[60] Was meine wissenschaftlichen Arbeiten betraf, so wurde in diesem Sommer der Abschnitt über das Nervenleben in meinem »System der Physiologie« ziemlich vollständig[60] abgeschlossen. Ich las Otto, der mich von Breslau besuchte, ein gut Teil davon vor, sendete auch sechs Aphorismen über Nervenleben zur diesjährigen Versammlung der Naturforscher und Ärzte in Pyrmont, da ich nicht selbst hinging, und hatte doch damals schon auf eine im allgemeinen selten richtig erfaßte Bedeutung jenes großen Phänomens aufmerksam gemacht, welches in den von Marshall Hall zuerst angestellten Versuchen sich hervortut. Indem nämlich hierbei die obern oder hintern Wurzeln der Rückenmarksnerven allerdings als die sensitiven, die untern oder vordern dagegen als die motorischen (d.i. die Bewegung leitenden) sich darstellen, so wird dadurch in den erstem eine zentripetale, in den letztern eine zentrifugale Regung der Nervenfasern sehr entschieden dagetan, und das ideele Gleichnis von Venen- und Arterienströmung des Blutes ist daran somit in Wahrheit so vollkommen dokumentiert, daß daraus manche Folgerungen sich ergaben, von denen man zwar gegenwärtig gerade ihrer Einfachheit wegen fast überall sich abwendet, welche aber nach und nach ihr unleugbares Gewicht sicher behaupten werden, ja behaupten müssen. Erinnere ich mich hierbei überhaupt der vielen Widersprüche und Anfeindungen, welche gerade die einfachsten und von einer gesunden Philosophie geleiteten Ansichten über Gegenstände der Lebenslehre unter uns zu erfahren pflegen (wie heftig wurde früher selbst Harvey über seine entdeckte Blutströmung angegriffen), so muß ich freilich darin oft mehr die Äußerung der fieberhaften Unruhe einer Zeit anerkennen, welche eben nicht befriedigt sein will, als daß ich es bloß der Unfähigkeit zuschreiben sollte, jene Einsicht selbst zu erreichen.
In künstlerischer Beziehung haben in diesem Herbste zwei Dinge mächtig auf mich gewirkt, und zwar sehr verschieden! Das erste war das Werk von Passavant über[61] Raffael, das andere waren die Abgüsse des Elginschen Marmors, welche durch die geschickten Unterhandlungen unsers Ministers von Lindenau in diesem Sommer für Dresden erlangt wurden.
Dem Passavant verdankte ich namentlich die Einführung zum tiefern Verständnis der Entwicklungsgeschichte jenes großen Künstlers von Urbino. Mit umsichtigem Geist findet man hier alles gesammelt, was über seine Jugend und jene Hofhaltung ein helleres Licht verbreiten kann. Man erfährt da, wie reich doch eigentlich, mitten in einer im ganzen barbarischen Zeit, das Leben dort sich gestaltete, wie fein die Unterhaltung geführt wurde und wie lebensfrisch und gesund die Geistesblüte in diesem Kreise sich erschloß. Vieles, was mir an Raffael sonst fast als ein Wunder erschien, ist mir seitdem klargeworden, und zu manchem, was uns in neuerer Zeit die Glanzperiode von Weimar gezeigt hat, wird nun in der Schilderung des Fürstenhofes von Urbino und ähnlicher ein würdiges Vorbild gegeben. Dabei enthält das Buch die bis dahin vollständigste Aufzählung Raffaelischer Werke, gibt interessante artistische Beilagen und überblickt treu und klar die große und vielseitige Tätigkeit eines Lebens, das an sich so kurz war und doch auf so ungeheuere Zeiten hinaus seine Wirksamkeit ausdehnte; kurz, ich hatte mich für einige Zeit völlig in das Studium desselben vertieft.
Nach einer ganz andern Seite dagegen weiteten die Elginschen Abgüsse meinen Geist aus! Es war eigentlich, als träte nun zum erstenmal die Antike mit ihrer großen und ganzen Macht dicht an mich heran. Und gewiß, es ist ein ungeheuerer Schritt, wenn man bisher die Kenntnis antiker Plastik fast allein dem Laokoon, dem Apollo von Belvedere und der Venus der Mediceer entnommen hatte und nun auf einmal an die Werke des Phidias unmittelbar herankommt! Ich werde nie den Eindruck vergessen, den[62] es mir machte, als ich zum erstenmal in jenen Pavillon des Zwingers eintrat, wo man damals diese großen Werke vorläufig und allein aufgestellt sah! Ich fühlte, daß für Verständnis der Plastik jetzt ein neuer Sinn mir aufging! Und nicht bloß, daß diese Art, die menschliche Gestalt an sich zu behandeln, so groß und bedeutend war, auch wie die Gewandung dem Stein aufgeprägt ist, erschien mir durchaus neu. Man weiß, daß jene großen Frauengestalten des Giebelfeldes in weiches vielgefaltetes Zeug gekleidet dargestellt sind, und es war mir merkwürdig, welche Bewegung der Künstler ohne alle minutiöse Ausführung auch darin erreicht hatte. Sah man eine Zeitlang weg und dann wieder fest darauf hin, so war es immer, als habe indes ein Luftzug oder ein Rücken der Gestalt den Faltenwurf geändert, obwohl Beleuchtung und alles dasselbe geblieben war.
