Offiziālverfahren

[918] Offiziālverfahren nennt man ein von der Offizialmaxime (s. d.) beherrschtes Gerichtsverfahren. Ein solches ist der Strafprozeß. Dagegen wird der Zivilprozeß naturgemäß von der sogen. Dispositionsmaxime (s. d.) oder Verhandlungsmaxime beherrscht. In einzelnen Richtungen gilt jedoch auch hier die sogen. Offizialmaxime und findet eine O. statt. Soz. B. in Ehesachen, in Entmündigungssachen, in Rechtsstreitigkeiten, welche die Feststellung des Rechtsverhältnisses zwischen Eltern und Kindern zum Gegenstand haben, bei der Feststellung gewisser Prozeßvoraussetzungen (s. d.), überhaupt überall, wo die Feststellung eines Rechtsverhältnisses im öffentlichen Interesse liegt. Hier erstrebt dann der Zivilprozeß nicht bloß formelle Wahrheit und formelles Recht, sondern materielle Wahrheit und materielles Recht. – Nach der österreichischen Zivilprozeßordnung gilt die sogen. Offizialmaxime im weitern Umfang als nach der deutschen. Das Gericht ist zwar durch die Anträge der Parteien gebunden; im übrigen soll es vorkehren können, was diesen dient. Es hat bezüglich der Erforschung der Wahrheit angeführter Tatsachen nahezu freie Hand. So darf z. B. das Gericht, sofern sich nicht beide Parteien widersetzen, Beweise erheben, die von den Parteien nicht angeboten wurden, die Vorlegung von Urkunden, auf die sich eine der Parteien berufen hat, verlangen und Zeugen vorladen, von denen eine Aufklärung zu erwarten ist, auch die Parteien als Zeugen vernehmen (Prozeßbetrieb).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 918.
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