speziell in den Geisteswissenschaften den Gedanken einer gesetzmäßigen Entwickelung von Sprache, Religion, Sitte, Recht etc. zur Geltung gebracht zu haben. Den Begriff der mechanisch (durch Zusammenwirken äußerer Ursachen) erfolgenden Entwickelung haben Spencer (s.d.) und der an Darwin sich anlehnende materialistische Monismus (Haeckel) zur Grundlage ihrer Weltanschauung gemacht. Vgl. Monismus.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 201.
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