[517] Paulus (vor seiner Bekehrung [vgl. Apostelgeschichte 13, 9] eigentlich Saul oder Saulu, hebr. Schaul, d.h. der Erbetene), der Heidenapostel, geboren in Tarsos, der Hauptstadt Kilikiens, von jüdischen Eltern, ward von seinem Vater zum Rabbi bestimmt und deshalb frühzeitig nach Jerusalem gebracht, wo er durch Gamaliel in die pharisäische Theologie eingeweiht wurde. Daneben erlernte er das Handwerk eines Zeltwebers. Als strenger Pharisäer leitete er die Verfolgungen der neuen Sekte zu Jerusalem ein und ließ sich, als sich die Christengemeinde von dort zerstreut hatte, Vollmachten vom Synedrium erteilen, um auch in Damaskus das Werk der Vernichtung fortzusetzen. Vor Damaskus kam es zu jener innern, von einer Vision begleiteten Katastrophe, daraus der frühere Verfolger der Christen als Apostel der Messianität Jesu hervorging. Nach einem dreijährigen, durch eine Reise nach Arabien unterbrochenen Aufenthalt in Damaskus entzog er sich den Nachstellungen der dortigen Juden durch die Flucht und begab sich dann auf zwei Wochen nach Jerusalem, wo er Petrus und Jakobus, den Bruder Jesu, antraf. Durch Barnabas (s. d.) ließ er sich in die aus gebornen Heiden und Juden gemischte Gemeinde zu Antiochia einführen, in deren Auftrag beide eine Missionsreise unternahmen, die sie über die Insel Cypern durch die kleinasiatischen Provinzen Pamphylien, Pisidien und Lykaonien führte. Nach Antiochia zurückgekehrt, fand P. die dortige Gemeinde über die Frage geteilt, unter welchen Bedingungen gläubig gewordene Heiden in die christliche Gemeinschaft aufzunehmen seien. Eine dadurch herbeigeführte Reise des P. und Barnabas nach Jerusalem führte etwa 5052 zu dem Resultat der Trennung der Missionsgebiete der Urapostel und des P. unter Erweis gegenseitiger Anerkennung (s. Apostelkonvent). Gleichwohl trug ihm die noch ungelöste Frage nach dem Verhältnis von Juden und Heiden im Christentum einen harten Konflikt mit Petrus und selbst mit Barnabas in Antiochia ein. Nach seiner Trennung von letzterm unternahm er, von Silas begleitet, eine zweite Bekehrungsreise durch die schon besuchten kleinasiatischen Provinzen, dann durch Phrygien und Galatien nach Mysien, von da nach Mazedonien, wo in Philippi und Thessalonich, und nach Achaia, wo besonders in Korinth christliche Gemeinden gegründet wurden. Nach anderthalbjährigem Aufenthalt daselbst läßt ihn wenigstens die Apostelgeschichte über Jerusalem nach Antiochia zurückkehren. Eine dritte Missionsreise führte ihn durch Galatien und Phrygien nach Ephesos. Von hier nach einem fast dreijährigen Aufenthalt vertrieben, reiste er durch Mazedonien und Achaia nach Korinth, sammelte hier eine Beisteuer für die Christen in Jerusalem, kehrte 58 wieder nach Mazedonien zurück und ging von dort 59 zu Schiff über Miletos und Cäsarea nach Jerusalem. Kaum angekommen, wurde er bei einem Volksaufstand von den Römern in Hast genommen und als Gefangener nach Cäsarea zum Verhör vor den Prokurator gebracht. Da er an den Kaiser appellierte, wurde er im Herbst 61 nach Rom gesandt, wo er im nächsten Frühjahr anlangte, um zwei volle Jahre in der Gefangenschaft zuzubringen. Mit dieser Nachricht schließt die Apostelgeschichte. Späterer [517] Tradition zufolge soll P. aus dieser römischen Gefangenschaft befreit worden sein, noch mehrere Reisen, insbes. nach Spanien, gemacht haben, endlich wieder in Rom verhaftet und unter Nero zugleich mit Petrus hingerichtet und zwar enthauptet worden sein. Wahrscheinlicher schlossen schon die zwei Jahre der Apostelgeschichte mit Prozeß und Hinrichtung ab. Die Kirche hat P. zugleich mit Petrus den 29. Juni als Peter- und Paulstag (s. d.) und den 25. Jan. als Pauli Bekehrungstag gewidmet. S. Paulusakten.