Ja! Phidias und Raffael haben manches in ihrer Lebensstellung Verwandtes gehabt, obwohl der letztere schneller und glücklicher endete, aber am meisten gleichen sie sich doch beide darin, daß jeder für seinen Teil und in seiner Kunst für alle künftige Zeiten die leuchtendste Epoche bezeichnet.
Bei all diesen Studien, bei so manchen interessanten Berührungen und bei viel liebevoller Teilnahme, die mir im einzelnen zuteil wurde, fühlte ich indes doch oftmals sehr ein Isoliertsein meiner Stellung und einen Mangel an Austausch von Gedanken mit Gleichgesinnten und Gleiches Anstrebenden, so daß ich dann nicht selten wieder diejenigen beneidete und pries, die, an Universitäten tätig, soviel mehr die Wirkung von dem erfahren, was der Perser meint, wenn er sagt: »Ein Messer wetzt das andere und ein Mann den andern.« – Schrieb daher auch damals davon: »So wird der Mensch, je tüchtiger er an sich arbeitet und sich auferbaut, auch allmählich immer mehr[63] isoliert und auf sich selbst verwiesen, so daß es denn allerdings um so nötiger erscheint, beizeiten schon die Zitadelle seines Daseins so zu verproviantieren und so zu zieren, daß, wenn wir uns zuletzt wirklich ganz einsam dahin zurückziehen, wir mit Wohlgefallen darin verweilen mögen, auch dabei doch eine freie Umsicht ins weite Land uns offen erhalten.«
Seltsam war es nun, daß, bald nachdem ich jene aus dem Bedürfnis nach geistiger Mitwirkung hervorgegangenen Zeilen geschrieben hatte, mir durch das, was der Mensch einen Zufall nennt, eine Individualität näher gebracht wurde, welche späterhin so vielfältig an meinen Bestrebungen teilgenommen hat und in Wahrheit mehr als irgendeine das Heranwachsen besonders meiner psychologischen, ästhetischen und selbst der philosophischen Arbeiten durch Wechselrede, Verständnis und innige Teilnahme und Anerkennung gefördert hat. Es war eine Frau, welcher ich früher bei Tieck und in der obengedachten Löwensternschen Familie oft begegnet war und deren tief und umfassend gebildeten Geist jener Freund mir ebenso sehr gerühmt hatte, wie von anderer Seite ihre schmerzlichen Verluste mehrerer Kinder und ihre langen eigenen körperlichen Leiden mir vielfach erzählt worden waren.
Es war aber eben der 18. Oktober, und in manchen betrachtenden Erinnerungen des gewichtigen Tages verloren, wartete ich im Vorzimmer des Schlosses auf das Eintreten des Königs, als in gleicher Absicht der Gemahl jener Dame, der Intendant des königlichen Theaters, Geheimrat von Lüttichau, eintrat und sogleich mich dringend bat, baldmöglichst nach seinem Hause zu kommen und der Gesundheitspflege seiner schwerkranken Frau mich anzunehmen, welche vor kurzem erst ihren langjährigen Arzt, meinen dritten alten Kollegen Hedenus,[64] durch den Tod verloren hatte. Natürlich entsprach ich diesem Wunsche sogleich und um so mehr, da mir schon lange das ganze Sein dieser ausgezeichneten Persönlichkeit das höchste Interesse eingeflößt hatte. Ich fand allerdings eine sehr schwer Kranke, einen jener verwickelten Fälle, wo es nur nach und nach dem Arzte durch sorgfältigste Benutzung aller und jeder Berichte und Symptome gelingen kann, das richtige Bild der Wesentlichkeit des Zustandes sich zu entwerfen, und wo er gewöhnlich nur durch einen auf Jahre berechneten großem Kurplan dahin gelangen wird, die Gesundheit zurückzugeben. Ich darf sagen, daß denn auch allmählich alles erreicht wurde, was möglicherweise in einer sehr unterminierten Konstitution gelingen kann, um ein besseres Befinden herbeizuführen, und wenn ich dabei und dafür die dankbarsten Gesinnungen der ganzen Familie nicht genug rühmen durfte, so wurde mir zugleich dadurch das Glück, in eine der edelsten weiblichen Seelen und einen mit den Blüten ältester sowohl als neuester Literatur reichgenährten Geist tiefer zu blicken. Hatte daher früher Tieck, dem sie schon so manches Jahr eine treu teilnehmende Freundin gewesen war, mir oft versichert: »Wenn irgendeine, so sei diese Frau eigentlich berufen und berechtigt gewesen, als Schriftstellerin aufzutreten und als solche nachhaltig zu wirken, nur daß die feine Fühlung ihres Wesens ihr selbst überall dergleichen untersagt habe«, so ist es dann mir selbst, nachdem sie unter meiner Pflege allmählich soweit als möglich hergestellt und dabei auch den Meinigen überall eine liebevolle Freundin geworden war, immer vollkommener aufgegangen, welch feines Urteil und welch durchaus tief und schön entwickeltes Gemüt hier gegeben sei; und könnte ich deshalb alle den Einfluß schildern, den ihre Entgegnungen und Zustimmungen, wenn ich ihr späterhin manche meiner Arbeiten im Manuskript vorlas, auf diese letztern gehabt[65] haben, so hätte ich darüber jedenfalls die längsten Kommentare zu schreiben.
