Fanatismus

[309] Fanatismus (v. lat. fanum, Tempel, als Stätte göttlicher Offenbarungen), der mit leidenschaftlicher Erregung des ganzen Gemüts verbundene Eifer in der Vertretung von Ideen und Überzeugungen, die, obwohl sie sich objektiv nicht beweisen lassen, doch subjektiv für unbedingt wahr, ja wohl gar als Eingebungen einer höhern Weisheit gelten. Der beste Boden für die Entwickelung des F. findet sich daher auf dem religiösen und politischen Gebiet, weil hier eine Entscheidung aus rein logischen Gründen zugunsten der einen oder der andern Grundanschauung kaum möglich ist, und zugleich die tiefsten und für das gesamte geistige und materielle Leben bedeutsamsten Interessen in Frage stehen. Wegen seines leidenschaftlichen Charakters schließt der F. die ruhige Erörterung seines Gegenstandes, die Prüfung seiner Überzeugungen und die Vergleichung derselben mit entgegengesetzten aus, empfindet er jeden von andern geltend gemachten Zweifel oder Widerspruch als eine Verletzung, die er durch Feindseligkeit erwidert. Hierdurch wird er gefährlich, und zwar um so mehr, je größer die Zahl derer ist, die als Anhänger derselben Sekte oder Partei von F. für die gleichen Überzeugungen erfüllt sind, denn je mehr Gesinnungsgenossen der Einzelne findet, um so mehr wird er in seinen Überzeugungen bestärkt, und um so rücksichtsloser wird er gegen Andersdenkende vorgehen. Dem F. gegenüber steht der Indifferentismus (s.d.), in der Mitte zwischen beiden die Toleranz (s.d.). Fanatiker, ein von F. erfüllter Mensch; fanatisch, in der Weise eines Fanatikers, meinungs- oder glaubenswütig; fanatisieren, in F. versetzen.

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 309.
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