[460] Bahnwärter, Streckenwärter, zuweilen auch Bahn Wächter genannt (flagman; garde-ligne, garde-route; guardiano della linea, cantoniere, casettiere), sind die unteren Bahnbediensteten, denen bei den meisten Bahnen die Überwachung des Bahnzustandes und die Sorge für die Fahr- und Betriebssicherheit, u. zw. (im Gegensatze zu den Weichenwärtern) auf der freien Bahnstrecke, obliegt. Bei den englischen Bahnen sind keine B., in Frankreich nur ausnahmsweise an Punkten bestellt, die eine besondere Beaufsichtigung erheischen. Die Bewachung des Bahnzustandes wird durch Rottenführer oder Oberbauarbeiter besorgt. In Preußen und Bayern sind abgesehen von den Bedingungen für einen Bahnpolizeibeamten und der körperlichen Eignung (Gehör, Gesicht und Farbenunterscheidungsvermögen) zur Erlangung einer Bahnwärterstelle folgende Erfordernisse vorgeschrieben: viermonatige Beschäftigung bei der Unterhaltung und Erneuerung des Oberbaues und eine zweimonatige im Dienst einer im Betrieb befindlichen Bahn oder eine neunmonatige (in Bayern sechsmonatige) Beschäftigung beim Eisenbahnneubau, sofern der Arbeiter sich hierbei mit sämtlichen, zur Herstellung des Oberbaues und der Weichen erforderlichen Arbeiten vertraut gemacht hat, auch während dieser Zeit zwei Monate bei dem für Arbeits- und andere Züge eingerichteten Bahnbewachungs- und Signaldienst tätig gewesen ist.
In Österreich müssen B. mindestens 4 Monate als Oberbauarbeiter tätig gewesen sein und den Erfolg dieser Probedienstleistung durch eine Prüfung nachweisen. Ähnliche Anforderungen werden auch in anderen Staaten gestellt. Die B. gehen meist aus den Bahnunterhaltungs- und Bahnneubauarbeitern hervor, soweit die Stellen nicht von vorzugsberechtigten Militäranwärtern begehrt werden. Bei den österr. Staatsbahnen müssen die B., falls ihnen kein Wärterhaus zur Bewohnung zugewiesen werden kann, in jenem Orte Wohnung nehmen, der ihnen vom unmittelbaren Vorgesetzten bezeichnet wird. Der B. darf kein Gewerbe ausüben, keinen Handel treiben und keine geistigen Getränke ausschenken.
In der Schweiz sowie in Italien ist die Stellung und Diensteinteilung der B. ähnlich jener bei den deutschen und österr. Bahnen.
Über die Stellung und Pflichten der B. ist folgendes zu bemerken:
I. Die Vorgesetzten der B. sind der Bahnmeister (s.d.), im weiteren der Streckeningenieur (Vorstand des Betriebsamtes, der Bahnerhaltungssektion) und dessen Nebenbeamte. Die allgemeinen Vorschriften erhält er durch die Dienstanweisung für Bahnwärter, mit deren Inhalt er ebenso wie mit dem des Signalbuches genau vertraut sein muß. In Österreich sind die B. so oft wie möglich über die Vorschriften ihres Dienstes zu belehren[460] und mindestens zweimal im Jahr nachzuprüfen. Besondere Weisungen erhält er durch den Bahnmeister, dem er auch alle Vorkommnisse und die etwa von einem höheren Beamten ausnahmsweise erhaltenen Anordnungen tunlichst bald zu melden hat.
II. Der Bahnwärterdienst erfordert zwar nur ein bescheidenes Maß von Wissen, dagegen ein hohes Maß von Pflichttreue, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Aufmerksamkeit, Entschlossenheit und Geistesgegenwart bei besonderen Vorfällen. Die Pflichten des B. lassen sich in folgende Hauptteile gliedern:
1. Überwachung des betriebssicheren Zustandes der Bahn, also des Unter- und Oberbaus mit sämtlichen zugehörigen Anlagen und Betriebseinrichtungen, im einzelnen des Erdkörpers nebst Böschungen, der Brücken, Durchlässe, Gräben, Entwässerungsanlagen, Wegübergänge, Schranken, Warnungstafeln, Einfriedungen, Signaleinrichtungen, Abteilungszeichen, Steigungstafeln, Markierpfähle und Telegraphenleitungen. Zur Ausführung dieser Aufsicht hat der Wärter die ihm zugewiesene Strecke nach der vorgeschriebenen Ordnung, aber außerdem auch noch bei besonderen Anlässen zu begehen (Streckenuntersuchung).