In Wahrheit war übrigens, daß mir gerade jetzt in einer so tief geistigen Persönlichkeit ein neues belebendes Element aufgehen sollte, um so mehr für mich als ein Glücksfall zu achten, als ich damals von sich zudrängenden Aufgaben des Arztes wie von wissenschaftlichen Arbeiten im höchsten Grade in Anspruch genommen wurde und dabei auf andern Seiten und namentlich in dem mich sonst oft so erfreuenden Dresdener Kunstleben allmählich vieles sich dergestalt geändert hatte, daß es die Erheiterung und Erfrischung wie früher mir nicht mehr zu bieten vermochte. Die alten, mir zum Teil nahe befreundeten Elemente waren fast gänzlich geschwunden, die neuen aber mir doch großenteils noch ziemlich fremd, und so schrieb ich darüber im Dezember 1839 an Regis:
»Was Friedrich betrifft, so lebt er zwar jetzt leidlich genug, jedoch vom Schlage gelähmt und ohne zu arbeiten oder geistigen Umgang zu gewähren. Seine Tochter ist an einen braven Elbfischer verheiratet – Freunde haben eine Unterstützung für ihn selbst zusammengebracht, deren er wohl bedurfte. Es ist aber seltsam, wie doch jene ganze Kunstperiode, in welcher Friedrich, Matthäi, Vogel, Rößler, Klengel und Hartmann tätig waren, jetzt schon so ganz untergegangen oder durch die neu aufgehenden hier sich fixierenden Zweige [der] Düsseldorfer Schule weit zurückgedrängt ist! – Da meine Kunstbestrebungen selbst noch mehr in dieser frühern Zeit wurzelten und immer mit denen Friedrichs so nahe verwandt waren, so macht dies mir oft einen eigen wehmütigen Eindruck. Es ist wohl schon ein paar Monate, daß ich keinen Pinsel angerührt habe. Ich fühle mich in meinem Innern noch so jugendlich, und doch merkt man an dem Vorübergehen solcher Perioden so sehr, wie das Alter herankommt.«[66]
So kam nun das Jahr 1840 herauf und brachte ebenfalls gleich an seinem Beginn allerhand musikalische Schätze mit. Denn nicht nur, daß der Morgen des 3. Januar durch Gesang verschönt wurde, welchem die sonore Altstimme von Tiecks zweiter Tochter diesmal einen besondern Reiz verlieh, sondern der Abend dieses Tages führte mir zum erstenmal Sebastian Bachs großes Konzert d-Moll (für drei Flügel mit Quartett von Streichinstrumenten) heran, eins der wunderbarsten Werke, das dieser Wunderbare geschrieben hat. Graf Wolf Baudissin, meine liebe Mariane und unser guter Krägen waren es, die die Flügel beherrschten, während Mitglieder der königlichen Kapelle das Quartett ausführten. Viele Freunde zwar hörten das große Werk mit an, doch hätte ich es gern noch weit mehrern gegönnt, denn merkwürdigerweise sind es gerade all dergleichen tüchtige ältere Sachen, welche in ihren schwarzen, symbolischen Zeichen fast fortwährend tief vergraben liegen und selten nur hier und da einmal zur Auferstehung geweckt werden.
So war ich nun mit klassischer Musik hinreichend genährt; bald darauf kam aber auch Liszt nach Dresden und spielte mehrmals öffentlich, so daß denn zugleich das Allermodernste der Musik gehört werden konnte. Ich schrieb damals über ihn: »Dieser Liszt ist nun wohl der Sterbliche, der es im Pianismus (wie man das jetzt zu nennen beliebt) am weitesten gebracht hat, ja denselben eigentlich zum Fortismus (damit das Neue durch ein neuestes Wort bezeichnet werde) treibt. Sie werden wohl von ihm gelesen haben! Er ist keiner von den größten Tondichtern, aber in seiner Seele kocht ein Vulkan von Tönen, welche sich denn wohl oft in wundersamsten Strömen ergießen.« Das Konzert, worin ich ihn hörte, gab er eigentlich ganz allein mit der Devrient! Kein Orchester, nichts weiter! Und nahm doch den Abend bei dem brillantesten[67] Auditorium über 1000 Taler ein. Sein Kopf wurde damals in Gips abgeformt und fehlte natürlich späterhin nicht in meiner kranioskopischen Sammlung, wo er freilich nicht zum Beleg jenes sogenannten Organs für Musik im Gallschen Sinne gebraucht wird, immer aber doch den Bau des irdischen Gehäuses für einen intelligenten, willenskräftigen und mit entschiedenem Vorwalten des Hörsinnes begabten Geist darstellt.
