Aussig-Teplitzer Eisenbahn

[326] Aussig-Teplitzer Eisenbahn, 331∙4 km, in Böhmen, normalspurig, umfaßt einerseits die Linien des alten Netzes, bestehend aus der 65∙0 km langen Linie Aussig-Türmitz-Teplitz-Dux-Brüx-Komotau, der 26∙1 km langen Bielatalbahn Türmitz-Auperschin-Bilin und den nur dem öffentlichen Güterverkehre dienenden Zweigbahnen Dux-Schwaz (4∙9 km) und Aussig-Elbe (5∙1 km), anderseits die 142∙8 km lange Lokalbahn Teplitz- (Settenz-) Reichenberg mit den Verbindungsbahnen Czalositz (Aussig-Teplitzer Eisenbahn)-Czernosek (Österr. Nordwestbahn) (0∙8 km), Auscha (Aussig-Teplitzer Eisenbahn) – Auscha (Großpriesen-Wernstadt-Auscha) (0∙4 km) und den Zweigbahnen zur Station Niemes der ehemaligen Lokalbahn Böhmisch-Leipa-Niemes (3∙0 km) und zum Lokalgüterbahnhofe in Reichenberg (2∙0 km). Von diesen Linien zweigen 116 für den nicht öffentlichen Güterverkehr bestimmte Schleppbahnen zu Kohlenwerken und Industrieunternehmungen in der Gesamtlänge von 81∙2 km ab; hiervon kommen 105 Schleppbahnen (78∙5 km) auf die Linien des alten Netzes, 11 Schleppbahnen (2∙7 km) auf die Lokalbahn Teplitz- (Settenz-) Reichenberg.

Anschluß hat die A. in Aussig, Dux, Bilin, Brüx, Komotau, Lobositz, Czernosek, Böhmisch-Leipa, Deutsch-Gabel und Reichenberg an die Linien der österr. Staatsbahnen, in Wurzmes an die Lokalbahn Potscherad-Wurzmes, in Komotau an die Buschtiehrader Eisenbahn, in Auscha an die Lokalbahn Großpriesen-Wernstadt-Auscha und in Reichenberg an die Sächsischen Staatseisenbahnen und die Reichenberg-Gablonz-Tannwalder Eisenbahn.

Der Verwaltungsrat der Aussig-Teplitzer Eisenbahngesellschaft in Teplitz ist Vertreter der letzteren nach außen; die Ausführung seiner Beschlüsse und die Führung der Geschäfte liegt der in Teplitz befindlichen Direktion ob.

Durch Privilegiumsurkunde vom 2. August 1856 wurde der »Aussig-Teplitzer Eisenbahn- und Bergbau-Gesellschaft« das ausschließliche Recht zum Bau und Betrieb einer Lokomotiveisenbahn von Aussig nach Teplitz verliehen. Noch im Herbste desselben Jahres in Angriff genommen, wurde der Bau im Frühjahr 1858 vollendet und die Bahn wurde am 20. Mai dem Personen-, am 8. Juli dem Güterverkehr übergeben. War ursprünglich als Zweck der Gesellschaft neben dem Bahnbetrieb auch die Erwerbung und Betreibung großartiger Kohlenbergwerke in Aussicht genommen, so glaubte die am 1. Februar 1858 abgehaltene Generalversammlung – veranlaßt durch die auftauchenden und bereits in der Privilegiumsurkunde zum Ausdrucke gebrachten Besorgnisse einer monopolistischen Stellung der neuen Gesellschaft den anderen Bergwerksbesitzern gegenüber – von diesem Vorhaben absehen zu sollen und die Gesellschaft nahm nunmehr die Firma an »K. k. priv. Aussig-Teplitzer Eisenbahn-Gesellschaft«.

Trotz der ungünstigen Betriebsergebnisse der ersten Jahre wurde bereits in der Generalversammlung des Jahres 1859, sodann 1863 und 1865 die Weiterführung der Bahn nach Komotau, für die man – zwar erfolglos – eine Garantie des Staates oder des Kronlandes Böhmen zu erwirken versuchte, angeregt und endlich auch beschlossen. Nach Erlangung der Konzession am 10. Mai 1866 wurde in den Jahren 1866 und 1867 die Teilstrecke Teplitz-Dux erbaut und am 15. Juli 1867 eröffnet; der Bau der Endstrecke Dux-Komotau erfolgte in den Jahren 1869 und 1870, die Eröffnung am 8. Oktober 1870. Inzwischen hatte die Gesellschaft am 7. November 1868 die Konzession für die ursprünglich als Flügelbahn geltende Seitenlinie von Dux nach Schwaz erhalten; diese wurde am 24. März 1871 eröffnet und bildet, seit 1878 zur Hauptbahn einbezogen, eine Verbindung mit der durch Urkunde vom 21. Januar 1872 an die Aussig-Teplitzer Eisenbahngesellschaft übergegangenen Bielatalbahn (Bilin-Türmitz).

