[361] Leichenschau (Totenschau), die Untersuchung einer Leiche durch einen Sachverständigen (Leichen-, Totenbeschauer, Schauarzt), um die Verheimlichung von gewaltsamen oder durch strafbare Vernachlässigung oder medizinische Pfuschereien herbeigeführten Todesarten zu hindern, zur Ermittelung ansteckender Krankheiten sowie zur Herstellung genauer Sterbelisten mitzuwirken und die Bestattung Scheintoter zu verhüten. Im allgemeinen gelten für die L. folgende Grundsätze und Bestimmungen: jeder Todesfall muß unverzüglich nach dem Eintritt des Todes dem Leichenschauer angezeigt werden. Vor dessen Ankunft darf mit der Leiche keine Veränderung vorgenommen werden. Die Ausübung der L. in öffentlichen Kranken-, Wohltätigkeits-, Straf- und ähnlichen Anstalten liegt den Anstaltsärzten ob. Im übrigen sind zur L. in erster Reihe überall Ärzte, dann Heilgehilfen, Heildiener, Bader, vormalige Sanitätssoldaten und Lazarettgehilfen, endlich in Ermangelung von solchen sonst qualifizierte Laien zu bestimmen. Die ärztliche L. ist in der Reget einmal, die nichtärztliche zweimal vorzunehmen. In Gemeinden, die eine Leichenhalle besitzen, in die die Leiche möglichst frühzeitig gebracht wird, hat stets (auch durch die Ärzte) eine zweimalige L. stattzufinden. Die erste L. ist tunlichst bald nach erfolgtem Tode, wenn möglich innerhalb 24 Stunden, und jedenfalls vor Verbringung der Leiche in die Leichenhalle vorzunehmen. Die zweite L. ist mindestens einen Tag später auszuführen, am besten kurz vorder Bestattung; hierbei sind die jetzt bestimmt wahrnehmbaren sichern Merkmale des Todes festzustellen. In der Regel dürfen Leichen nicht früher als 48 Stunden und nicht später als 72 Stunden nach Eintritt des Todes bestattet werden. Ebenso darf die zweite Besichtigung der Leiche in der Regel nicht vor Ablauf von 48 Stunden nach Eintritt des Todes erfolgen.
Eine reichsgesetzliche Regelung des Leichenschauwesens besteht in Deutschland nicht. Nach § 10 des Gesetzes, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten, vom 30. Juni 1900 kann für Ortschaften und Bezirke, die von einer solchen Krankheit betroffen oder bedroht sind, durch die zuständige Behörde angeordnet werden, daß jede Leiche vor der Bestattung einer amtlichen L. zu unterwerfen ist. Die ideale L., die pflichtmäßig ausschließlich von Ärzten geübte, ist in den einzelnen Bundesstaaten nur vereinzelt, vornehmlich in Großstädten, eingeführt. Allgemeine obligatorische L. haben Bayern, Württemberg, Baden, Hessen, Sachsen-Meiningen, Koburg-Gotha, Bremen, Hamburg. In Hamburg und im Bremer Stadtgebiet wird die L. nur von Ärzten ausgeübt. Vielfach besteht gemischtes System mit Ärzten und Laien, so in Bayern, Württemberg, Hessen, Meiningen und Koburg-Gotha, überall muß hier, falls Ärzte vorhanden sind, diesen der Vorzug gegeben werden. In Sachsen (bis auf Leipzig), Sachsen-Weimar und Altenburg kann die L. durch Frauen (Leichen-, Totenfrauen) ausgeübt werden. In Preußen fehlt in vielen Bezirken jede amtliche L., mehrfach besteht die Verpflichtung, ärztliche Totenscheine beizubringen, und in den Bezirken Kassel, Wiesbaden, Sigmaringen besteht obligatorische L. durch Laien. Nach Ministerialerlaß von 1901 soll in Preußen die L. überall dort eingeführt werden, wo sie durchführbar ist. Aus einem Erlaß von 1904 geht hervor, daß das Verständnis für die Bedeutung der pflichtmäßigen L. in Zunahme begriffen ist.
Der Leichenschauer hat sich mit der Feststellung der Merkmale des Todes an der Leiche zu befassen. Über diese vgl. Tod. Bei allen plötzlichen Todesfällen, in denen die Art des Todes nicht sicher festgestellt werden kann, sowie bei allen gewaltsamen Todesarten hat der Leichenschauer sofort bei den betreffenden Behörden die gesetzlich vorgeschriebene Anzeige zumachen. Seine Beobachtungen bei der L. hat er schriftlich beizulegen. Entsteht der Verdacht des Scheintodes, so ist ungesäumt die Beiziehung eines Arztes zu veranlassen. Inzwischen sind Belebungsversuche zu machen, und zwar: Öffnen der Fenster und Erwärmung des Zimmers; Einleitung der künstlichen Atmung; Auflegen erwärmter Senfteige auf die Brust und auf die Extremitäten; Reiben mit weichen Bürsten und Essigtüchern, Kampferspiritus, auch mit wollenen erwärmten Tüchern; Reinigung und Reizung des Schlundes mit einer Feder; Riechen an Salmiakgeist; zeitweises Einträufeln einiger Tropfen Melissengeist oder einer ähnlichen Flüssigkeit in den Mund. Ist sowohl Scheintod als gewaltsamer Tod ausgeschlossen, so ist sofort die gewöhnliche ortsübliche Besorgung der Leiche als zulässig von dem Leichenschauer zu erklären; derselbe hat da, wo eine besondere Person (Leichenfrau, Leichenansager) hierfür angestellt ist, mit dieser sich deshalb zu besprechen, in Fällen aber, wo Verwandte und Nachbarn die Leichen besorgen, die letztern zu dem Ende zu unterweisen. Jeder Sterbefall ist außer an den Leichenschauer, nach dem Reichsgesetz vom 6. Febr. 1875, Abschnitt 5, § 5661, dem Standesbeamten des Bezirks, in dem der Tod erfolgt ist, anzuzeigen. Die Todesursache ist, abgesehen von den Fällen des § 61 (Sterbefälle auf Seeschiffen während der Reise, wo die mutmaßliche Ursache des Todes zu vermerken ist), nicht Gegenstand der Eintragung in die Standesamtslisten.