2. Literarische Industrie.

[114] Neben meinen wissenschaftlichen Arbeiten mußte ich auch auf literarischen Erwerb Bedacht nehmen.

In dem Hause, welches ich 1800 bezog, wohnte Wolff, der berühmte Verfasser der Geschichte der Jesuiten, der jetzt Buchhändler war. Es war ein Mann von ernstem Charakter, dem die erlittenen Verfolgungen ein düsteres Gepräge aufgedrückt hatten; er lebte bloß für sein Geschäft, sein Studium und seine Familie und hatte weiter keinen Umgang. Nur durch die Freundschaft seiner Frau, einer ächt biedern Schweizerin, mit meiner Frau kam er mir näher und das deßhalb mir zugewendete Wohlwollen hatte wohl einen vorzüglicheren Antheil daran, daß er mir die Uebersetzung einer Schrift von Lefebure über den schwarzen Staar übertrug, die ich, wie ähnliche Arbeiten, der Vollständigkeit wegen anführe1. Lefebure, ein Ignorant und vollkommener Charlatan, kam auf seinen augenärztlichen Zügen durch Deutschland, bald darauf nach Leipzig, fand sich durch die Verdeutschung seines Werkes sehr geschmeichelt[114] und drängte sich sehr an mich. Er gab mir sein französisches Manuscript über die Augenentzündung zu übersetzen2; ich hatte Mühe, ihn zu bereden, daß er auf dem Titel den Zusatz: ouvrage classique wegließ, denn er meinte, dies heiße ein Buch, über welches in den Classen der Studenten Vorlesungen zu halten wären.

Der Buchhändler Hinrichs, ein industriöser, übrigens auch ganz guter, aber in kleinlichem Sinne handelnder Mann, ward ebenfalls mein Gönner, indem er mir die Uebersetzung einiger Schriften auftrug, die ich mit der größten Bereitwilligkeit fertigte, ohne mich durch die Beschaffenheit des Inhalts abhalten zu lassen. So lieferte ich ihm denn ein Paar technologische Abhandlungen3 und Laforgue's Zahnarzneikunst, wobei ich auch die Zusätze redigirte4.

Erwünschter war mir der Auftrag, das Handbuch der Arzneimittellehre von Segnitz zu beendigen. Der Verfasser hat den Zweck gehabt, für den Bedarf von Aerzten, denen es an literarischen Hülfsmitteln fehlt, eine Auswahl wirksamer Mittel mit besonderer Rücksicht auf Einfachheit und Wohlfeilheit zu geben. Durch Krankheit von Beendigung des Werkes abgehalten, schickte er der Verlagshandlung Manuscript zum zweiten Theile des zweiten Bandes, soweit er es ausgearbeitet, mit dem Wunsche, es von einem anderen Arzte in Ordnung gebracht und ergänzt zu sehen. Ich unterzog mich gern dieser Arbeit, gab zu den schon ausgearbeiteten Artikeln hin und wieder Zusätze[115] und verfaßte mehrere Artikel selbst, die ich in der Vorrede angab. Den meisten Fleiß verwendete ich auf den Artikel: Blei; das Streben, deutliche Begriffe und klare Ansichten zu gewinnen, ist, glaube ich, nicht zu verkennen. Uebrigens habe ich mit der ganzen Arbeit nicht viel länger als vier Wochen zugebracht (vom 17. März bis 19. April), da der Verleger drängte, um das Werk vollständig auf die Ostermesse bringen zu können5.

Mein Freund Schindler war zu Weihnachten 1798 in eine Melancholie verfallen. Als ein junger, wohlgestalteter Mann von Kopf und ausgebreiteter wissenschaftlicher Bildung, der bei dem bedeutenden Vermögen seines Vaters und bei ansehnlichen Familienverbindungen alle Aussichten zu einer glänzenden Laufbahn hatte, schien er keinen äußern Anlaß zur Schwermuth gehabt zu haben. Mir gab man als Grund seiner Krankheit verletzten Ehrgeiz an, indem er in den belebten eleganten Zirkeln von Dresden durch Zerstreutheit und eine gewisse Unbeholfenheit bisweilen Gegenstand des Muthwillens geworden war. Auffallend war mir schon ein Brief, den er mir im November nach Wien schrieb und der bloß die Aufzählung genossener Lustpartieen und die ernste Warnung, mich ja nicht zum Uebertritte zur kathol. Confession verleiten zu lassen, enthielt, wozu ich dadurch Veranlassung gegeben, daß ich einen in munterer Laune an ihn geschriebenen Brief vom Tage aller Heiligen datirt hatte. Er wurde krank zu meinem Onkel nach Mittweide gebracht, wo er nach einer kurzen scheinbaren Besserung immer tiefer in Melancholie versank, unter Anderem mit dem Gedanken, ich sei wegen politischer Aeußerungen in die Hände der Wiener Polizei gefallen, sich ängstigte und im Mai 1799 an Auszehrung starb. Im letzten Jahre seines Universitätslebens hatte er sich mit[116] einer Uebersetzung des Persius beschäftigt, und noch in der Krankheit hatte er seinen Schmerz darüber geäußert, daß er sie nicht werde vollenden und herausgeben können. Nach seinem Tode wünschten die Angehörigen das Erscheinen derselben, und da mein Onkel bei seiner im Jahre 1801 erfolgten Berufung zur Superintendur in Torgau gehindert war, die Herausgabe zu besorgen, so wurde sie mir übertragen6. Ich erinnere mich, die Anmerkungen größtentheils und ein Stück der Uebersetzung geliefert zu haben; Naheres weiß ich darüber nicht anzugeben und so ist mir auch das Schicksal des Buches ganz unbekannt geblieben.

