[982] Utilitarismus (Utilitarianismus, Nützlichkeitslehre) wird nach dem Vorgang von Mill diejenige Form des Eudämonismus (s. d.) genannt, die im Unterschied vom Egoismus (s. d.) die Förderung des Gesamtwohls (»des größtmöglichen Wohls der größtmöglichen Zahl«, nach Bentham) als Zweck alles sittlichen Strebens bezeichnet und das sittliche Urteil über eine Handlung von ihrem Verhältnis zu diesem Zweck abhängig macht. Der Begründer des U. ist Baco, der, davon ausgehend, daß die sittlichen Gebote sich auch ohne Rücksicht auf die göttliche Sanktion, welche die theologische Ethik für sie in Anspruch nimmt, müssen begründen lassen, die Förderung des Gemeinwohls als ihre Tendenz bezeichnete. Hauptsächlich die englischen Ethiker haben dann diesen Gesichtspunkt festgehalten und weiter entwickelt. Je nachdem das Gesamtwohl als die Summe alles Einzelwohls aufgefaßt oder dem Glücke der Einzelnen als etwas Höheres gegenübergestellt wird, gewinnt der U. (wie bei Bentham, Mill, Spencer) einen mehr individualistischen oder (wie bei Comte, Sidgwick, den Positivisten und Sozialisten) einen mehr sozialen Charakter. Die Frage nach den Motiven, die das Individuum veranlassen können, dem Gesamtwohl zu dienen, ist verschieden beantwortet worden. Einige behaupten, daß das wohlverstandene eigne Interesse von selbst zu gemeinnützigem Handeln treibe, andre, daß aus den ursprünglich egoistischen Trieben der Menschennatur sich indirekt (z. B. durch die Wirkung der mit Belohnung und Strafe operierenden Erziehung, oder nach dem allgemeinen Prinzip der Erhaltung des Zweckmäßigen) uneigennützige (altruistische) Neigungen entwickeln können. Der U. hat den Vorzug, daß er ein greifbares, dem gesunden Menschenverstand leicht einleuchtendes Ideal des sittlichen Strebens aufstellt, das als Richtschnur für die Betätigung im öffentlichen Leben alle Beachtung verdient; seine Schwäche liegt in der Unbestimmtheit des Begriffes »Gesamtwohl« sowie in der Schwierigkeit, im einzelnen den Wert oder Unwert einer Handlung dem allgemeinen Prinzip gemäß festzustellen, da in den meisten Fällen die Wirkung einer Handlung auf das Gesamtwohl nur schwer zu beurteilen ist. Endlich ist er insofern höchst einseitig, als er die Schätzung der Gesinnung, aus der unsre Handlungen entspringen, ganz zurücktreten läßt hinter der ihres äußern Erfolges. Vgl. John Stuart Mill, Utilitarianism (zuletzt Lond. 1905); Kaler, Die Ethik des U. (Hamb. 1885); E. v. Hartmann, Ethische Studien (Leipz. 1898); Leslie Stephen, The English utilitarians (Lond. 1900, 3 Bde.); Albee, A history of utilitarianism (das. 1902); Sinclair, Der U. bei Sidgwick und Spencer (Heidelb. 1907).