Tanzwut

[316] Tanzwut (Tanzsucht), epidemische Volkskrankheit des Mittelalters, besonders in den Jahren 1021, 1278, 1375 und 1418. Von religiösem Wahnsinn ergriffen, tanzten Tausende, bis ihnen Schaum aus dem Munde quoll, Zuckungen sich einstellten und der Unterleib unförmlich aufschwoll. Dabei gaben sie vor, während des Tanzes himmlische Visionen zu haben, und zogen häufig, wie die Flagellanten (s. d.), unter den wildesten Ausschweifungen mit bekränztem Haupte von Ort zu Ort. Da man die Tänzer für vom Teufel Besessene hielt, nahm der Klerus allerlei Beschwörungen vor, und die Angehörigen beteten zu St. Johannes und St. Veit (daher Veitstanz). Im 14. Jahrh. tanzten am Niederrhein die Johannistänzer zu Ehren des St. Johannes. Auch der Tanz der Derwische (s. Mewlewi) und der Schüttlersekten in Nordamerika kann zu diesen Exaltationszuständen gerechnet werden. Manche mit tanzähnlichen Bewegungen verbundene körperliche Krankheitszustände, wie die Reitbahn- oder Manegetouren, gehören in das Gebiet der sogen. Zwangsbewegungen (s. auch Tarantel und Veitstanz). Vgl. Hecker, Die T., eine Krankheit im Mittelalter (Berl. 1832) u. Die großen Volkskrankheiten des Mittelalters (das. 1865).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 316.
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