Ein bedeutsames Kapitel in der Geschichte der A. bildet der Bau der Lokalbahn Teplitz-(Settenz-) Reichenberg, der »nordböhmischen Transversalbahn«. Mit der Konzessionsurkunde vom 13. Juni 1896 wurde der Aussig-Teplitzer Eisenbahngesellschaft das Recht zum Bau und Betrieb einer als normalspurige Lokalbahn auszuführenden Lokomotiveisenbahn[326] von der Station Settenz der Hauptlinie Aussig-Komotau nach Lobositz (mit einer Schleppbahn zu dem daselbst anzulegenden Elbehafen), von da mit Überbrückung der Elbe über Leitmeritz und Auscha nach Böhmisch-Leipa und mit teilweiser Benutzung der bestehenden Staatsbahnlinie Böhmisch-Leipa-Niemes über Deutsch-Gabel und Ringelshain nach Reichenberg erteilt. Der Bau dieser Lokalbahn wurde in den Jahren 1896–1900 ausgeführt. Die erste Teilstrecke Settenz-Lobositz ist am 16. Dezember 1897, die zweite, Lobositz-Leitmeritz, am 18. Oktober 1898 und die dritte, Leitmeritz-Böhmisch-Leipa, am 29. Dezember 1898 dem öffentlichen Verkehre übergeben worden. Am 29. Dezember 1898 wurde auch die von der k. k. Staatsverwaltung an die Aussig-Teplitzer Eisenbahngesellschaft um den Betrag von 2,600.000 K verkaufte Lokalbahn Böhmisch-Leipa-Niemes in den Besitz und Betrieb der Gesellschaft übernommen. Die Eröffnung der Reststrecke Niemes-Reichenberg erfolgte am 17. September 1900. Der Umbau des Gemeinschaftsbahnhofes in Reichenberg, zu dem die Aussig-Teplitzer Eisenbahngesellschaft einen Betrag von 680.000 K geleistet hat, ist erst am 1. Mai 1906 vollendet worden, womit der in mehrfacher Richtung bemerkenswerte Bau der 150 km langen Lokalbahn mit einem Gesamtkostenaufwande von rund 50 Mill. K erst vollends fertiggestellt und der langjährige Wunsch nach einer direkten Verbindung des nordwestböhmischen Braunkohlenbeckens mit dem Reichenberger Industriegebiete endlich erfüllt war.

Die Anlagekosten des Gesamtnetzes belaufen sich Ende 1910 auf 138,017.191∙30 K; dagegen sind 140,645.271∙29 K durch Aktien und Prioritätsobligationen derart gedeckt, daß sich mit Schluß des Jahres 1910 bei den Linien des alten Netzes ein Oberschuß von 2,159.814∙23 K und bei der Lokalbahn Teplitz- (Settenz-) Reichenberg ein Überschuß von 468.265∙76 K ergab. Im Jahre 1909 erhielt die Aussig-Teplitzer Eisenbahngesellschaft die Bewilligung zur Aufnahme einer 4% Prioritätsanleihe im Nennbetrage von 11 Mill. M., die mit 9,700.000 M. für Zwecke des alten Netzes und mit 1,300.000 M. für Zwecke der Lokalbahn bestimmt ist. Hiervon wurden im Jahre 1909 5 Mill. M. begeben. Ein großer Teil dieses Betrages wurde zur Anschaffung von 1000 Kohlenwagen verwendet; 1910 wurden weitere 3 Mill. M. begeben.

Die Dividende der Aktie stieg von 10∙50 K im Jahre 1858 auf 150 K im Jahre 1894, verblieb auf dieser Höhe bis zum Jahre 1900 und betrug 90 K im Jahre 1910.

Vor Eröffnung der A. wurde der Kohlenbergbau im Aussig-Teplitzer Becken in sehr beschränktem Maße betrieben, denn der Absatz mit Fuhrwerk war nur auf die nächste Umgebung und auf die Wasserstraße der Elbe angewiesen. Die Verwaltung beschloß deshalb, dem Kohlenbergbau ihre Unterstützung in der Weise zuzuwenden, daß sie jeden neu erschlossenen Förderschacht durch eine Flügelbahn mit der Hauptbahn verband. Hierdurch wurden der Bahn bedeutende Frachten zugeführt, so daß sich die Hoffnungen der Aktionäre auf eine Verzinsung des Anlagekapitals nunmehr zu verwirklichen begannen. Bei Eröffnung der Bahn bestanden solche Verbindungen nur nach der chemischen Fabrik in Aussig und den nahe der Bahn gelegenen Arnold-, Elisabeth- und Franz-Josef-Schächten in Türmitz; in den Jahren 1861 bis 1909 wurden zusammen 188 derartige Flügelbahnen angelegt und eröffnet, von denen indessen, da verschiedene dieser Anlagen nach Auflassung der betreffenden Schächte wieder eingingen, im Jahre 1910 noch 116 im Betriebe standen; 64 von diesen Flügelbahnen führen zu Kohlenwerken, die übrigen 52 zu anderen gewerblichen Anlagen.

