Polyandrīe

[119] Polyandrīe (griech., »Vielmännerei«), Verbindung einer Frau mit mehreren Männern. Sie ist am verbreitetsten unter den Völkern auf Ceylon, in Indien, insbes. bei den Toda, Kurgi, Nair und andern Stämmen im Nilgirigebirge, ferner in Tibet, bei den Eskimo, Alëuten, Konjagen und Koljuschen; auch fand man diese Sitte unter den Ureinwohnern am Orinoko sowie bei australischen, nukahiwischen und irokesischen Stämmen. Auf Ceylon und bei den Völkerschaften am Fuße des Himalaja sind die gemeinsamen Gatten der Frau stets Brüder. Fast genau so hielten es die alten Briten zu Cäsars Zeit. Viele moderne Forscher betrachten die P. als einen Überrest einer ehemals üblichen Gruppen- oder Gemeinschaftsehe (s. d.), die nur aus dem Grunde, weil die Mehrzahl der weiblichen Kinder beseitigt wird und also großer Mangel an Frauen herrscht, zur Vielmännerei geworden wäre. Bei den Toda besteht in der Tat die wirkliche Gruppenehe neben der P. Andre sehen in der P. einen Verfall der Sitten, indem sie darauf hinweisen, daß die sonst sehr tief stehenden Urbewohner Ceylons, die Wedda, in strenger Monogamie leben. Schurtz betrachtet die P. als einen Ausfluß des Wesens der Altersklassen und Männerbünde: wie vieles andre konnte auch die Gattin als eine Art Besitztum angesehen werden, das dem Freunde gern einmal zur Verfügung steht (Frauentausch). Naturgemäß ist der nächste Freund des Ehemannes der eigne Bruder, der in der Tat am häufigsten als Mitgatte auftritt oder aber doch die Frauen des verstorbenen Bruders zu ehelichen hat (Levirat). Die P. stellte sich somit als der Ausläufer der alten Männergesellschaft dar, der aus wirtschaftlichen und andern Gründen lange beibehalten werden kann. Vgl. Schurtz, Urgeschichte der Kultur (Leipz. 1900) und Altersklassen und Männerbünde (Berl. 1902). S. auch Ehe und Gemeinschaftsehe.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 119.
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