Diese musikalischen Genüsse gaben mir übrigens auch nach anderer Seite zu denken, indem ich gerade in jenen Tagen für den Schluß meines »Systems der Physiologie« mich viel mit der Lehre von den Sinnesorganen beschäftigt und namentlich die großen weitgreifenden Sinne des Gesichts und Gehörs bearbeitet hatte, wobei denn natürlich zugleich die akustischen Lehren und die Theorie der Musik nicht fehlen durften. Blicke ich jetzt nach so langen Jahren auf diese Arbeiten zurück, so muß ich allerdings sagen, daß die Aufschlüsse, die mir damals über die Lehre vom Sehen kamen, noch bedeutender und mehr neu waren als die über das Gehör. Die Ansicht, »daß das Sehen ein zwar höchst flüchtiger, aber doch wahrhaft daguerreotypischer oder photographischer Vorgang der Netzhaut sei, welcher, indem sich das Licht in die Substanz derselben stets für den Moment einlebt, ebendadurch die Empfindung des Sehens hervorbringe«, hatte entschieden noch niemand vor mir ausgesprochen, und so vielfältig sich dieselbe auch seitdem mir bestätigt hat und so gewiß sogar nur sie ausreicht, alle Erscheinungen unsers Auges vollkommen zu erklären, so finde ich doch immer noch, daß sie verhältnismäßig nur erst von wenigen begriffen und von noch wenigern ihrer ganzen Bedeutung nach erfaßt worden ist. Durchdringen muß man sie aber doch dereinst, denn am Ende gibt es eben keine andere echte![68]
Im Mai gelangte ich endlich dahin, den dritten und letzten Band meiner »Physiologie« zu beschließen. Über die philosophischen Grundgedanken des Ganzen, welche in dem Schlußkapitel, dem Abriß einer Seelenlehre, notwendig wieder schärfer zum Durchbruch kommen mußten, hatte ich damals noch mit Professor Chalybäus mannigfachen Verkehr. Auch Tieck und seinem Freunde von Raumer aus Berlin, welcher letztere regelmäßig einige Zeit bei ihm in Dresden verbrachte, las ich jenes ganze Schlußkapitel vor und erfreute mich größtenteils ihrer Zustimmung, obwohl der letztere namentlich alles, was feinere und eigentlich höchste Geistesanschauungen betraf, in seiner derben Berliner Weise mitunter seltsam genug auffaßte, so daß ich einmal ebenfalls in Pantagruelscher Weise dem Rabelais-Übersetzer darüber schrieb: »Himmel, wie knollig nimmt doch dieser Raumer das schon im ersten Bande der ›Physiologie‹ dargelegte Zustandekommen der Welterscheinung aus Idee und Äther! Ich habe ihm erwidert, ›daß in so schwierigen Dingen alles darauf ankomme, im Geiste des Lesers einen guten Willen und ein eigenes Entgegenkommen zu finden‹; denn freilich, wenn sich jemand die Idee als Darm und den Äther als hineingestopftes Fleisch vorstellt, um so zu dem Begriffe der Welt im Sinne eines Aristophanischen Wursthändlers1 zu gelangen, so kann er sich immerhin in seinem eigenen Riemen aufhängen lassen.«
Einen Freund, aber allerdings einen bereits längere Zeit mir halb Toten, nahm dieser Mai nun auch hinweg: meinen alten Friedrich! Er hatte so viel Kirchhöfe gemalt – er muß sich ganz heimisch dort vorgekommen sein! – Seine Bilder werden doch in später Zeit noch mannigfaltige Anerkennung finden!
