[729] Das bedeutendste ältere Denkmal aus der Theologie des Rudra, dieses Vorläufers des Çiva, ist das Çatarudriyam, eigentlich wohl (wie schon Çatap. Br. 9,1,1,2 etymologisiert wird) Çântarudriyam »Lied zur Besänftigung des Rudra«, Vâj. Samh, 16 (Taitt. Samh. 4,5). Obgleich dieses Stück zu dem Upanishadgedanken gar keine Beziehung hat, so war dasselbe doch so berühmt, wird auch so oft in den Atharva-Upanishad's erwähnt (Jâbâla 3. Kaivalya 24. Atharvaçiras 7. Mahâ 4. Nṛisiṅhap. 5,10, p. 106), dass manche Upanishadsammler dasselbe (namentlich im Hinblick auf die Rolle, welche Çiva in den Atharva-Upanishad's spielt) nicht entbehren mochten. Während die Sammlung der 108 Upanishad's, wie sie im Telugudruck vorliegt, soweit wir sehen, dieses Lied auslässt, so wird es in der Sammlung des Daraschakoh als Schat Roudri (bei Anquetil II, p. 171-196) ganz aufgenommen, wohingegen die von uns zugrunde gelegte Sammlung nur einen Auszug desselben (mit einigen andern Zutaten) unter dem Namen Nîlarudra-Upanishad (die Geheimlehre vom schwarzen Rudra) enthält.
Die ursprüngliche Bedeutung des Rudra ist streitig. Aber wenn wir die in seinem Bilde überwiegenden Züge ins Auge fassen, dazu erwägen, dass er der am meisten gefürchtete Gott ist, und dass kein Naturereignis dem Menschen ursprünglich so unmittelbar furchterregend ist wie der Blitzschlag, so wird es sehr wahrscheinlich, dass Rudra (eigentlich wohl »der glänzende«) ursprünglich nichts anderes war als eine Personifikation des niederfahrenden und einschlagenden Blitzes. Er trägt den Blitz im Arm (vajrabâhu), liebt Wälder, Berghöhen und Baumgipfel (parame vṛikshe âyudham nidhâya Vâj. Samh. 16,51), heisst männertötend, tiertötend, und sein Rücken ist rot, während sein Bauch (die Spuren, welche er hinterlässt, wo er sich niederlegte) schwarz ist, Atharvav. 15,1,7. Auch der weitere Hauptzug, dass er heilende Arzeneien bringt, begreift sich leicht hieraus, wenn man erwägt, dass das Gewitter die Atmosphäre reinigt und die Miasmen vertreibt.
Sehr deutlich ist, wie die Übersetzung zeigt, dieser Charakter in unserer Upanishad erhalten, welche v. 4-17 ein Cento aus vielfach entstellten Versen des Çatarudriyam ist, woran sich v. 18-20 einige Verse aus Vâj. Samh. 13 schliessen. Die aus der Luft herabschiessenden Schlangen könnten gleichfalls[730] die Blitze sein. – Sehr dunkel ist der dritte Teil v. 21-26, dessen erster Vers vielleicht nur zufällig, durch Erwähnung des Nîlagrîva hierher geraten ist, während die folgenden von einem Rechtsstreite zu reden scheinen zwischen braunen, braunohrigen Urbewohnern und den Ârya's, welchen Çiva beisteht. Verwandt ist Atharvav. 2,27,6, und da auch hier von einem Kraute die Rede ist, so lässt sich vielleicht auch der Vers 21 in diesen Zusammenhang ziehen, wenn erst ein lesbarerer Text vorliegen wird als der (in beiden Ausgaben) überaus verwahrloste, welcher uns zu Gebote stand.