Bei den Begehungen hat er vor allem zu achten auf den betriebssicheren und guten Zustand der Gleise, auf die richtige und sichere Lage und taugliche Beschaffenheit der Schwellen, etwaige Abspülungen und Senkungen in der Bettung (Schlaglöcher), Verwerfungen des Gleises, Lockerungen der Schwellennägel und -schrauben, Biegung oder Bruch der Schienen, Frosthebungen u.s.w. Die Schranken hat er auf ihre vollständige Dienstfähigkeit, Felseinschnitte auf drohendes Abstürzen von Gestein, Tunnel auf Beschädigungen und Verdrückungen der Wölbung, Eisbildung u.s.w. zu untersuchen.
2. Vorgefundene Mängel an dem betriebssicheren Bahnzustand hat der B., soweit es ihm möglich ist, selbst oder mit Hilfe von Arbeitern zu beseitigen. Insbesondere hat er Fahrhindernisse zu entfernen, die Überfahrten zwischen den Schranken von Schmutz, Schnee und Vereisung reinzuhalten, bei trockener Witterung mit Wasser zu besprengen, auf Steilrampen, wenn wegen Schlüpfrigkeit der Schienen ein Schleudern der Triebräder zu befürchten ist, trockenen Sand auf die Schienen zu streuen, bei Schneefall die Schienen und die Bahnkrone mit dem Handschneeschlitten u.s.w. von Schnee zu räumen, die Spurrinne von Steinen, Schnee und Eis freizuhalten, gelockerte Befestigungsmittel zu befestigen, fehlende zu ergänzen, bei Schienenbrüchen einen Bruchverband anzubringen, eine Schwelle oder ein Schwellenstück unterzulegen u.s.w.
3. Der Wärter muß ausgerüstet sein mit dem für die Strecke gültigen Fahrplan, einer richtig gehenden Uhr, die nach der Zeit des Dienstfahrplanes gerichtet sein muß, den erforderlichen Signalmitteln (vgl. § 154 der Technischen Vereinbarungen über den Bau und die Betriebseinrichtungen der Haupt- und Nebenbahnen von 1909) u. zw. Signalfahne und Signalscheibe, bei Dunkelheit Handlaterne, Signalhorn und Knallkapseln und den zur Instandhaltung des Oberbaus erforderlichen Gerätschaften, wie Besen, Schaufeln, Stopfhacke, Hammer, Schraubenschlüssel und einem Vorrat von Kleineisen. Bei den Streckenbegehungen hat er stets bei sich zu führen: die Uhr, Signalhorn, Signalfahne, bei Dunkelheit Handlaterne, Knallkapseln, Hammer und Schraubenschlüssel. Die Art der Signale ist durch die Signalordnung (Signalbuch) geregelt. Die Werkzeuge und Geräte liefert die Bahnverwaltung. Der B. ist für sie verantwortlich. Unbrauchbare hat er durch Vermittlung des Bahnmeisters auszutauschen.
Der B. trägt in der Regel Dienstkleidung oder er ist mit einem Dienstzeichen (Dienstmütze) versehen. Wo das Tragen einer Uniform vorgeschrieben ist, erhält der B. bei vielen Verwaltungen eine Pauschalsumme für die Beschaffung und ordentliche Unterhaltung der Dienstkleidung.
4. Mängel, die der B. nicht selbst beseitigen kann, hat er dem Bahnmeister anzuzeigen. Sind sie betriebsgefährlich, so hat er die gefährdete Stelle durch Haltesignale zu decken und auf kürzestem Wege dem Bahnmeister oder Rottenführer Meldung zu machen. Diese Meldungen müssen von Wärter zu Wärter bis zum nächsten Fernschreiber oder Fernsprecher oder bis zu ihrem Ziele weitergegeben werden.
5. Wenn der B. gleichzeitig Schrankendienste zu tun hat, so hat er die Schranken rechtzeitig zu schließen, bei Zugschranken darauf zu achten, daß Fuhrwerke nicht eingeschlossen werden, bei der Vorüberfahrt der Züge deren Lauf zu beobachten, überhaupt all die Dienstverrichtungen auszuüben, die unter »Schrankenwärter« näher erörtert sind.