Ich habe es nun unterlassen, in der Schilderung der nächst[69] vorausgegangenen Jahre wieder einmal meiner praktischen Tätigkeit als Arzt ausführlicher zu gedenken, und nur weil es vielleicht beim Hervorheben so vieler andern Vorkommnisse und wissenschaftlichen oder künstlerischen Lebensaufgaben scheinen möchte, es wäre jene Seite dabei nach und nach mehr zurückgetreten, muß ich doch hier noch ausdrücklich bemerken, daß im Gegenteil gerade diese und die nächstfolgenden Jahre meine umfassendste und vielfältigste ärztliche Wirksamkeit enthalten haben. Dresden war damals namentlich für die von Osten her aus Polen und Rußland kommenden Fremden nicht bloß, was es jetzt fast allein noch ist, ein Durchgangspunkt, sondern ein Ort halber Niederlassung und mindestens längern Verweilens. – Oft habe ich denn auch wohl angesetzt, aus den vielen merkwürdigen Fällen, welche im Flusse jener Zeiten vorübergegangen sind und von mir beraten wurden, die wichtigsten auszuheben und so sie der Wissenschaft zu bewahren, und doch ist es immer wieder liegengeblieben; vielleicht namentlich aus einem gewissen Überdruß an den gewöhnlichen, im medizinischen Zeitungswesen überall langweilig und breit gehäuften Krankengeschichten, zum Teil aber, weil ich mich auch abgestoßen fühlte durch das nicht zu leugnende Abwenden der Neuzeit von jenem Erfassen der Krankheit in ihrer lebenvollen Totalität, worauf es mir immer besonders ankam, sowie von dem Begreifen eines Heilplanes als größer durchdachtes und reiner im ganzen angeschautes Kunstwerk. Hat doch dasselbe realistische und roh materielle Treiben, welches in Physiologie und Psychologie Erscheinungen hervorbrachte, welche man in späterer Zeit vielleicht nur schwer mit der hochgerühmten Einsicht der jetzigen Periode in Einklang zu bringen imstande sein wird, auch offenbar in so vieler Hinsicht störend und zurücksetzend auf das gewirkt, was ich die eigentliche Kunst[70] nenne und was noch sehr von dem Wissen zu unterscheiden ist; da jemand allerdings den ganzen gelehrten Apparat des Arztes besitzen und dabei doch im hohen Grade unfähig sein kann, das wahre Kunstwerk eines zuweilen auf Jahre zu berechnenden Heilplanes mit fester Hand zu entwerfen. Gewiß nämlich habe ich stets am wenigsten verkannt, was wir den neuern Forschungen in pathologischer Anatomie, in mikroskopischer und mikrochemischer Kenntnis kranker Gewebe und parasitischer Gebilde und dergleichen zu danken haben, aber wie in der Physiologie aus den obgenannten Richtungen oftmals die Vernachlässigung aller reinen philosophischen Anschauung, so ging hier aus gleicher Ursache nicht selten das Hintansetzen der eigentlichen Würde der ärztlichen Kunst hervor. Wie möchten auch, wenn das Gefühl für eben diese Würde und Bedeutung nicht so sehr gesunken wäre, schon so rohe innere Zerwürfnisse erklärlich sein, wie sie seitdem die Medizin in Homöopathie, Allopathie, Hydrotherapie, Heilgymnastik, Siderismus und Mesmerismus auseinandergetrieben und schon dadurch dem Publikum die Achtung vor wahrer ärztlicher Kunst sehr gemindert haben! Ist es daher hier und da zuweilen noch einzelnen und so mitunter auch mir gelungen, jenem Bilde des echten Arztes in seiner fast priesterlichen und, insoweit es ein schöpferisches Gestalten des Kunstwerks eines tiefer greifenden Heilplanes einschließt, auch poetischen Bedeutung nahezukommen, so bleibt immer eine gewisse Scheu doch sehr natürlich, der großen, nicht dazu herangebildeten Menge gegenüber davon so geradezu öffentlich zu handeln und da Überzeugungen anzustreben, wo die Vorbereitung und das Verständnis dafür augenblicklich noch so sehr und fast überall fehlt.
Ich hoffe, daß wer mit mir und in diesem Sinne diese Angelegenheit betrachten will, der wird nun auch die[71] Gründe jenes langen Schweigens sattsam begreifen und mich nicht darum geringerer Liebe für mein Fach zeihen, weil ich vor der Welt weniger davon gesprochen habe, sondern es verstehen, daß gerade darin vielmehr diese Liebe sich eigentümlich und nachdrücklich beweist. Daß ich indes jene innere Nötigung, die besten Ergebnisse eines langen ärztlichen Lebens und Handelns einmal doch zusammenzufassen und der Öffentlichkeit zu übergeben, nicht ganz und unbedingt abweisen konnte, habe ich bewiesen durch meine im Jahre 1859 herausgegebenen »Erfahrungsresultate«, welche allerdings nur sehr Einzelnes aus dem Schatze einer langen und reichen Erfahrung mitteilen, aber an sich auch mehr bestimmt sein sollten, den Geist meines ärztlichen Handelns fühlbar zu machen und es daran verstehen zu lassen, warum so viele und hohe Familien mit so viel Vertrauen an mir festhielten, dergestalt, daß ich wohl hoffen darf, mein Andenken werde vielfach in Segen bleiben.