Außerdem beschäftigten mich allerhand literarische Pläne. Für die oben erwähnte »Darstellung der Stufenleiter des Lebens« fand ich an Härtel einen Verleger; aber ich selbst fand das Unternehmen zu gewagt und stand davon ab. Dagegen brachte mich die Meinung, daß man durch Redaction einer periodischen Schrift sich sowohl einen größeren Ruf, als auch eine reichere Einnahme verschaffen könne, auf den Gedanken, eine Zeitschrift von derselben Tendenz mit Hülfe von Mitarbeitern unter dem Titel: Journal für rationelle Heilkunst herauszugeben. In der nicht übel geschriebenen Ankündigung, die noch vor mir liegt, erkläre ich die große Zahl wissenschaftlicher Zeitschriften unseres Jahrhunderts für die Folge des freien, durch keine Autorität der Vorwelt mehr gebundenen Forschungsgeistes und des Bedürfnisses eines lebhafteren Umtausches der Gedanken und einer schnelleren Mittheilung der Erfahrungen, als der Eigenthümlichkeiten unseres Zeitalters. Daraus aber, daß die bisherigen medicinischen Journale vorzüglich nur entweder rein empirisch oder rein theoretisch sind, beweise ich die Nothwendigkeit des beide Standpuncte vereinenden Journals für rationelle Heilkunst u.s.w. In der Angabe des Inhalts[117] führe ich unter Anderem an »Aufsätze über einzelne Heilstoffe, deren Wirkungen zuerst auf andere leblose Körper, also in chemischer und mechanischer Hinsicht, sodann auf den todten menschlichen Körper, ferner auf den Menschen im gesunden Zustande und endlich in den verschiedenen Krankheitszuständen, sowohl in welchen sie vortheilhaft, als in welchen sie nachtheilig sind, dargestellt werden.«

In ähnlicher Weise sollte nach einem Plane, den ich unter meinen Papieren finde, eine andere Zeitschrift als Centralpunct für die weitere Ausbildung der Heilmittellehre vorschreiten, namentlich die eigenthümlichen Wirkungen und den specifischen Charakter der einzelnen Heilmittel aufhellen und für jedes derselben, anstatt allgemeiner, vager Andeutungen, genau bestimmte und sichere Indicationen gewinnen.

Einmal wollte ich auch die Redaction der Leipziger Literaturzeitung an Höpfners Stelle übernehmen und entwarf einen Plan dazu.

Möge man mich wegen der verschiedenen, unausgeführt gebliebenen Projecte nicht zu streng beurtheilen! Ich suchte eine fortdauernde literarische Thätigkeit, die mit dem nöthigen Erwerbe verbunden wäre; aber, gezwungen für den nächsten Tag zu sorgen, hatte ich nicht Zeit, weitläufige Vorbereitungen zu treffen. Hätte ich einen Sosius gefunden, der auf meine Pläne eingegangen wäre und im Vertrauen auf den zu erwartenden Erfolg mich sorgenfrei gestellt hätte, so würde ich sie nach Kräften sicher ausgeführt haben. Daß ich mir die Ausführung so leicht dachte, beweist freilich wiederum meinen leichten Sinn; aber dieser ist es auch allein, wodurch ich in einer mißlichen Lage mich aufrecht erhielt; und wenn ich mit Projectmachen einige Zeit verlor, so fand ich dabei ein Vergnügen, welches belebend auf mich wirkte.

