Neunzehnte Familie: Schwalben (Hirundinidae)

[502] Die Schwalben (Hirundinidae) sind klein, zierlich gestaltet, breitbrüstig, kurzhalsig und plattköpfig. Der Schnabel ist kurz, platt, an der Wurzel viel breiter als an der Spitze, daher fast dreieckig, mit der Spitze des Oberschnabels etwas übergekrümmt, die Rachenöffnung bis gegen die Augen hin gespalten, der Fuß kurz, schwach und mit kleinen Nägeln ausgerüstet, der Flügel lang, schmal und zugespitzt, der Hand- wie der Armtheil trägt je neun Schwungfedern, unter denen die erste alle übrigen überragt, nicht aber gänzlich fehlt; der Schwanz ist stets, oft sehr tief gegabelt, das Gefieder kurz, knapp anliegend und oberseits meist metallisch glänzend. Beide Geschlechter sind hinsichtlich der Färbung wenig verschieden; die Jungen hingegen tragen kurze Zeit ein von dem ihrer Eltern abweichendes Kleid. Der innere Bau des Schwalbenleibes stimmt im allgemeinen mit dem anderer Sänger überein; eigenthümlich aber sind allen Schwalben der sehr kurze Oberarm, welcher nur die Länge des Mittelhandknochens besitzt, und die am Seitenrande merklich eingezogenen Gaumenbeine. Bloß die Hirnschale ist luftführend. Ein Kropf fehlt; die Magenwände sind schwachmuskelig. Die hornige, breite, flache Zunge ist scharfrandig, vorn gespalten, am hinteren Rande fein gezähnelt.

Die Schwalben, von denen man ungefähr neunzig Arten kennt, verbreiten sich über alle Erdtheile und über alle Höhen- und Breitengürtel, obschon sie jenseit des Polarkreises nur vereinzelt und kaum als Brutvögel leben. Viele von ihnen nehmen im Hause des Menschen Herberge, andere siedeln sich an Felsen- oder in steilen Erdwänden an, einige wählen Bäume zur Anlage ihres Nestes. Sämmtliche Arten, welche in Ländern brüten, in denen der Winter vom Sommer erheblich sich unterscheidet, sind Zugvögel, wogegen diejenigen, welche in Ländern hausen, deren Jahreszeiten mehr oder weniger sich gleichen, höchstens innerhalb gewisser Grenzen hin- und herstreichen. Wiederholt ist behauptet und selbst von tüchtigen Naturforschern für möglich erachtet worden, daß einzelne Schwalben den Winter in kalten Gegenden, und zwar im Schlamme eingebettet als Winterschläfer verbringen; solchen Angaben fehlt jedoch jede Glaubwürdigkeit. Unsere deutschen Schwalben ziehen bis in das Innere, selbst bis in die südlichsten Länder Afrikas, und ich selbst habe sie während meines fünfjährigen Aufenthaltes in diesem Erdtheile mit größter Regelmäßigkeit nach Süden hinab und wieder nach Norden zurück wandern sehen. Daß bei plötzlich eintretender Kälte im Frühjahre oder im Herbste einzelne Schwalben in Löchern Zuflucht suchen, hier in gewissem Grade erstarren und, dank ihrer Lebenszähigkeit, wieder aufleben mögen, wenn sie in die Wärme gebracht werden, will ich nicht gänzlich in Abrede stellen; von einem Winterschlafe aber ist, trotz aller »glaubwürdigen Zeugen« von Aristoteles her bis auf gewisse Beobachter unserer Tage, bestimmt nicht zu reden.

Man nennt mit Recht die Schwalben edle Thiere. Sie sind leiblich und geistig wohl befähigt. Der Flug ist ihre eigentliche Bewegung, ihr Gang auf dem Boden höchst ungeschickt, jedoch immerhin weit besser noch als das unbeschreiblich täppische Kriechen der anscheinend so nah [502] verwandten Segler. Um auszuruhen, bäumen sie gern und wählen sich dazu schwache, wenig belaubte Aeste und Zweige, welche ihnen unbehindertes Zu- und Abfliegen gestatten. Alle wirklichen Schwalben zählen zu den Singvögeln. Ihr Gesang ist ein liebenswürdiges Geschwätz, welches jedermann erfreut und zumal den Landbewohner so anmuthet, daß er dem Liede der in seinem Hause nistenden Art Worte untergelegt hat. Wie der Landmann, so denken und empfinden alle übrigen Menschen, welche das Lied und den Vogel selbst kennen lernten. Denn nicht der Klang aus Schwalbenmunde allein, auch das Wesen und Betragen der Schwalben haben ihnen die Zuneigung des Menschen erworben. Sie sind nicht bloß heiter, gesellig, verträglich, sondern auch klug und verständig, nicht bloß dreist, sondern auch muthig. Sie beobachten ihre Umgebung genau, lernen ihre Freunde und ihre Feinde kennen und vertrauen nur dem, welcher Vertrauen verdient. Ihr Treiben und Beginnen heimelt uns an; ihr Vertrauen sichert ihnen selbst in roheren Gemüthern Schutz und Gastlichkeit.

Alle Schwalben sind Kerbthierjäger. Sie verfolgen und fangen hauptsächlich Zwei-, Ader- und Netzflügler, also vorzugsweise Fliegen und Schnaken, aber auch kleine Käfer und dergleichen. Ihre Jagd geschieht nur im Fluge; sitzende Thiere abzulesen, sind sie nicht im Stande. Die gefangene Beute verschlingen sie, ohne sie zu zerkleinern. Fliegend trinken sie, fliegend baden sie sich auch, indem sie, hart über der Oberfläche des Wassers dahinschwebend, plötzlich sich herabsenken und entweder ihren Schnabel oder einen Theil des Leibes eintauchen und dann die eingenetzten Federn durch zuckende oder schüttelnde Bewegungen wieder trocknen.

Die meisten Arten erbauen ein kunstvolles Nest, dessen äußere Wandung Lehmklümpchen sind, welche mit dem kleberigen Speichel zusammengekleistert wurden; andere graben mühevoll Löcher in das harte Erdreich steil abfallender Wände, erweitern diese in der Tiefe backofenförmig und legen hier das eigentliche Nest an, welches der Hauptsache nach aus zusammengetragenen und wirr übereinander geschichteten Federn besteht. Das Gelege enthält vier bis sechs Eier, welche vom Weibchen allein bebrütet werden.

Dank ihrer Gewandtheit im Fluge entgehen die Schwalben vielen Feinden, welche das Kleingeflügel bedrohen. Doch gibt es in allen Erdtheilen Falken, welche auch die schnellsten Arten zu fangen wissen, und außerdem stellen Katzen, Marder, Wiesel, Ratten und Mäuse der Brut und den noch ungeschickten Jungen nach. Der Mensch befehdet die nützlichen und in den meisten Ländern geheiligten Vögel gewöhnlich nicht, wird im Gegentheile eher zu ihrem Beschützer.

Für die Gefangenschaft eignen sich die Schwalben nicht. Einzelne können zwar dahin gebracht werden, Ersatzfutter in einer ihnen unnatürlichen Weise zu sich zu nehmen und dadurch ihr Leben zu fristen; sie aber sind als seltene Ausnahmen anzusehen. Die Schwalbe verlangt, um zu leben, vor allem die unbeschränkteste Freiheit.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 502-503.
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