6. Nach Vorüberfahrt des Zuges und bei der Streckenbegehung hat der B. darauf zu achten, ob nicht von der Lokomotive ausgeworfene glühende Kohlenteile Brand oder Brandgefahr an den Holzschwellen, den Holzteilen von Brücken oder auf den Böschungen und in den Waldungen herbeigeführt haben. Gegebenenfalls hat er das Feuer zu löschen oder Hilfe herbeizurufen.[461]
7. Wird der B. durch Krankheit dienstunfähig, so hat er dem Bahnmeister wegen Stellung eines Ersatzes sofort Anzeige zu machen und nötigenfalls für eine vorübergehende Aushilfe bis zum Eintreffen des Vertreters zu sorgen. Ist der Wärter hierzu nicht mehr in der Lage, so hat es seine Familie zu tun.
Die Dienstzeit des B. wird so bemessen, daß er in der Regel eine tägliche Ruhezeit von mindestens 89 Stunden hat. Nachtdienste sollen nicht mehr als 7, abwechselnd mit einer gleichen Zahl von Tagesdiensten, aufeinander folgen. Die Ablösung im Dienst erfolgt, wenn der Wärterposten nicht doppelt besetzt ist, durch verpflichtete Hilfsbahnwärter oder Ablösewärter nach festgesetzter Reihenfolge. Die Hilfsbahnwärter sind aus den zuverlässigsten und in dem Dienst erfahrenen Bahnunterhaltungsarbeitern auszuwählen. Bei der Dienstübergabe hat der übergebende dem übernehmenden Wärter alle dienstlichen Vorkommnisse mitzuteilen und die Signalmittel und Werkzeuge zu übergeben. Die Übergabe und Übernahme ist im Dienstbuch mit Angabe der Zeit durch Unterschrift zu bestätigen. Diese Bestätigung kann bei dem Dienstwechsel zwischen dem Wärter und seinen Familienangehörigen entfallen. Ohne ordnungsgemäße Ablösung darf der Wärter den Posten nicht verlassen. Bei einigen Bahnverwaltungen ist der B. gehalten, sofern ein Familienangehöriger den Dienst versieht, während der Ruhezeit, die er zum Ausruhen wirklich benutzen soll, das Wärterhaus und dessen Umgebung nicht zu verlassen, es sei denn, daß im einzelnen Falle der Bahnmeister die Abwesenheit vom Wärterhaus genehmigt hat. Hierdurch wird es ermöglicht, daß der Familienangehörige bei außerordentlichen Vorkommnissen den Wärter herbeirufen kann. Auch der Vertreter und Ablöser hat, wenn nötig, den Wärter herbeizurufen oder zu wecken, sich mit ihm zu beraten und in den Dienst zu teilen.
Bei den meisten Bahnverwaltungen werden Familienangehörige (Frau und erwachsene Töchter) des Wärters zum Dienst am Posten (Schranken- und Signaldienst) zugelassen, von einigen auch mit gutem Erfolge zum Blockdienst. Von der Bahnbegehung sind sie durchweg ausgeschlossen. Viele Verwaltungen schließen sie auch vom Nachtdienst aus, andere haben mit ihrer Zulassung zum Nachtdienste nach vieljähriger Erfahrung keine Schwierigkeiten und Anstände gehabt. Sie müssen den an Eisenbahnbetriebs- und -polizeibeamte nach § 45 (2) und § 74 (1), (2), (3), der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung für die Eisenbahnen Deutschlands vom 1. Mai 1905 zu stellenden Anforderungen gleich den B. und Hilfswärtern entsprechen. Die für ihren Dienst erforderlichen Kenntnisse haben sie in einer formlosen Prüfung nachzuweisen.
