Leichenhalle

[360] Leichenhalle (Leichen-, Totenhaus, Toten-, Parentationshalle), ein öffentliches Gebäude zur Aufbewahrung von Leichen bis zu deren Bestattung. Die Einführung solcher Anstalten wurde veranlaßt durch die Furcht vor dem Lebendigbegrabenwerden, die am Ende des 18. Jahrh. noch ziemlich verbreitet war. Die erste L. wurde 1792 auf Hufelands Anregung in Weimar erbaut und mit allerlei Maßregeln zur Erkennung des Scheintodes ausgestattet. Seitdem aber die Furcht vor dem Lebendigbegrabenwerden bei allen Gebildeten geschwunden ist, da in etwa für Laien zweifelhaften Fällen jeder Arzt mit vollkommenster Sicherheit die Zeichen des eingetretenen Todes zu beurteilen versteht (vgl. Leichenschau), ist der ursprüngliche Zweck der Leichenhäuser hinfällig geworden, aus hygienischen Gründen aber haben Leichenhallen in neuerer Zeit allgemeine Verbreitung gefunden. Die Ausstellung jeder Leiche bis zur abgelaufenen dreitägigen Beerdigungsfrist verdirbt die Luft im Wohnzimmer und wirkt um so schlimmer, je enger und niedriger die Wohnräume sind. Bei ansteckenden Krankheiten kann durch die Leiche der Ansteckungsstoff weiter verbreitet werden, und die größte Gefahr liegt bei Epidemien vor. Nicht jeder kleine Ort bedarf großartiger Leichenhallen, aber jedes Dorf sollte auf seinem Kirchhof eine kleine Halle besitzen, in der Verstorbene sofort nach Feststellung des Todes unterzubringen wären, und jede Stadt sollte eine L. unterhalten, in der außer zur Aufbewahrung auch Gelegenheit zu einer wissenschaftlichen Obduktion gegeben wäre.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 360.
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