Kol nidre

[281] Kol nidre (chald., »alle Gelöbnisse...«), Anfang einer den jüd. Versöhnungstag eröffnenden Formel, die aus einem hohen Grade der Gewissenhaftigkeit entsprungen ist und bezwecken soll, alle in Übereilung oder leidenschaftlicher Erregung sich selbst auferlegten Gelöbnisse und Entsagungen des Israeliten für nichtig zu erklären. Von Auflösung der andern gegenüber übernommenen Verpflichtungen oder der Nichtigkeitserklärung von Eiden, die bewußt und überlegt geleistet sind, ist dabei keine Rede. Nur die orthodoxe Richtung im Judentum hält an dieser Formel, die zur Zeit der Geonim (s. Jüdische Literatur, S. 346) entstanden und, um Mißdeutungen vorzubeugen, schon früh angefeindet ist, meistens jetzt noch fest, während freisinnige Gemeinden sie durch ein hebräisches Gebet[281] oder deutsches Lied ersetzt haben; dagegen ist die alte erhabene Melodie des K. fast überall beibehalten.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 281-282.
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