8. Bei einzelnen Bahnverwaltungen versehen die B. bei größeren Unterhaltungsarbeiten (Schienen- und Schwellenauswechselungen u.s.w.) auch die Dienste eines Aufsehers und Vorarbeiters der einzelnen Arbeitsgruppen. Dann obliegt ihnen auch die Kontrolle der Arbeit, der verwendeten und gewonnenen Baustoffe und der Geräte. Durch diese Obliegenheiten darf jedoch der eigentliche Bahnwärterdienst nicht beeinträchtigt werden. Die Heranziehung hierzu ist daher nur auf Bahnstrecken mit sehr geringem Verkehre zulässig. Die B. haben aber stets dafür zu sorgen, daß auf beiden Seiten einer Strecke, in der zum Auf- und Abladen von Baustoffen durch Unterhaltungsarbeiten oder durch den Verkehr von Kleinwagen (z.B. Bahnmeisterwagen) die Fahrbarkeit auf dem Gleis unterbrochen ist, die Haltesignale in dem vorgeschriebenen Abstand ausgesteckt und daß die Kleinwagen (Bahnmeisterwagen, Eisenbahnfahrräder, Gleismesser, Draisinen) nach Vorschrift rechtzeitig aus dem Gleis und der Umgrenzung des lichten Raumes gebracht werden.
9. Da den B. die Ausübung der Bahnpolizei obliegt, so müssen sie die bahnpolizeilichen Bestimmungen (§§ 7476 der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung für die Eisenbahnen Deutschlands vom 1. Mai 1905) kennen und für die Einhaltung der Bestimmungen für das Publikum (§§ 7783 der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung) innerhalb ihrer Strecke sorgen. Bei etwaigen Übertretungen haben sie nach Maßgabe der bahnpolizeilichen Bestimmungen zu verfahren, Anzeige zu erstatten, gegebenenfalls den Übertreter festzunehmen oder seine Festnahme zu veranlassen. In Ausübung ihres Dienstes müssen sie Uniform oder ein Dienstabzeichen (Dienstmütze, Schild, Armbinde in den Landesfarben oder ähnliches) tragen oder mit einem sonstigen Ausweis über ihre amtliche Eigenschaft versehen sein.
10. Die Dienstanweisungen der B. enthalten in der Regel eingehende Vorschriften über die Dienstpflichten im allgemeinen, Vorgesetzte, Dienstbezirk, Dienstregelung, Diensträume, Dienstkleidung und Ausrüstung, Dienst- und Tagebuch, Fundsachen, Belohnungen, über Untersuchung, Bewachung und Unterhaltung der Bahn, Unterhaltung und Bedienung der Signale und sonstigen Einrichtungen, Ausübung der Bahnpolizei, Unfälle und besondere[462] Vorschriften für die zum Dienst herangezogenen Familienangehörigen.
Das Dienstbuch dient zum Verzeichnen der dem Posten zugewiesenen Bahn- und Gleisstrecken, Signale, Weichen, Schranken u.s.w., der Ausrüstungsgegenstände, Werkzeuge, Vorräte an Oberbaumaterialien und zur Aufnahme aller wichtigeren Verfügungen und Anordnungen.
Im Tagebuche sind das mündlich, telephonisch, durch Laufzettel oder sonstige schriftliche Mitteilung oder durch Signale an den Zügen angekündigte Verkehren von Sonder- und Bedarfszügen, alle Weisungen von vorübergehender Gültigkeit, außergewöhnliche Vorfälle und Unregelmäßigkeiten im Laufe der Züge, soweit sie für den Dienst des Nachfolgers wichtig sind, ferner die ordnungsgemäße Dienstübergabe und Übernahme einzutragen.
11. Die Länge des dem B. zugewiesenen Bahnabschnittes (Bahnwärterstrecke, Bahnwärterbezirk, Canton d'un garde) ist abhängig von der Beschaffenheit und dem Charakter der Bahnanlage, von der Dichte des Zugverkehrs, von den täglichen Bahnuntersuchungen, ferner davon, ob vereinigter Überwachungs- und Schrankendienst oder ausschließlich Überwachungsdienst zu leisten ist. Die Länge wechselt bei vereinigtem Dienste auf verkehrsreichen Hauptbahnen zwischen 1 und 2∙5 km, bei untergeordneten Hauptbahnen wird sie bis auf 4 km ausgedehnt. Unter der Voraussetzung, daß zum Hin- oder Rückwege die Züge benutzt werden können und eine dreimalige Begehung am Tage vorgeschrieben ist, kann die Bahnwärterstrecke bis 6∙6 km, bei Übertragung einer der drei täglichen Begehungen an einen vereideten Arbeiter bis auf 9∙5 km, auf Nebenbahnen mit nur einmaliger Begehung am Tage bis auf 16 km ausgedehnt werden. (Vgl. auch Bahnaufsicht, Bahnunterhaltung.)
v. Weikard.
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