Wir besitzen unter P.' Namen eine Anzahl von Sendschreiben an mehrere Christengemeinden und an einzelne Personen, sogen. Episteln oder Lehrbriefe. Das Altertum hat einstimmig 13 Briefe Pauli als echt angenommen; der 14., der Brief an die Hebräer, war streitig. Die biblische Kritik hat nur die Echtheit der Briefe an die Galater, Römer und Korinther als sicher sowie des Philipper-, Philemon- und des ersten Thessalonicherbriefes als kaum zu bezweifeln feststellen können, während das Urteil über die Briefe an die Epheser und Kolosser sowie den zweiten Thessalonicherbrief schwankt und die sogen. Pastoralbriefe an Timotheus und Titus sowie der Hebräerbrief fast allgemein als unecht gelten. Auch die Chronologie der Briefe bildet noch Gegenstand gelehrter Erörterungen. Über die einzelnen Briefe siehe die denselben gewidmeten Artikel. In den Kanon nicht aufgenommen und entschieden unecht sind: ein Brief an die Laodikener, ein Briefwechsel mit Seneca und ein dritter Brief an die Korinther.
P. hat dem Christentum erst seinen universalen Charakter, seine Bedeutung als Weltregion errungen, indem er das Menschheitliche in dem Auftreten und Selbstbewußtsein Jesu geltend machte und das mehr lokal und national Bedingte, woran sich die jerusalemische Gemeinde hielt, zurücktreten ließ. Er zuerst hat das Christentum als eine neue Religion in sich erlebt und nach außen zur Darstellung gebracht. Waren es aber solchergestalt auch zunächst vollkommen praktische Grundsätze: die Universalität des Christentums und die Abrogation des mosaischen Gesetzes, deren Anerkennung im Leben er durchzusetzen und dem Judenchristentum abzuringen hatte, so lag es doch in der Natur seines Geistes, diese seine praktische Auffassung des Christentums in ihre letzten theoretischen Konsequenzen und in ihre abstraktesten Vordersätze zu verfolgen. Stets sind es daher praktische Lebensverhältnisse und Zustände, die ihm Veranlassung zum Schreiben geben; stets aber operiert er, um ihnen gerecht zu werden, so, daß er bald einen göttlichen Geschichtsplan entrollt, auf dem die Leser sich zu orientieren haben, bald die Grundzüge einer spekulativen, schon nahe an die spätere Gnosis herantretenden Weltanschauung zeichnet, die ganz auf die Gegensätze Fleisch und Geist, Adam und Christus, Gesetz und Gnade, Gerechtigkeit aus Werken und Gerechtigkeit aus Glauben, Tod und Leben gebaut ist. Summa dieses sogen. Paulinischen Lehrbegriffs bleibt immer die Idee der Neuheit und Selbständigkeit des Christentums, das sich zum Judentum verhalte wie die Freiheit des Mannes zum Gehorsam des Knaben, wie der Geist zum Buchstaben, wie die Sache selbst zum Schattenbild. Insonderheit begründete er die Universalität des messianischen Heils und die nicht an vorangegangene Gesetzeserfüllung geknüpfte Aufnahmefähigkeit auch der Heiden in das Gottesreich auf die allgemeine Sündhaftigkeit, vermöge deren Juden und Heiden unter gleichem Fluch liegen, und auf den diesen Fluch tilgenden Versöhnungstod des Sohnes Gottes, der durch eben diesen Tod seinen frühern Beziehungen zum Judentum abgestorben ist und seitdem als verklärtes Haupt der Menschheit zu Juden wie Heiden in gleichmäßigem Verhältnis steht. Aus der großen Zahl der Darstellungen vgl. vor allem F. C. Baur, P., der Apostel Jesu Christi (2. Aufl., Leipz. 186667, 2 Tle.); Renan, St. Paul (Par. 1869; deutsch, Leipz. 1869); Hausrath, Der Apostel P. (2. Aufl., Heidelb. 1872); Stalker, The life of St. Paul (3. Aufl., Lond. 1892); A. Sabatier, L'apôtre Paul (3. Aufl., Par. 1896); Farrar, The life and work of St. Paul (Lond. 1879 u. ö., zuletzt 1904; deutsch, Frankf. a. M. 1906 ff., 3 Bde.); Ramsay, St. Paul the traveller and the Roman citizen (3. Aufl., Lond. 1897; deutsch von Groschke: P. in der Apostelgeschichte, Gütersl. 1898); Weinel, P., der Mensch und sein Werk (Tübing. 1904); Clemen, P., sein Leben und Wirken (Gießen 1904, 2 Tle.); Wrede, P. (in den »Religionsgeschichtlichen Volksbüchern«, Halle 1905); O. Pfleiderer, Der Paulinismus (2. Aufl., Leipz. 1890); Holsten, Das Evangelium des P. (Berl. 1880, Bd. 1); H. J. Holtzmann, Lehrbuch der neutestamentlichen Theologie, Bd. 2 (Freiburg 1897); Vischer, Die Paulusbriefe (Halle 1904); Völter, P. und seine Briefe (Straßb. 1905); katholischerseits: Fouard, Saint Paul (Par. 189497, 2 Bde.); Seeböck, St. P., der Heidenapostel (Paderb. 1897); Pölzl, Der Weltapostel P. (Regensb. 1905).