[391] Protagŏras, griech. Sophist aus Abdera, lebte von etwa 480 bis gegen 410 v. Chr., studierte die ältern ionischen Philosophen, namentlich Herakleitos, sowie Grammatik und Rhetorik und soll von Perikles 443 mit attischen Kolonisten nach Thurii gesandt worden sein, um Gesetze für diese Stadt auszuarbeiten. In Athen ist er mehrere Male gewesen. Als Lehrer und Redner eine glänzende Erscheinung, hat er durch[391] seinen Satz, »der Mensch ist das Maß aller Dinge, der seienden, daß sie sind, der nichtseienden, daß sie nicht sind«, ein allgemein gültiges Wissen geleugnet und so den vollen Subjektivismus gelehrt. Hierdurch hauptsächlich hat er den Widerspruch des Sokrates und der Sokratiker (insbes. Platons) hervorgerufen; daß er auf ethischem Gebiet auch alles dem Subjekt anheimgestellt und so die allgemein gültige Verpflichtung aufgehoben habe, steht nicht fest. Von den Göttern erklärte er, nicht zu wissen, ob sie seien oder nicht seien; denn vieles verhindere, dies zu wissen, die Dunkelheit der Sache und die Kürze des menschlichen Lebens. Er ward als Atheist aus Athen verbannt und soll auf dem Meere verunglückt sein. Seine Schriften wurden öffentlich verbrannt. Neuerdings wird er öfter als Vater des Positivismus angesehen. Vgl. Herbst, P.' Leben und Sophistik (in Petersens »Philologisch-historischen Studien«, Bd. 1, Hamb. 1832); Halbfaß, Die Berichte des Platon und Aristoteles über P. (Straßb. 1882); Sattig, Der Protagoreische Sensualismus (in der »Zeitschrift für Philosophie«, Bd. 86, Halle 1885); Natorp, P. und sein Doppelgänger (im »Philologus«, Bd. 50, 1891).