Exarchāt

[207] Exarchāt (griech.), das Gebiet, das der griechische Kaiser in Italien nach dem Einfall der Langobarden in Italien bis ins 8. Jahrh. behauptete, und das anfänglich Rom und die Romagna, Venedig, Istrien, einen großen Teil von Mittel und ganz Unteritalien umfaßte, aber mehr und mehr zusammenschmolz. Es war benannt nach dem Titel des kaiserlichen Statthalters, Exarch (s. oben), dessen Sitz Ravenna war. An der Spitze des Exarchats stand nach Narses, der Besieger der Ostgoten, der Präfekt Longinus, unter dem die 568 eingefallenen Langobarden den größten Teil von Oberitalien eroberten, so daß die Byzantiner sich nur hinter den Mauern der Städte behaupten konnten. Der erste eigentliche Exarch von Italien scheint um 584 Decius gewesen zu sein; auf ihn folgte 585–589 Smaragdus, der einen Waffenstillstand mit den Langobarden schloß. Doch dauerten auch unter den folgenden Exarchen die Kämpfe mit diesen fort, meist zum Nachteil der Byzantiner. Der Exarch Eleutherius erklärte sich 619 für unabhängig von Konstantinopel und warf sich zum Kaiser des Westreiches auf, ward aber auf dem Zuge nach Rom von seinen Soldaten ermordet. Um die Mitte des 7. Jahrh. entriß der Langobardenkönig Rothari, wahrscheinlich nach dem Tode des Exarchen Isacius (625–643), den Byzantinern wiederum bedeutende Gebietsteile. Die theologischen Streitigkeiten und die Thronumwälzungen in Konstantinopel lockerten in der nächsten Zeit allmählich das Band zwischen den italienischen Provinzen und dem Kaiserreich, und wiederholt kam es zu Erhebungen der Heere von Ravenna und Italien gegen die Kaiser. Namentlich infolge eines neuen Steuergesetzes des Kaisers Leo III. des Isauriers und seiner Erlasse gegen die Bilderverehrung brach unter Mitwirkung des Papstes Gregor II. ein allgemeiner Aufstand in Italien aus, während dessen der Exarch Paulus 726 oder 727 getötet wurde; Venetien scheint bei dieser Gelegenheit seine Verbindung mit Istrien gelöst und sich ein eignes Oberhaupt in der Person des ersten dux (Doge), Paulutius, gesetzt zu haben. Diese Wirren benutzte der Langobardenkönig Liutprand zu erfolgreichen Angriffen auf das byzantinische Gebiet; er eroberte Narni, Classis, die Hafenstadt von Ravenna, vielleicht auf kurze Zeit Ravenna selbst, ferner eine Anzahl von Städten in der Emilia und Pentapolis und bedrohte Rom. Zwar stellte der 727 nach Italien gesandte Exarch Eutychius die kaiserliche Autorität in Rom und Ravenna wieder her; aber auf die Dauer war diese nicht mehr aufrecht zu erhalten. In Rom steigerte sich die weltliche Macht des Papsttums; mit dem Papst Zacharias schloß Liutprand 742 einen Frieden auf 20 Jahre. Im folgenden Jahre griff er das E. aufs neue an und bereitete die Belagerung Ravennas vor, bis der Papst auch hier den Waffenstillstand vermittelte. Sein zweiter Nachfolger, Ratchis, erneuerte auf päpstliche Vermittelung den Frieden. Dessen Nachfolger Aistulf eroberte 751 Ravenna und machte dem E. ein Ende. Zwar schritt nun auf Anrufen des Papstes Pippin, der Beherrscher der Franken, gegen die Langobarden ein und entriß ihnen ihre letzten Eroberungen; aber diese kehrten nicht unter die byzantinische Herrschaft zurück. Die Griechen behaupteten nur Süditalien, verloren aber im nächsten Jahrhundert auch Sizilien an die Sarazenen. Vgl. Diehl, Études sur l'administration byzantine dans l'exarchat de Ravenne (Par. 1888); Hartmann, Untersuchungen zur Geschichte der byzantinischen Verwaltung von Italien (Leipz. 1889); Cohn, Die Stellung der byzantinischen Statthalter in Ober- und Mittelitalien (Berl. 1889).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 207.
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