Um der Braunkohle ein größeres Absatzgebiet und damit der Bahn eine Vermehrung ihrer Frachten zu verschaffen, bemühte sich die Gesellschaft um Schaffung billiger, direkter Tarife für die Beförderung der Kohle nach dem Auslande; die im Jahre 1865 eingeführten direkten Tarife wurden in den Jahren 1866, 1867 und 1868 allmählich herabgesetzt. Am 1. September 1869 erreichte die Aussig-Teplitzer Eisenbahngesellschaft endlich die Annahme des von ihr eingeführten sogenannten Pfennigtarifes von sämtlichen deutschen Bahnen. Waren einerseits durch diese bedeutenden Frachtermäßigungen der Braunkohlenbeförderung auf den Eisenbahnen die Wege geebnet, so wurde anderseits zur Pflege der Kohlenverfrachtung auf der Elbe in Aussig die ursprünglich nur 315 m lange Elbeschleppbahn auf 5∙080 km verlängert und Einrichtungen für den Umschlag auch von anderen Gütern getroffen. Die Kohle bildet mehr als 87% der gesamten auf den Linien des alten Netzes zur Verfrachtung gelangenden Gütermenge (1910: gesamte Gütermenge 10,006.305 t, davon 8,731.782 t Kohle).

Der Personenverkehr wies im Betriebsjahre 1910 auf den Linien des Gesamtnetzes zusammen 5,470.093 Reisende auf. Betriebskoeffizient im Jahre 1910: für das alte Netz 43∙68%, für die Lokalbahn Teplitz- (Settenz-) Reichenberg 84∙98% und für das Gesamtnetz 51∙23%.[327]

Die fortschreitende Entwicklung der Bahn machte die Anlage eines zweiten Gleises erforderlich, dessen Ausführung 1871 von Aussig bis Karbitz, 1872 bis Mariaschein, 1873 bis Settenz, 1874 bis Ullersdorf, 1877 bis Dux und 1889 bis Komotau erfolgte. Im Jahre 1900 wurde auf der Teilstrecke Auperschin-Schwaz der Bielatalbahn der Bau des zweiten Gleises durchgeführt (Länge der Doppelgleisstrecken 74∙746 km). Auch die Vergrößerung fast sämtlicher Stationen erwies sich als erforderlich; in Aussig wurde 1870 mit der Anlage eines (im Jahre 1873 fertiggestellten) Verschiebebahnhofes begonnen, der zu den größten in Österreich bestehenden gehört und die erste Anlage in Österreich war, bei der das Abrollen der Wagen von geneigten Ablaufgleisen eingerichtet wurde. Die Gesamtausdehnung der im Aussiger Verschiebebahnhofe nebeneinander liegenden 53 Gleise stellte sich (1909) auf ungefähr 68 km mit 253 Weichen und 3 Abrollköpfen. Von den Weichen sind 114 in 12 Gruppen in Zentralstellanlagen einbezogen.

Der Bahnhof bedeckt ein Gelände von rund 45 ha; die größte Länge beträgt 2566 m, die größte Breite 345 m; es münden darin drei Hauptbahnen und drei Flügelbahnen ein.

Die Konzession für die Linie Aussig-Komotau erlischt am 7. Oktober 1950, die für die Bielatalbahn Türmitz-Bilin am 5. Juni 1964 und die für die Lokalbahn Teplitz- (Settenz-) Reichenberg am 12. Juni 1986. Mit dem Tage des Erlöschens der Konzession tritt der Staat ohne Entgelt in das lastenfreie Eigentum und in den Genuß der konzessionierten Linien und des sämtlichen unbeweglichen Zubehörs samt allen Einrichtungen an stehenden Maschinen und allen unbeweglichen Sachen. Bei der Lokalbahn Teplitz- (Settenz-) Reichenberg umfaßt das staatliche Heimfallsrecht auch das gesamte bewegliche Zugehör einschließlich des Fahrparkes.

Das Ankaufsrecht kann von dem Staat bei den Linien des alten Netzes vom 25. Juni 1900 an jederzeit ausgeübt werden. Maßgebend für die Ermittlung des Erwerbspreises für das alte Netz sind die jährlichen Reinerträgnisse während der letzten 7 Jahre mit Ausschluß der zwei ungünstigsten Jahre. Die Lokalbahn Teplitz- (Settenz-) Reichenberg kann der Staat ebenfalls jederzeit erwerben. Maßgebend für den Erwerbspreis erscheint das in dieser Bahn angelegte Kapital. Der Erwerb beider Netze muß gleich zeitig erfolgen.

v. Enderes.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 1. Berlin, Wien 1912, S. 326-328.
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