Leichenschauhaus

[361] Leichenschauhaus (franz. Morgue; hierzu Tafel »Leichenschauhäuser«), Gebäude zur Aufbewahrung und Ausstellung von Leichen unbekannter Personen, insbes. Verunglückter, Selbstmörder etc., behufs Feststellung ihrer Persönlichkeit und zur Vornahme der an den Toten unter Umständen erforderlich werdenden gerichtlich-medizinischen Untersuchungen. Das L. besitzt außer der Leichenschau- und Aufbewahrungsstätte eine Verwaltungs- oder Polizeiabteilung und eine gerichtliche Abteilung. Der Leichenschauraum enthält eine Halle für das Publikum und einen, manchmal in einzelne Zellen zerlegten Leichenausstellungsraum, beide durch eine feste Glaswand voneinander geschieden. Die Ausstellungsräume werden zweckmäßig durch Oberlicht beleuchtet und erhalten Vorkehrungen zur übersichtlichen Ausstellung der Toten und Kühleinrichtungen, da die Leichen mit Rücksicht auf die gerichtlich-medizinischen Untersuchungen nicht durch chemische Mittel erhalten werden dürfen, sondern im gefrornen Zustand aufbewahrt werden müssen. In Verbindung mit dem Ausstellungsraum stehen im gleichen Geschoß oder im Keller Gefrierzellen zur Aufbewahrung der Leichen, auch sind ein Leichenwasch- und Desinfektionsraum, eine Kleiderkammer und ein Gelaß für Särge erforderlich. Die Verwaltungsabteilung muß Räume für das Leichenkommissariat,[361] Wartezimmer und ein Gelaß zur Aufbewahrung von Wertsachen enthalten; zweckmäßig werden auch die Wohnungen derjenigen Beamten, deren ständige Anwesenheit im Haus erforderlich ist, in diesen Teil des Gebäudes gelegt. Die gerichtliche Abteilung muß einen Obduktionssaal, Räume zur Ausstellung medizinischer Präparate und ein chemisches Laboratorium enthalten. Ein Hörsaal nebst Arbeitszimmern und Bibliothek, auch Zimmer für richterliche Beamte und Zeugen sowie eine Zelle für die Angeschuldigten können hinzutreten. Ein L. einfacherer Art besitzt seit etwa 1855 Paris auf der Seine-Insel der Cité (s. Tafel, Fig. 3). Die ankommenden Leichen werden ungereinigt 24 Stunden einer Temperatur von -10 bis -15° ausgesetzt. Hierzu dienen 14 Gefrierzellen, die zur Hälfte mit Sägespänen gefüllt sind. Umfangreicher ist die 1884–85 in Berlin errichtete Anlage (Fig. 1 u. 2). Sie ist für die öffentliche Ausstellung von 14 unbekannten Toten und für die Aufbewahrung von 39 Leichen bekannter Personen eingerichtet und mit einer gerichtlich-medizinischen Abteilung ausgestattet.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 361-362.
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