Weiche

[466] Weiche (in Österreich Wechsel), Gleisverbindung, die ermöglicht, einzelne Fahrzeuge wie geschlossene Züge von einem Gleise ab- und auf ein andres überzuleiten. Die W. oder Ausweichung besteht aus der Lenk- oder Zungenvorrichtung am Anfang, dem Herzstück nebst Zubehör am Ende und den beiden auseinander laufenden Gleissträngen zwischen ihnen (s. Abbildung 1–3). Die Lenkvorrichtung wird für Lokomotiveisenbahnen so gebildet, daß die beiden Schienenstränge des Stammgleises am Anfang (»Spitze«) der W. ohne Unterbrechung in die beiden Außenschienen der sich trennenden Gleise übergehen, während die beiden innern Schienenstränge in zwei Zungen, d. h. vorn zugespitzte, um ihren Endpunkt drehbare und miteinander verbundene Schienen auslaufen, so daß stets eine Zunge an der einen »Backenschiene« fest anliegt, während die andre von der ihr zugehörigen Backenschiene so weit absteht, daß hier ein reichlicher Spielraum (Aufschlag) für den Spurkranz der Räder gesichert ist. Die beiden Zungen gehören also verschiedenen Gleisen an; je nach ihrer Stellung leiten sie die Räder der Fahrzeuge in das eine oder das andre der sich trennenden Gleise. Die Umstellung erfolgt unmittelbar durch den Weichenbock, der mittels schweren Gewichts das Anliegen der einen und die reichliche Öffnung der andern Zunge sichert, oder mittelbar durch Stellwerke (s. Eisenbahnbetriebssicherheit, S. 518) von bestimmten Punkten aus. Das Herzstück bildet die Durchschneidungsstelle der zwei innern Schienenstränge der auseinander laufenden Gleise. Es muß also nach beiden Richtungen den nötigen freien Raum für den Durchgang der Spurkränze gewähren, also die »Spurrinnen« bilden und zugleich durch die am Ende etwas abgebogenen »Horn- oder Flügelschienen« einen Ersatz bieten für die durch die Spurkranzrinne unterbrochene Unterstützung der Räder. Dies wird dadurch ermöglicht, daß die Radreifen neben den Spurkränzen noch eine reichliche Laufflächenbreite besitzen, welche die schmale (45–50 mm breite) Spurrinne übergreifen und noch so lange auf der Flügelschiene laufen, bis die allmählich zur Schienenhöhe ansteigende Spitze des Herzstückes die nötige Stärke zum Tragen des Rades erreicht hat. Um nun auch für die unterbrochene Führung der Räder Ersatz zu bieten, sind als Zubehör des Herzstückes beiderseits neben den Außenschienen in eng bemessenem Abstand (41–55 mm) von diesen längere Zwangsschienen (Radlenker) erforderlich (vgl. Gleiskreuzung). Von dem Ende des Herzstückes an sind die Schienen wieder selbständig, die Schwellen jedoch noch eine kurze Strecke weit gemeinsam. Eine längere Besetzung mit Wagen darf jedoch erst in größerer Entfernung hinter dem Herzstück, bei dem sogen. Sperrzeichen (auch Merkzeichen) beginnen, nämlich da, wo die Entfernung der Gleismitten bis auf 3,5 m angewachsen ist, weil andernfalls der Überstand der ausgestellten Fahrzeuge das Durchfahren des andern Weichengleises unmöglich machen, also Gefahr herbeiführen würde.

Hinsichtlich der Gesamtanordnung der Weichen unterscheidet man: 1) die einfache oder Normalweiche mit einem geraden und einem gekrümmten Gleise, wobei die Ablenkung nach links (Fig. 1) oder nach rechts erfolgen kann (»Links- und Rechtsweiche«).

Fig. 1. Einfache oder Normalweiche.
Fig. 1. Einfache oder Normalweiche.

2) Die Doppel- oder dreistellige W., die, entweder symmetrisch von einem Punkt ausgehend, oder besser unsymmetrisch in Form zweier nahe zusammengeschobener Normalweichen (Fig. 2) ausgeführt wird, in diesem Falle mit zwei Lenkvorrichtungen der Normalweiche, so daß dann nur das dritte oder Mittelherzstück als neue Form hinzukommt.

Fig. 2. Unsymmetrische Doppelweiche.
Fig. 2. Unsymmetrische Doppelweiche.

3) Die Zweibogenweiche, in der beide Gleise gekrümmt sind, und die entweder der symmetrischen oder der unsymmetrischen Doppelweiche (Fig. 3) nach Fortnahme des geraden Mittelstranges genau entspricht. 4) Die einseitige oder gleichlaufende (Zieglersche) Doppelweiche, aus der beide abzweigende Gleise nach derselben Seite vom Stammgleise ablenken.

Fig. 3. Unsymmetrische Zweibogenweiche.
Fig. 3. Unsymmetrische Zweibogenweiche.

5) Die konkave oder gleichlaufende Zweibogenweiche, die aus der letztgenannten Form durch Fortlassung des geraden Gleises entsteht.

Die Zungen und Zwangschienen werden aus gleichem Material wie die Schienen hergestellt, erstere bedürfen jedoch besonderer Formgebung und einer Reihe besonderer Teile zur Unterstützung und drehbarer Befestigung. Einen schwachen Teil bildet der Zungendrehpunkt. Man hat ihn neuerdings stellenweise dadurch beseitigt, daß man die Zungen sehr lang und elastisch gemacht hat (Federweichen). Die Herzstücke werden als Blockherzstücke aus Hartgußeisen oder Flußstahlformguß gebildet oder auch, und zwar besser als Schienenherzstücke aus richtigen Schienen mit besonders eingelegter Stahlspitze zusammengebaut, wobei eine Verminderung der Verbindungsstellen und der harten Erschütterungen beim Befahren zu erreichen ist. Über die Vereinigung von Weichen mit Gleiskreuzungen zu Kreuzungsweichen s. Gleiskreuzung.

Kletterweichen vermeiden die Unterbrechung des Stammgleises am Herzstück durch Ansteigen der einen Schiene des Nebengleises. Blanels Kletterweiche befreit auch an der Spitze das Stammgleis von jeder Unterbrechung, indem auch hier das Rad durch Ansteigen der einen (nun außen liegenden) Zunge so hoch gehoben wird, daß der Spurkranz des Rades über die Schiene des Stammgleises hinwegläuft. Solche Anordnung ist auch auf freier Strecke ohne Gefährdung der Hauptgleise zu Abzweigungen verwendbar. Für vorübergehende Zwecke (Bangleise), für Grubenbahnen und Fabrikanschlüsse ohne Lokomotivbetrieb, kommen wohl noch die (früher auch sonst gebräuchlichen) Schleppweichen ohne Zungen vor, d. h. solche, bei[466] denen ein Stück der beiden Schienenstränge um einen Endpunkt etwas drehbar gemacht und vor den stumpf endigenden Schienen der beiden (oder drei) auseinanderlaufenden Gleise verschoben werden. Solche Weichen haben in falscher Stellung ein Ablaufen der Räder von den Gleisen bei Ausfahrt aus der W. zur Folge und sind daher für Lokomotivbahnen unzulässig.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 466-467.
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