Unser Pillnitzer Aufenthalt im Spätsommer dieses Jahres bekam diesmal einen besonders melodischen Charakter dadurch, daß ein paar bedeutende musikalische Elemente dort gleichfalls der Landluft sich erfreuten: es waren die Devrient und die Familie des trefflichen Violinspielers, Konzertmeisters Schubert von der königlichen Kapelle. Da gelang es denn auch, daß letzterer ein paarmal mit Mariane Mozartsche Sonaten für Piano und Violine uns vortrug, und ebenso hörten wir in unserm kleinen Hause wohl die große Stimme der erstern, wie sie Lieder von Franz Schubert wunderbar belebte und uns in die verschiedensten Stimmungen hineinsang. Wenn dabei dann das späte Abendrot durch die kleinen offenen Fenster hereinschien, während die Blumen aus dem Gärtchen heraufdufteten und einsame Spaziergänger vor der Terrasse[72] stillstanden, um den seltenen schönen Tönen zu horchen, so war das alles wohl sehr eigentümlich und poetisch und blieb nicht ohne Einfluß, die Gabe des Gesanges in meiner damals so süß aufblühenden Eugenie zu wecken, der wir später manches ähnliche Schöne zu danken haben sollten, bis auch sie ein unerbittliches Schicksal uns abforderte.
Außerdem war sonst diesmal Pillnitz großenteils sehr still, da der König im August einen botanischen Ausflug nach den Karpaten angetreten hatte, eine jener Reisen, die er immer nur in Begleitung eines Adjutanten ausführte und während welcher denn natürlich die Königin entweder auch verreiste oder doch ganz still und zurückgezogen lebte. Es blieb mir daher diesmal viel freie Muße, welche ich großenteils verwendete, wieder ein neues, dem Andenken Goethes gewidmetes Buch in seinen ersten Linien anzulegen, worin denn zugleich die Reihe merkwürdiger und schöner Briefe veröffentlicht werden sollte, welche ich in einer Zeit von fünfzehn Jahren von diesem Außerordentlichen erhalten hatte. Das meiste dazu wurde freilich erst im folgenden Winter fertig, aber es war schon genug, mich wieder für ein frisches Werk lebendig entzündet zu fühlen, denn wohl pflegten mir die Tage immer dann am leichtesten auf dem Lebensstrome hinabzufließen, wenn der Gedanke einer neuen Produktivität mich eben wieder recht ernstlich ergriffen hatte. Dabei gab mir zugleich ein neues Buch von Tieck mancherlei zu denken, da dieser teuere Freund ein schön gebundenes Exemplar von dessen ersten Abzügen mir eben zu dieser Zeit verehrt hatte. Es war die »Vittoria Accorombona«, von welcher wir damals noch nicht ahnen konnten, daß es wirklich sein letztes Werk bleiben sollte! Es ist ein scharf gezeichnetes, aber ein Buch nicht ohne bittern Beigeschmack. Ich las es natürlich mit äußerstem[73] Interesse, fühlte mich von vielen Schilderungen in hohem Grade angezogen, dann aber von andern auch unbedingt abgestoßen. Manchmal erinnerte es mich an Manzoni, ohne jedoch dessen frisch bequeme, poetische Ader zu zeigen; gegen seine Novellen gehalten, vermißte ich die vielen dort überall schlagend hervortretenden Beziehungen auf die Fragen unserer Zeit sowie den reichen Humor des Dichters, und bei alledem überraschten mich dann wieder schöne historische Darstellungen, welche, wie die im »Cevennenkrieg«, aufrichtig beklagen ließen, daß Tieck sich nie an einem eigentlichen Geschichtswerke versucht hat; kurz, es hielt mich fest und hat auch später bei wiederholtem Lesen mir immer eine bedeutende Wirkung gemacht. Leider hatte ich es kaum das erstemal beendigt, als ich erfuhr, daß Friedrich Wilhelm IV., der am 7. Juni jetzt den Thron bestiegen hatte, sofort unsern Dichter, vorläufig zwar nur erst periodisch, durch eine reiche Pension nach Berlin zu ziehen unternahm, worauf, wie man natürlich sogleich erwarten mußte, bald auch die völlige Übersiedlung dorthin folgen sollte. Mit desto größerm Eifer hörten wir daher noch diesen Herbst seine Lektüren! »König Johann«, »Götz von Berlichingen« und die»Iphigenien« des Euripides waren diesmal die hellsten Lichtpunkte darunter! Ach, was hätte ich späterhin für solchen Abend nicht alles gegeben! Und damals nahm man es eben nur so hin, wie der Mensch mit manchem Herrlichen es zu machen pflegt, ohne dabei immer der Seltenheit des Glücks und dessen großer Flüchtigkeit zu gedenken!
Auch unsere neuerworbenen Künstler Bendemann und Hübner hielten sich sehr zu ihm. Der letztere malte damals für das im Bau begriffene neue Schauspielhaus nach einer Zeichnung aus Tiecks Vorspiel zum »Kaiser Octavianus« den großen Theatervorhang, der noch jetzt dort[74] viele erfreut. Was den erstern betraf, so wirkten schon die Anfänge seiner schönen Freskobilder im Thronsaal des königlichen Schlosses sehr mächtig, der Maler selbst aber fing damals bereits an, an den Augen zu leiden, und machte mir, der ich als Arzt ihm zur Seite stand, viele Sorge. Und wie viel hat ihn späterhin noch dies Übel gequält, und um wieviel Schönes und Großes sind wir dadurch gebracht worden! War es mir dabei doch oft, als erführe ich hier wieder eine Bestätigung eines frühern Gedankens, nämlich, als solle nun einmal der Moderne nie ganz die Höhe der Vorzeit erreichen! Zeigt er sich daher nun einmal wirklich in der Kunst tüchtig, so muß ihm im Leben gleich irgend etwas fehlen! Und so scheint es fast nie dahin kommen zu sollen, daß neben dem Trefflichen einzelner Leistungen auch jener Reichtum massenhafter Produktionen uns erfreue, wie wir ihn an den Genien früherer Jahrhunderte zu bewundern gewohnt sind.