Bei einem Plane nahm die Ausführung wenigstens einen Anfang. Es war ein periodisches Werk, welches ich unter dem Titel einer Realbibliothek der Heilkunst in Verbindung mit Dr. Leune herausgeben wollte. Es sollte jeden Gewinn der Heilkunst im neunzehnten Jahrhunderte an neuen Ansichten sowohl,[118] als an Thatsachen, in der Kürze, jedoch so vollständig und deutlich darstellen, daß der Leser, auch ohne die Originalwerke zu Rathe zu ziehen, darüber vollkommen belehrt würde. Die erste Abtheilung sollte die Schriften, welche der Heilkunst und ihrer Theorie ausschließlich gewidmet sind, mit literarischer Genauigkeit vorzeichnen und ihrem Inhalte nach darstellen. In der zweiten Abtheilung sollten aus den neuesten Schriften anderer Fächer solche Stellen ausgehoben werden, welche auf die Heilkunst Bezug haben. »Die Realbibliothek«, sage ich in der Vorrede, »soll ein treues und vollständiges Bild der neuesten Fortschritte der Heilkunst liefern; sie soll nur das Nützlichste aufsuchen und darstellen, ohne die literarischen Schwächen der Individuen zu rügen, ohne die Lücken in den Einsichten oder Kenntnissen mancher Schriftsteller zu erwähnen, ohne die Schlacken gereizter schriftstellerischer Eitelkeit zu berühren. In ihrem ernsten und ruhigen Gange soll sie selbst den Mangel an Ordnung und Zusammenhang in der Darstellung, die Verstöße gegen die Gesetze der Sprache und die Fehler der Uebersetzer stillschweigend verbessern«. So erschien denn zu Ostern 1803 der erste Band7, der von mir ausgearbeitet und von Leune revidirt sowie mit einigen Anmerkungen versehen war. Ich glaube, wenn das Werk nur einige Zeit lang hätte fortgesetzt werden können, so würde sein Bestand gesichert gewesen sein. Leider trat aber eben jetzt eine Verwirrung in den Vermögensumständen des Verlegers ein, die ihn hinderten, den zweiten Band drucken zu lassen und somit hatte das ganze Unternehmen sein Ende erreicht.

Außerdem wurde ich Mitarbeiter an der Salzburger medicinisch-chirurgischen Zeitung (1801), sowie an der Leipziger[119] (1804), Hallischen (1804) und Jenaischen Literaturzeitung (1805), für die Leipziger habe ich die meisten Beiträge geliefert.

Fußnoten

1 Ueber den schwarzen Staar und die neu entdeckte Heilart desselben mittels des Wasserstoffgases, von Le Febure. A.d. Franz. Leipzig bei Wolff. 1801. 184 S. 8. Mit 3 Kupfern.


2 Theoretisch-praktische Abhandlung über die Augenentzündung, von Le Febure. A.d. Franz. Frankfurt a.M. bei Eßlinger. 1802. 8.


3 Allgemein faßliche Anleitung, Garn, kurze baumwollene Waaren nach den neuesten chemischen Grundsätzen zu bleichen. Leipzig, bei Hinrichs. 1804. gr. 4. – Die Branntweinbrennerei nach den neuesten chemischen Grundsätzen vervollkommnet. Zum Gebrauche für Branntweinbrenner und Destillateurs. Leipzig, 1804. gr. 4.


4 Handbuch der Zahnarzneikunst oder vollständiger theoretischer und praktischer Unterricht über die an den Zähnen vorkommenden chirurgischen Operationen u.s.w., von Laforgue. Mit Zusätzen, Anmerkungen und 2 Kupfertafeln vermehrt von Angermann, sächsischem Hofchirurgus und Zahnarzt. Leipzig, bei Hinrichs. 1803. II Theile. 8.


5 Handbuch der praktischen Arzneimittellehre in al phabetischer Ordnung für angehende Aerzte und Wundärzte auf dem Lande und in kleinen Städten, von F.L. Segnitz. II. Theils 2r Bd., herausgeg. von Dr. K.F. Burdach, praktischem Arzte und Privatdocenten zu Leipzig. Leipzig bei Hinrichs. 1801. XIV u. 383 S. 8.


6 Die Satyren des A. Persius in einer metrischen Uebersetzung und mit erläuternden Anmerkungen von Phil. Wilh. Schindler. Nach dessen Tode herausgegeben von K.F. Burdach. Leipzig, bei Sommer 1803. 8.


7 Realbibliothek der Heilkunst, oder Darstellung der Fortschritte der praktischen Arzneikunst und Wundarzneikunst im neunzehnten Jahrhunderte. Herausgegeben von Dr. J.K.F. Leune und Dr. K.F. Burdach, praktischem Arzte und akademischem Lehrer zu Leipzig. I. Jahrg. 1r Bd. Mit 1 Porträt (von P. Frank) und 1 Kupfertafel. Leipzig, bei Jacobäer. 1803. XIV u. 496 S. 8.


Quelle:
Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie. Leipzig 1848, S. 120.
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