Zu erzählen habe ich aber ferner, wie jetzt seit einiger Zeit im Treiben meines Lebens dadurch mir ein neues Interesse erwachsen war, daß mir eben jetzt jene Gedanken über Kranioskopie entschiedener sich zudrängten, wie sie zuerst im dritten Bande der ersten Ausgabe meiner »Physiologie« vorläufig dargelegt sind, ein Interesse, das mich sofort bestimmter auf Menschenbeobachtung richtete und mir oft und vielfaltig zu tun gab. Da wurden also nun Messungen der Köpfe aller Bekannten vorgenommen, eine Sammlung von Gipsformen bedeutender Köpfe sowie von Schädeln verschiedener Nationen wuchs mir unter den Händen hervor, und zu verschiedentlichen literarischen Arbeiten, welche auf diese Dinge sich beziehen sollten, stiegen ebenfalls neue Gedanken in mir auf. Freilich war ich damals noch weit von der Klarheit entfernt, mit welcher ich alles dahin Gehörige vierzehn Jahre später in[75] meiner »Symbolik der menschlichen Gestalt« zusammenfassen durfte, allein gerade über das wunderbare, schwerverständliche Gebäude des knöchernen Hauptes war mir doch (und zwar einmal ganz plötzlich, als ich abends in einer kleinen Gesellschaft mich über die Phrenologie Galls auszusprechen veranlaßt fand) die maßgebende Idee aufgegangen, und diese Idee selbst befruchtete nun weiterhin meinen Geist zu tausendfältigen Anwendungen. Dabei hütete ich mich indes sehr wohl, die Linien meines Systems zu schroff zu ziehen, denn ich hatte an Gall selbst ein lehrreiches Beispiel, wie leicht ein glückliches erstes Aperçu, wenn es zu pedantisch und in zu weiter Ausdehnung verfolgt wird, geradezu zu einer Absurdität zu werden imstande ist. Hatte nicht dieser Mann allerdings schon recht gut geahnt, nach welchen Richtungen hin am Schädel die geistigen Qualitäten sich vorzüglich andeuten müssen, ja lag ihm nicht bei seiner neuen Methode der Hirnzergliederung es schon ganz nahe, teils die drei Urmassen des Hirns selbst sowie die drei darauf sich beziehenden Wirbel zu erkennen, teils zu finden, daß nur eben diese drei Schädelwirbel in ihrer Beziehung auf die drei wesentlichen Hirnmassen auch den Schlüssel zur Physiognomik der gesamten Kopfoberfläche enthalten könnten? Und wie bald hatte er sich doch nachher in die Lächerlichkeit der einzelnen sogenannten Hirnorgane verloren! Ich suchte mich daher durchaus immer mehr im Ganzen, Großen und Allgemeinen zu halten, trug überall möglichste Rechnung der zuletzt doch inkommensurabeln Natur organischer Bildung und geistiger Strahlung und kann doch nun, drei Lustren später, es unumwunden aussprechen, daß jene Grundanschauung über Zusammenhang und Bedeutung von Wirbel- und Hirnbildung mich wirklich hier zu immer tiefern Erkenntnissen geleitet hat.[76]
Indem sonach all dieses mich gar sehr und lange in Anspruch nahm, trat natürlich für eine längere Zeit die künstlerische Beschäftigung fast ganz zurück. Anteil daran mochte es wohl auch haben, daß dergleichen Produktionen damals schon anfingen von allen Seiten so sich um mich zu häufen, daß oft eine Art von Übersättigung eintrat und mir selbst meine Bilder in meinem Hause zu viel wurden; schrieb auch deshalb einmal: »Und so schauen mich von allen Wänden längst verklungene Zustände an, daß ich zuweilen innerlich darüber ergrimmen möchte. – Ob ich einmal ein paar Dutzend in eine Auktion gebe?« Unter solchen Umständen kann einem dann wohl eine gewisse Furcht anwandeln, neuen dergleichen Schöpfungen sich zu überlassen; und doch, es kamen dann immer wieder von Zeit zu Zeit auch Vorstellungen und Gedanken, die mir übermächtig wurden, dergestalt, daß sie so lange mich wie Gespenster verfolgten, bis ich irgendwie es dahin gebracht hatte, sie auf der Leinwand zu fixieren. Wegen der eben angeführten Briefstelle wurde ich übrigens von Regis, an den sie gerichtet gewesen, hart apostrophiert, indem er mir sie wie ein Unrecht gegen eigene Kinder vorwarf. Ich antwortete dagegen: »Es ist wohl recht hübsch, Kinder zu haben, wenn sie sich aber gar nicht in der Welt forthelfen und nie ihren eigenen Weg machen wollten, so würde es immer ein schmerzliches Gefühl bleiben, sie gleichwohl fortwährend um sich zu sehen! Zumal nun bei dieser Art von Bildern, von denen die besten eben nur die stärksten lebendigsten Abdrücke einzelner früherer Zustände sind! Es ist dann fast, als wenn die Schlange alle ihre Natterhemden, die sie seit Jahren abstreifte, fortwährend noch mit sich tragen sollte! Und doch macht es diese Arbeiten gerade dadurch, daß sie wirklich eben nur solche Natterhemden sind, wieder auch psychologisch wichtiger, ja hier und da auch für andere eindringlicher[77] wirkend als manches elegante Handwerksbild.«
Die langen Abende des nun nach und nach einrückenden Spätherbstes führten übrigens wieder einzelnes literarisch Neue unserm Kreise heran; so kamen wir unter anderm auf »Steffens Leben«, wo uns im Eingange zwar die Seebilder wahrhaft anzogen, späterhin aber ein gewisser abstruser Pietismus und ein Mangel schärferer und lebendiger Zeichnung auch ebensosehr zurückstießen. Kräftiger und nachhaltiger fanden wir Arndt, das Interessanteste aber blieb uns der Wiederabdruck der alten Selbstbiographie von Thomas und Felix Platter, der gar prächtige Sächlein enthält. Zuletzt kamen wir jedoch meist wieder auf Tieck zurück, dessen schöne, früher in der »Urania« erschienene Novelle »Waldeinsamkeit« uns namentlich sehr beschäftigte. Das Tagebuch eines Irren darin enthält ganz absonderliche, oft wirklich sehr tiefgehende Reflexionen. Es ist jedoch eigen, daß man bei Tieck immer einen gewissen festen Grund, einen Grund, wo in dem Dichter selbst ein wahres seliges Genügen wohnt, vermissen muß, und seine Lebenserfahrung und Kenntnis geht doch übrigens so weit und tief! Am wenigsten wollte die »Günderode« von Bettina (der übrigens auch wohl das meiste darin selbst angehört) ansprechen; es kam mir vor, wie wenn die Kinder eine artige Torheit, die uns das erstemal amüsierte, nun geradezu bis zum Überdruß und zur Abgeschmacktheit wiederholen; man gibt es denn doch bald auf, mit dergleichen sich weiter zu befassen.
Der Winter trat diesmal mit ganz ungewohnter Kälte ein, indem man am 15. Dezember bereits 20 Zentigrad auf unserer Elbbrücke zählte, so daß ich an Regis schrieb: »Was Ihre Frage wegen fettschmelzender Hitzegrade in Afrika betrifft, so las ich neulich, daß in Nubien, wo die Männer das Haar sehr stark mit Fett einreiben und aufstreifen,[78] man gern geradezu ein Stück Schöpsfett unmittelbar vom Tier auf den Kopf legt und es dann in der Sonne schmelzen läßt, wo es nun über den Kopf rieselt und den Leuten so eine eigene Art Kühlung gegen die Sonnenstrahlen gewährt. Man wärmt sich bei dieser Kälte jetzt ordentlich schon in Gedanken an einer solchen Sonne!« Ich füge indes gleich noch eine andere Stelle desselben Briefes bei, welche zeigt, daß wir damals auch noch andere und freilich von innen kräftiger wirkende Mittel der Erwärmung anwenden konnten als jene Sonnengedanken; sie betrifft eine Lesung der »Andromache« des Euripides, welche Tieck uns gerade am Abend desselben kalten Tages trefflich und zu allgemeiner Erbauung vortrug. Ich schrieb davon: »Diese ›Andromache‹ kannte ich noch gar nicht, und zufällig hatte auch Tieck sie bis dahin noch nie vorgelesen. Es liegt ganz gewiß etwas darin, daß die Griechen keine Pantalons und Westen und Fracks getragen haben und daß sie den Menschen im wesentlichen so, wie er von Gott erschaffen ist, viel vor Augen hatten! Ist es mir doch immer bei diesen großen Werken, als sähe ich so ganz in den Menschen hinein; und weil nun eben in dem menschlichen Organismus so ungeheuer viel gegeben ist, so brauchen nur so einige wenige dieser Gestalten etwas ganz Einfaches vor unsern Augen zu erleben, so sind wir dabei stets mehr beschäftigt und mehr festgehalten, als wenn bei irgendeinem Modernen – wie ein Raupach etwa – ein ganzer Staat zugrunde geht! – Welche Gestalt dieser alte Peleus! Und wie herrlich zuletzt die Erscheinung der Thetis – es gemahnte mich fast an die klassische Walpurgisnacht Goethes!«
1 | Vgl. die Lustspiele des Aristophanes: »Die Ritter«. |
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